| # taz.de -- Museum für Islamische Kunst in Berlin: Fremdeln mit dem Hier und D… | |
| > Volkslieder, Anadolu Rock, Rap: Die Ausstellung „Gurbet Şarkıları – | |
| > Lieder aus der Fremde“ widmet sich mehreren Generationen | |
| > türkisch-deutscher Musik. | |
| Bild: Ozan Ata Canani schrieb 1978, damals 15 Jahre alt, „Deutsche Freunde“ | |
| Man kann es kaum Subkultur nennen, eher muss man von einer anderen | |
| Musikgeschichte sprechen, die sich über die Jahre parallel zu den Hits und | |
| Genretrends der BRD entwickelt hat. Die Musik türkischer | |
| Gastarbeiter:innen hat viele tausende Fans, den meisten Deutschen war | |
| sie jedoch lange Zeit gänzlich unbekannt. 60 Jahre liegt das | |
| Anwerbeabkommen mit der Türkei in diesem Jahr zurück. | |
| Die Ausstellung „Gurbet Şarkıları“ stellt die Musik der türkischen | |
| Gastarbeiter:innen im Museum für Islamische Kunst im Berliner | |
| Pergamonmuseum vor. | |
| Drei oder vier Generationen türkischer Einwander:innen leben | |
| mittlerweile in Deutschland. Musikalisch sind die Unterschiede zwischen den | |
| ersten Gastarbeiter:innen und ihren Kindern und Enkeln sofort spürbar. | |
| Die Musik der 1960er Jahre ist wehmütig, meist klingt in ihr die Sehnsucht | |
| nach der Heimat an. | |
| Das Verlangen nach gewohnten Klängen war groß und so gründete sich mit | |
| Türküola 1964 die erste Plattenfirma, die türkische Musik in Deutschland | |
| vertrieb. Zeitweilig war es sogar das umsatzstärkste Indielabel der BRD und | |
| es exportierte die hier produzierte Musik in die Türkei. | |
| ## Zwischen Musikkarriere und Imbiss | |
| Einer der Türküola-Stars war Metin Türköz. Der gelernte Schlosser war der | |
| wohl erste türkische Volksmusiker in Deutschland. Er erzählt in einem von | |
| Regisseur Mirza Odabaşı eigens für „Gurbet Şarkıları“ gedrehten | |
| Dokumentarfilm von den schwierigen ersten Jahren. Seine Musikkarriere war | |
| nicht von Dauer. Ab den 1970er Jahren arbeitete Türköz erst in einem | |
| Gemüseladen, später in einem Imbiss. | |
| Wie bereichernd türkische Einflüsse für die deutsche Popmusik gewesen | |
| wären, wird deutlich im Song [1][„Deutsche Freunde“ von Ozan Ata Canani.] | |
| Ende der 1970er Jahre geschrieben, fällt das Lied in eine Zeit, in der die | |
| „Rückkehr“ der Gastarbeiter:innen diskutiert wurde. Wenige Jahre | |
| später trat das umstrittene „Rückkehrhilfegesetz“ in Kraft. | |
| Inspiriert von einem Zitat Max Frischs, dichtete Canani, damals 15-jährig: | |
| „Arbeitskräfte wurden gerufen / unsere deutschen Freunde / aber Menschen | |
| sind gekommen / unsere deutschen Freunde / nicht Maschinen, sondern | |
| Menschen“. Bitter klingt das Echo der von deutschen Politikern bemühten | |
| Phrase von „unseren türkischen Freunden“ nach. | |
| Rückblickend wirkt „Deutsche Freunde“ fast wie das Produkt einer | |
| Parallelwelt; deutsche Textzeilen gesungen über anatolische Rhythmen | |
| scheinen in das Musikjahr 1978 kaum zu passen, in dem ein Song wie Vader | |
| Abrahams „Lied der Schlümpfe“ Platz eins der deutschen Charts belegte. | |
| ## Von Karaca über Tarkan und DJ Ipek zu Eko Fresh | |
| Später sangen auch andere türkische Musiker:innen auf Deutsch, | |
| bekanntestes Beispiel ist Cem Karaca. Karacas Musik hat mit den Liedern | |
| eines „Aşık“, eines türkischen Volkssängers, nicht mehr viel zu tun. Ka… | |
| ist ein Vertreter des Anadolu Rock, in seinen Songs erklingt neben der Saz | |
| genauso die Hammondorgel. | |
| Auch politisch gehört Karaca einer anderen Generation an. Der Sänger | |
| verließ die Türkei 1979, kurz vor dem Militärputsch; ihm wurde vorgeworfen, | |
| in seinen Liedern Volksverhetzung zu betreiben. Karaca war bereits vor | |
| seinem Exil berühmt – bekannt allerdings vornehmlich einer türkisch | |
| sprechenden Hörerschaft. | |
| Dass türkische Musik auch deutsche Fans fand, änderte sich erst in den | |
| 1990er Jahren. Tarkans „Şımarık“ erzielte in Deutschland mehrere Wochen | |
| lang hohe Chartplatzierungen und mit DJ Ipek sei das Klischee gestorben, | |
| dass es sich in deutschen Clubs nur zu westlichen Songs tanzen ließe, | |
| erfährt man in der Pergamon-Ausstellung. Dass sich die 1972 in München | |
| geborene Musikerin und Sozialpädagogin [2][İpek İpekçioğlu politisch | |
| engagiert und für homosexuelle Migrant:innen starkmacht], erfährt man | |
| indes nicht. | |
| Überhaupt sind die in „Gurbet Şarkıları“ vermittelten Informationen | |
| dürftig, auch Musik gibt es über den Audioguide nur wenig zu hören. Nun | |
| muss man Musik keineswegs anhand der politischen Ansichten ihrer Erschaffer | |
| bewerten. Die Musiker:innen der zweiten Generation türkischer | |
| Einwanderer ohne den politischen Hintergrund von Hoyerswerda, | |
| Rostock-Lichtenhagen und Solingen zu denken, ist aber zumindest | |
| verwunderlich. | |
| ## Deutsche Texte, anatolische Musikelemente | |
| Erst mit [3][Eko Freshs] 2012 erschienenen Track „Der Gastarbeiter“ wird | |
| Rassismus wieder thematisiert. „Wir lieben Deutschland von Herzen wie | |
| verrückt / doch leider liebt es uns nicht jedes Mal zurück“, rappt der | |
| gebürtige Kölner. Man bringt ihn und andere Künstler:innen seiner | |
| Generation kaum noch mit den Gastarbeitern in Verbindung. | |
| Sie singen selbstverständlich auf Deutsch, das Spielen mit anatolischen | |
| Musikelementen wirkt beinahe wie Ausdruck eines Selbstversicherns, dass das | |
| Türkische noch Teil der Identität ist. Ebenso häufig wie mit Deutschland | |
| fremdeln sie mit ihrer Herkunft, ihrer oft konservativen Familie. | |
| Eko Fresh ist längst nicht mehr der jüngste aktive Musiker mit türkischen | |
| Wurzeln, mittlerweile ist eine neue Generation der Enkel oder sogar Urenkel | |
| der Gastarbeiter:innen erwachsen geworden. Vieles spricht dafür, dass | |
| auch ihr Thema die Identitätssuche bleibt. | |
| 29 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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