# taz.de -- Rapper Sultan Tunc: Kreuzberger Nächte sind arabesk | |
> Die Geschichte des Rappers Sultan Tunc spielt zwischen Berlin und | |
> Istanbul. In der Türkei bekam er den ersten Plattenvertrag. | |
Bild: Sultan Tunc ist der Rapper, der alles ein bisschen anders macht als der H… | |
Eine Art Generalsjacke trägt der Rapper mit den Dreadlocks, obwohl er so | |
gar nichts mit dem Militär am Hut hat. Die Uniform dient als Requisite für | |
einen Videoclip, der Künstler fühlt sich an Fotos aus seiner Kindheit | |
erinnert. „Ich nehme mich damit selbst auf die Schippe“, erklärt Sultan | |
Tunc. Nach der Probe sitzt er mit seiner Crew bei Suppe und Bier im | |
Yorckschlösschen im Berliner Bezirk Kreuzberg, einer Spelunke für Jazz-, | |
Blues- und Soul. Das Yorckschlösschen und das Exterieur von Tuncs | |
Stammkneipe, dem Punktreff Trinkteufel, gaben die Kulisse für das | |
Musikvideo von Tuncs Coverversion „Kreuzberger Nächte sind lang“ ab. Das | |
Original des Evergreen-Blödelhits stammt von den Gebrüdern Blattschuss | |
(1978). | |
Tunc hat ihr Stück nun als Single veröffentlicht. Seine Rapversion ist die | |
Antithese zum Ballaballa des Originals, trotz unverändertem Text hat er es | |
geschafft, aus der Musik eine melancholisch-arabeske Stimmung zu kreieren. | |
Sein Glück, Beppo Pohlmann, Gründungsmitglied der Gebrüder Blattschuss, | |
gefiel Tuncs Version so gut, dass er dem Rapper sofort die Erlaubnis zum | |
Nachspielen gab. | |
Sultan Tunc ist der Rapper, der alles ein bisschen anders macht, als der | |
HipHop-Mainstream. Vor Kurzem etwa richtete er einen HipHop-Workshop für | |
Mädchen im Istanbuler Stadtteil Avcılar aus. Tunc pendelt zwischen Istanbul | |
und Kreuzberg – und so produziert er seine Songs auch an beiden Orten. Die | |
Streicherarrangements für „Kreuzberger Nächte“ wurden beispielsweise von | |
Musikern in Istanbul eingespielt. In Berlin wurde das Stück dann | |
abschließend produziert. „In Berlin ist mein Zuhause, hier trifft sich die | |
ganze Musikwelt, da fühle ich mich wohl“, sagt der Rapper, der im | |
mittelhessischen Stadtallendorf geboren und als eines von vier Kindern von | |
Arbeitsmigranten aus der zentralanatolischen Stadt Sivas aufgewachsen | |
ist. In Istanbul hat er seinen Zweitwohnsitz. | |
## Konzertszene boomt | |
Bei Interviews in Deutschland wird Tunc ständig zur politischen Situation | |
in der Türkei gefragt. Trotz oder gerade wegen der schwierigen Lage | |
beobachtet er zurzeit einen positiven Trend in der Türkei: „Die Konzert- | |
und Theaterszene boomt, auch außerhalb der Großstädte Istanbul, Ankara und | |
Izmir.“ Tunc selbst wird demnächst sein neues Album „Otobiyograffiti“ mit | |
einer Tour in der Türkei promoten. Wie so viele hat auch er die | |
Ungewissheit des Ausnahmezustands zu spüren bekommen. Nach Bombenattentaten | |
wie in Istanbul und Ankara wurden im vorletzten Jahr mehrere seiner | |
Konzerte abgesagt. Auch die Veröffentlichung des neuen Albums musste Tunc | |
mehrfach verschieben. | |
Unter Jugendlichen in der Türkei sei nicht immer eine politische Motivation | |
vorhanden, beobachtet der 42-jährige Rapper, „aber es ist etwas anderes | |
da“. Zum Beispiel ein wachsendes Interesse an HipHop-Sound. Das war in der | |
Türkei nicht immer so. Davon erzählt die Kulturwissenschaftlerin Verda | |
Kaya in ihrem Buch „HipHop zwischen Istanbul und Berlin“. HipHop hatte | |
laut Kaya in der Türkei bei Weitem nicht dieselbe Bedeutung wie in | |
Deutschland und den USA. Lange Zeit galt Rap als Ghettosound von | |
ungehobelten Afroamerikanern und Deutschtürken, als Ausdruck von | |
Deklassierten, die gegen den Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft | |
antexteten. HipHop bot deshalb keine Identifikationsmöglichkeiten für | |
etablierte türkische Jugendliche und sei zunächst auf Ablehnung gestoßen. | |
Erst als der Whitetrash-Rapper Eminem um das Jahr 2000 „die oberen Plätze | |
der türkischen Charts“ erklomm, „wurde Rapmusik türkisch,“ will Kaya | |
herausgefunden haben. Mit dem Weißbrot Eminem habe sich das Image von | |
HipHop verändert. In dieser Zeit betraten auch die ersten Rap-Eigengewächse | |
wie Ceza, Dr. Fuchs und Sagopa Kajmer türkische Bühnen. | |
Der türkischen HipHop-Szene haben inzwischen auch deutsch-türkische Rapper | |
ihre Stempel aufgedrückt. An Sultan Tuncs Karriere lässt sich ein Stück | |
weit die transnationale Entwicklung von HipHop zwischen Deutschland und der | |
Türkei aufzeigen. Die Grundlage für Tuncs Musikalität ist in seiner Familie | |
angelegt. Sein Großvater spielte auf der Zurna, einem türkischen | |
Holzblasinstrument. Der junge Tunc begleitete seinen Vater, der auch schon | |
mal im Radio aufgetreten war, auf der Darbuka und der Davul, zwei | |
traditionellen Schlaginstrumenten. Als jüngstes Mitglied trat Tunc mit | |
zwölf Jahren Ende der Achtziger der HipHop-Gruppe Victimz of Choice bei, | |
ging mit der multinationalen Truppe auf Tour und trat in Jugendzentren auf. | |
Später erlebte er eine Ernüchterung: „Wir, die Deutschtürken, haben die | |
deutsche HipHop-Szene maßgeblich mitgeprägt. Plattenverträge bekamen aber | |
deutsche Rapper aus der Mittelschicht“, erinnert er sich heute. Als in den | |
Neunzigern in der Türkei eine Popwelle losging, eröffneten sich für | |
türkischsprachige Musiker aus ganz Europa ungeahnte Aufstiegschancen. | |
Arabesk-Pop-Sänger aus Deutschland wie Tarkan, Rafet El Roman und Tuğçe San | |
wurden über Nacht berühmt. Der auch von deutschen Medien gefeierte | |
Rapper-Zusammenschluss Cartel gab sogar in einem Istanbuler Fußballstadion | |
ein Konzert vor Tausenden Fans. | |
## Anruf aus der Türkei | |
„Damals habe ich drei Songs aufgenommen. Irgendwie sind die in die Türkei | |
gelangt. Eines Tages bekam ich einen Anruf von Rafet El Roman. Er nahm mich | |
unter Vertrag.“ Tunc, damals 21, zögerte nicht lange und packte seine | |
Koffer Richtung Istanbul. Auf diesem Wege landete er dort 2003 sein erstes | |
Album „Saygı Değer Şarkılar“ (Sehr geehrte Lieder). Die Hürriyet von d… | |
feierte das Album als „eines der qualitativ besten Alben der Türkei“. | |
Tunc zog die Türkei auch aus einem anderen Grund vor: „In Deutschland hatte | |
ich in all den Jahren das Gefühl, ich müsste Klischees erfüllen, den bösen | |
Gangster spielen, damit Jugendliche meine Alben kaufen.“ Er war nicht der | |
Einzige. Als HipHop nach der Jahrtausendwende in der Türkei immer populärer | |
wurde, verlegten auch andere deutschtürkische Rapper ihre Aktivitäten nach | |
Istanbul. | |
2008 folgte ein neues Album, „Oriental Rap ’n’ Roll“, 2013 die Single �… | |
in Europe“. Musikalisch bietet Sultan Tunc einen Mix aus HipHop, Rock, | |
Arabesk, Reggae und Jazz. Seine Texte sind lustig, teils auch melancholisch | |
und immer unterhaltsam und sozialkritisch. Letzteres gilt insbesondere für | |
die Reime von „Otobiyograffiti“. „İyi polis – kötü polis“ (Gute Po… | |
schlechte Polizei) kann als Kritik an Polizeiwillkür verstanden werden. Die | |
Vielfalt der Menschen in der Türkei besingt „Önce insan“ (Zuerst der | |
Mensch): „Wir alle sind Armenier, Tscherkessen, Aleviten, Türken, Kurden.“ | |
In vielen Stücken kommen anatolische und hiervon auffällig viele | |
alevitische Glaubenssätze, Mystiker, Gelehrte und Helden der Volksliteratur | |
vor, mit denen Tunc neben Public Enemy und berühmten türkischen Rocksängern | |
wie Barış Manço und Cem Karaca großgeworden ist. | |
Tunc singt hauptsächlich für ein türkischsprachiges Publikum. Dabei soll es | |
aber nicht bleiben. Geplant ist zum Ende des Jahres ein Album in deutscher | |
Sprache mit dem nach Reggae klingenden Namen „Rasta Baba Voodoo Session | |
Vol. 1“. Auch in Deutschland kennt man ihn. Vor zwei Jahren trat er in der | |
ZDF-Sendung „Aspekte“ auf, im Mai letzten Jahres bei einem Konzert in | |
Berlin für die Pressefreiheit in der Türkei. Regelmäßig ist er zu hören bei | |
Radioeins im rbb. | |
Dass Tunc, der Sozialwissenschaften studiert hat, zwischen der Türkei und | |
Berlin hin- und herpendelt, hat noch einen weiteren Grund. Er gibt in der | |
Türkei über das Goethe-Institut Workshops für Kindern in Camps an der | |
syrischen Grenze und in Istanbul. Demnächst soll es ein Musical-Video geben | |
aus dem Zusammentreffen von arabischen und Sinti- und Roma-Kindern im | |
Istanbuler Stadtteil Sulukule – „eine Art West-Side-Story mit Happy End“, | |
verrät Tunc. Das sind Kinder und Jugendliche aus Minderheiten, aus deren | |
Reihen bereits jetzt schon eine neue Generation von Rappern in der Türkei | |
hervorgeht. Die bekannteste Gruppe ist Tahribad-ı İsyan aus Istanbul. | |
20 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Hülya Gürler | |
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