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# taz.de -- Berliner Kultursommer: Sunsets am Wasser
> Die Kultur mit dem Spreeblick: Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert
> auch in diesem Sommer wieder Konzerte, Filme und Literatur auf der
> Terrasse.
Bild: Sommerlich bereit für einen der 21 Sunsets: Jens Friebe
Berlin taz | Wenn man zurückfuhr am späten Abend, durch die sich leerende
Mitte dieser Stadt, vorbei an den letzten Nachttouristen und Fahrradtaxis,
während das Thermometer immer noch mehr als 20 Plusgrade zeigte und der
Asphalt die Hitze ausatmete, konnte einem der Song von The Lovin’ Spoonful
auf die Lippen kommen. „Hot town, summer in the city / back of my neck
gettin’ dirt and gritty / Been down, isn’t it a pity? / Doesn’t seem to be
a shadow in the city“, sang die New Yorker Band in ihrem berühmten Lied,
und tatsächlich fühlte sich das Leben plötzlich wieder leicht und luftig
an. So war das, wenn man vergangenes Jahr ein Sommerkonzert der [1][„20
Sunsets“ auf der Terrasse des Hauses der Kulturen der Welt] besucht hatte.
Monatelang hatte Corona den Alltag bestimmt. Jetzt ging wieder was.
Dieses Jahr werden es, der Jahreszahl entsprechend, „21 Sunsets“ sein:
Konzerte, Lesungen und Filme stehen ab dem 15. Juli auf dem Programm. Der
Titel trifft den Vibe der Veranstaltungsreihe gut: Sonnenuntergänge waren
immer ein Sehnsuchtsmotiv in der Popmusik. Man denke an „Sunset“ (1973) von
Roxy Music oder „Waterloo Sunset“ (1967) von den Kinks: „As long as I gaze
on Waterloo sunset / I am in paradise“. Und auch wenn man sich gegenüber
dem Kanzleramt in Nachbarschaft des unwirtlichen Regierungsviertels nicht
im Garten Eden wähnen mag, könnten die HKW-Sunsets auch dieses Jahr einigen
Ballast von einem abfallen lassen. Das gute Leben könnte sein Comeback
feiern.
Es wird auch ein Wiedersehen sein. Ein Ort, an dem die Kulturszene endlich
wieder zusammenfinden kann. Das HKW räumt Gastkuratorinnen und -kuratoren
Platz ein, damit deren Formate und Reihen wieder stattfinden können.
Der Kiezsalon, eigentlich in der Musikbrauerei beheimatet, ist dabei, auch
der Club ausland gestaltet einen Abend, ein weiterer wird vom Kollektiv
Freak de l’Afrique bestritten. Insgesamt ist der Anteil an experimenteller
Musik erfreulich hoch: Noise, Synthiekaskaden, Jazz und Frickelzeug werden
zu hören sein, oder aber es wird Musik mit Nähmaschinen gemacht (das
Nähmaschinenduett aus Berlin und München tritt am 31. Juli auf).
Ebenso erfreulich, dass viele Beteiligte darunter sind, die dem Berliner
Popkosmos die Jahre über viel gegeben haben: Kerstin und Sandra Grether,
Theresa Stroetges aka Golden Diskó Ship, Jens Friebe, Marta De Pascalis,
[2][Jeff Özdemir], Moritz Von Oswald und viele mehr. Das gehört durchaus
zum Konzept der Veranstaltung: Die „Sunsets“ waren anstelle des
Wassermusik-Festivals auch deshalb ins Leben gerufen worden, um der
Berliner Musikszene Auftrittsmöglichkeiten während der Pandemie zu
verschaffen.
Im Jahr 2020 ging das voll auf. Man saß auf Zweier- und Dreiersitzinseln,
die Bühne und den Bogen der schwangeren Auster vor sich, die Spree im
Rücken. Viele Gäste begannen irgendwann vor ihren Sitzen zu tanzen. Das
Durchschnittsalter war dabei eher hoch, das Publikum nicht so
international, wie man das von anderen Orten kennt. Da geht also noch was,
international youth of Berlin!
An eine Sache werden sich allerdings auch alle erinnern, die dort waren:
die endlos lange Getränke- und Essensschlange. Stellte man sich zu Beginn
des Konzerts an, hatte man zur Zugabe seine Brezel und sein Bier in der
Hand. Da ist also noch Luft nach oben. Luft nach oben war aber wohl auch
der Grund dafür, warum die Atmosphäre so besonders war: Trotz der
gewöhnungsbedürftigen Modalitäten (Sitzkonzert, Abstand) kam
Festivalstimmung auf, der weite Blick von der Terrasse tat sein Übriges.
Das bewährte Konzept wird mehr oder weniger fortgesetzt: Lesungen finden
donnerstags statt, wobei am Literaturprogramm noch geruckelt wird. Am
späten Freitag- und Samstagabend sind Filme zu sehen, wobei das Arsenal,
das für die Auswahl zuständig ist, ein politisches, internationales,
hochwertiges Programm erstellt hat. Unter anderem zwei Filme von Philipp
Scheffner: „The Halfmoon Files“ (2007) setzt sich mit Stimmaufzeichnungen
aus dem sogenannten Halbmondlager in der Zeit des Ersten Weltkriegs
auseinander (aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität), „Havarie“ (2016)
richtet den Blick auf bewusst penetrante Art auf die Flüchtlingsboote im
Mittelmeer.
Den Blick weiten. Anders sehen. Anders hören. Sich bewegen. Darum geht es
in den „21 Sunsets“. Dinge, die wir nach den Einschränkungen und
Verengungen der Coronakrise dringend nötig haben.
15 Jul 2021
## LINKS
[1] /Konzertsommer-mit-Einschraenkungen/!5694481
[2] /Jeff-Oezdemir-mit-Berliner-Allerlei/!5774603
## AUTOREN
Jens Uthoff
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z.B. auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin.
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