# taz.de -- Festival in Berlin: „Was kann die Welt daraus lernen?“ | |
> Neuverortung ist das Thema des genreübergreifenden deutsch-türkischen | |
> Festivals „disPlaced – rePlaced“ in Berlin. Wir sprachen mit Kuratorin | |
> İpek İpekçioğlu. | |
Bild: „Früher mussten hier Menschen weggehen. Jetzt ist es zu einem Schutzor… | |
Die DJ, freie Autorin und Musikproduzentin İpek İpekçioğlu gehört zu den | |
bekanntesten Gesichtern der Berliner Clubszene und zeichnete sich in | |
Vergangenheit für viele interkulturelle Projekte verantwortlich. Wir | |
sprachen mit ihr über das genreübergreifende deutsch-türkische Festival | |
„disPlaced – rePlaced“, das von ihr kuratiert wurde, und über die neue | |
Migration aus der Türkei. | |
## taz: İpek İpekçioğlu, was bedeutet „disPlaced – rePlaced“? | |
İpek İpekçioğlu: Du verlässt ein Land, das heißt, du wirst „displaced�… | |
gehst in ein anderes, in dem du dich zurechtfinden, neue Zugänge kreieren | |
musst, das heißt Neuverortung, also „replaced“. Dahinter stehen Fragen wie: | |
Was bedeutet es, wenn du das Land, in dem du lebst, aufgrund deiner | |
politischen, sozialen oder künstlerischen Haltung auf einmal verlassen | |
musst? | |
## Mussten die Teilnehmer*innen des Festivals die Türkei unter Zwang | |
verlassen? | |
İpek: Ja. Tatsächlich mussten viele Künstler*innen, Journalist*innen und | |
Akademiker*innen hierher kommen. Manche mussten aus rechtlichen Gründen | |
gehen, zum Beispiel wegen der Staatsverfolgung. Einige konnten sich das | |
aussuchen und entschieden so, weil sie sich in ihrem Land als Künstler*in | |
nicht mehr entfalten, ausdrücken konnten. | |
Manche wollten schon immer diesen Schritt gehen, in ein bestimmtes Land | |
aufbrechen wegen der Kunstszene dort. Weil sie glauben, sich mit den | |
Künstler*innen dort besser verbinden zu können. | |
## In jüngster Zeit sind viele neue Leute aus Istanbul nach Berlin | |
gekommen. | |
Ja, und manche Neuankömmlinge fühlen sich wohl, aber es gibt auch Menschen, | |
die nicht mehr zurück können, weil sie kriminalisiert werden. Deutschland | |
ist jetzt ihre neue Heimat. | |
## Was ist die Absicht des Festivals? | |
Für diejenigen, die entortet und neu verortet sind, wollen wir einen Raum | |
schaffen, ein Diskussionsforum, wo sie über ihre Kunst und über die Themen, | |
mit denen sie sich auseinandersetzen, sprechen können. Und darüber, was | |
ihre neue Lebenssituation für ihre Ausdrucksformen bedeutet. Wir | |
möchten zum einen Kunst, zum anderen unsere Heterogenität zeigen. | |
## Worin bestehen die Herausforderungen hier für jene, die neu angekommen | |
sind? | |
Einige Akademiker*innen, die hierher kommen mussten, können ihre Familien | |
nicht mehr sehen. Viele überlegen sich deshalb, wieder zurückzukehren – | |
selbst wenn Familienmitglieder inhaftiert sind. Menschen, die total gerne | |
auf Türkisch geschrieben haben, finden hier keine Verlage, die ihre Werke | |
veröffentlichen. | |
## Wie unterstützen Sie sich gegenseitig? | |
Es gibt zum Beispiel das „Apartman Projesi (Hausprojekt)“ hier in Berlin: | |
Ein Haus, in dem Berliner und Istanbuler Künstler*innen zusammenkommen und | |
sich austauschen. Es kommen auch viele Läden aus der Türkei, die dort | |
schließen und hier wieder aufmachen. | |
## Nehmen denn nur neu verortete Menschen am Festival teil? | |
Nein. Es sind auch ältere Berliner*innen wie die Bands Adirjam, Gülina | |
und ich, die sogenannten Almancılar. Wir kommen mit den neuen | |
Berliner*innen zusammen. Wenn sich daraus etwas Langfristiges entwickeln | |
würde, fände ich das toll. Außerdem sind die Kunst und die Musik einfach | |
viel zu schön, um nur unter uns zu bleiben. | |
## Also geht es ums Teilen und Zeigen. | |
Genau. Sonst bekommt es ja niemand mit. Sakina & Anadolu Quartet spielen | |
alte anatolische Lieder. Adirjam singt lesbisch-queere Lieder auf Kurdisch. | |
Wir haben bei dem Festival verschiedene künstlerische Elemente von Musik | |
bis zu Installationen. Und es gibt eine Clubnacht im Kater Blau, bei der | |
nur türkischstämmige DJs auflegen. Das findet zum ersten Mal statt – war | |
das Kater Blau jemals so türkisiert? (Lacht.) | |
## Soll das Festival den Künstler*innen neue Wege in Deutschland | |
ermöglichen? | |
Vielleicht ist der Weg schon geebnet. Es geht darum, Räume zugänglich zu | |
machen und das Publikum näher an die Künstler*innen und die Künstler*innen | |
näher an das Publikum zu bringen. | |
## Es gibt auch LGBTI*-Teilnehmer*innen. Wie sind deren Erfahrungen in | |
der Türkei? | |
Gizem Oruç und Rüzgâr Buşki, die vor ein paar Jahren hergekommen sind, oder | |
Şevval Kılıç, die hier eventuell Fuß fassen möchte, berichten, dass es in | |
der Türkei immer schwieriger wird, offen queer zu leben. Die Stimmung | |
ändert sich sehr. Şevval ist übrigens die erste Trans*DJ überhaupt im | |
Radialsystem V und Kater Blau. | |
## Was kann für die getan werden, die sich hier unwohl fühlen? | |
Wir sind in einem Land, das jahrelang Entortung und Neuverortung verursacht | |
hat. Früher mussten hier Menschen weggehen, ihr Land verlassen, weil sie | |
nicht als Deutsche betrachtet wurden oder um ihr Leben fürchten mussten. | |
Jetzt ist Deutschland zu einem Schutzort geworden für viele. Was kann die | |
Welt daraus lernen? Wer heute entortet oder neu verortet wird, kann das | |
morgen selbst (mit)verursachen. | |
## Ist das Festival auch als Solidaritätsprojekt gedacht? | |
Ich mache einfach ein Kunstfestival und nehme dieses Thema, weil es die | |
Teilnehmer*innen sehr beschäftigt. Es geht nicht darum, Opfer aus ihnen zu | |
machen und zu sagen: „Schau mal, die armen Migrant*innen, die unsere | |
Unterstützung brauchen.“ | |
Vielfältigkeit ist machtvoll, und eine Gesellschaft, die sie ertragen kann, | |
ist unzerbrechlich. Ich bin total glücklich, nicht monokulturell zu sein, | |
ich liebe meine deutschen Seiten, und ich liebe es, dass meine Musik auf | |
mehreren Schienen funktioniert. Ich bin offen für Neues. Nur eine | |
neugierige Gesellschaft kann sich weiterentwickeln; eine, die sich | |
kulturell abgrenzt, ist dazu verdammt, zu sterben. | |
## Was können wir von den Neuberliner*innen lernen? | |
Nicht unbedingt „lernen“ – eher erleben und erfahren, denken, diskutieren, | |
tanzen und hören. Natürlich haben viele Menschen aus unterschiedlichen | |
Kulturen auch unterschiedliche Arten und Weisen, mit Kunst umzugehen. Ich | |
freue mich sehr auf das Festival. Kommt und hört mit mir, erfahrt mit mir, | |
lernt mit mir, diskutiert mit mir, tanzt mit mir! | |
Festival #disPlaced – #rePlaced Cultural – Transition of Istanbul and | |
Berlin. Vom 28. – 30. Juli 2017 im Radialsystem V. | |
28 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
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