# taz.de -- Musiker über deutsche Gastarbeiterkultur: Immer die Drecksarbeit g… | |
> Ozan Ata Canani ist wohl der erste Gastarbeitersohn, der auf Deutsch | |
> sang. Seine Texte über deutsche Politik und Rassismus sind heute noch | |
> aktuell. | |
Bild: Am liebsten steht er auf der Bühne – Ozan Ata Canani bei der Probe in … | |
Leverkusen-Bürrig. Gegenüber ein Fahrradhändler, weiter hinten ein | |
Autohaus. Ist ein ruhiges Viertel, sagt Ozan Ata Canani. Ich bin ja auch | |
ein ruhiger Mensch. | |
Wir stehen vor einem Haus. Eine weiße Wand, drei Stockwerke hoch, gebaut in | |
den sechziger, vielleicht siebziger Jahren. Es ist das Haus, in dem er seit | |
neun Jahren wohnt. Ob ich es sehen kann, fragt er mich. Die Wand ist frisch | |
gestrichen. Wenn man genau hinsieht, kann man unter der getrockneten weißen | |
Wandfarbe noch die Schmiererei erkennen, das Hakenkreuz als Schatten aus | |
der allerjüngsten Vergangenheit. | |
Er ist gleich zur Polizei gegangen, vor ein paar Monaten, sie haben die | |
Anzeige aufgenommen und ihn einige Wochen später zur Zeugenbefragung | |
geladen. Der Kommissar hat gesagt, die Polizei sei sich nicht sicher, ob | |
das überhaupt ein Hakenkreuz sei. Er zeigt mir das Handyfoto. Ist das ein | |
Hakenkreuz, fragt er. Ja, sage ich, ein schlecht gemaltes Hakenkreuz, aber | |
ein Hakenkreuz. Sag ich doch, sagt er. Die wollten mir weismachen, dass das | |
kein Hakenkreuz sei. | |
Vor einer Weile kam ein Brief, er zeigt ihn mir. Die Ermittlungen sind | |
eingestellt, ein Täter konnte nicht ermittelt werden. | |
## „Deutsche Freunde“ – ein historisches Ereignis | |
Als ich 1974 nach Deutschland kam, haben wir zuerst in Bremerhaven gelebt. | |
Mein Vater hat 1978 in Köln einen Job gefunden, deshalb sind wir dahin | |
gezogen. In Bremerhaven hatte ich ganz und gar nichts von | |
Ausländerfeindlichkeit erlebt oder gesehen. Aber als wir nach Köln umzogen, | |
habe ich zum ersten Mal Schmierereien an Hauswänden gesehen: Ausländer | |
raus! Und Hakenkreuze. Es gab Gasthäuser, da stand an den Wänden: Türken | |
verboten! | |
Man muss wissen: Damals, Ende der siebziger Jahre, [1][wollten die | |
deutschen Politiker die ausländischen Gastarbeiter wieder zurückschicken]. | |
Da haben Leute schon zwanzig Jahre hier gearbeitet, es gab Leute, die waren | |
schwerkrank, aber die sollten wieder verschwinden. Da gab es eine große | |
Debatte. | |
Eines Tages habe ich dann in einer Zeitschrift der IG Metall dieses Zitat | |
von Max Frisch gefunden: Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen | |
Menschen. Das war der Auslöser und Ausgangspunkt für mich, [2][„Deutsche | |
Freunde“] zu schreiben. Mit „Deutsche Freunde“ meinte ich die Politiker in | |
Bonn. Die deutsche Hauptstadt war damals noch in Bonn. | |
„Deutsche Freunde“ ist ein historisches Ereignis: Vermutlich zum ersten Mal | |
singt ein türkischer Migrant auf Deutsch, spricht das Land, in dem er | |
wohnt, das aber nicht heimisch sein soll, direkt an. Canani spricht für die | |
erste Generation, für die „Drecks- und Müllarbeiter, Stahlbau- und | |
Bahnarbeiter“ aus „Türkei, aus Italien, aus Portugal, Spanien, | |
Griechenland, Jugoslawien“. Er singt: „Arbeitskräfte wurden gerufen, unsere | |
deutschen Freunde, aber Menschen sind gekommen, unsere deutschen Freunde, | |
nicht Maschinen, sondern Menschen.“ Aber er spricht auch für sich, die | |
zweite Generation: „Und die Kinder dieser Menschen leben in zwei Welten. | |
Ich bin Ata und frage euch, wo wir jetzt hingehören.“ | |
Die Leute der ersten Generation waren in Gedanken immer noch in der Türkei. | |
Der Körper war in Deutschland, aber der Geist war noch in der Türkei. Die | |
haben auch nicht verstanden, wenn wir aus der zweiten Generation das anders | |
gesehen haben. Zu Hause waren wir Türken, und draußen, in der Schule, waren | |
wir in einer anderen Welt. Ich glaube, dass viele Deutsche zu verstehen | |
versuchen, wie wir uns fühlen. Aber wer nicht zwei Kulturen in seinem | |
Herzen hat, der wird das nie richtig nachvollziehen können. Wir, die zweite | |
Generation, wurden wie ein Tennisball zwischen zwei Kulturen hin und her | |
geditscht, waren geteilt zwischen zwei Welten. | |
Da gab es jede Menge Konflikte. Auch mein Vater hat ganz andere | |
Vorstellungen gehabt, wie ich sein sollte. Seiner Meinung nach hatte ich | |
mich zu sehr an die deutsche Kultur angepasst. Ich habe die türkische | |
Kultur ganz und gar nicht vergessen. Aber ich finde, man sollte sich schon | |
ein Stück anpassen an das Land, in dem man lebt, das ist meine Meinung. | |
Denn mir war schon damals, Anfang der achtziger Jahre, klar, dass wir zu | |
Deutschland gehören. | |
Bei meinem Vater sah das anders aus, der hatte nie das Gefühl, zu | |
Deutschland zu gehören. Er ist 1971 nach Deutschland gegangen und wollte | |
zwei Jahre bleiben, sich ein Haus in der Türkei bauen und darin einen Laden | |
eröffnen. Das war sein Plan. Nach drei Jahren hat er meine Mutter nach | |
Deutschland rübergeholt, wieder ein Jahr später kam ich nach. Aber mein | |
Vater hat immer gehofft, dass er wieder zurückkehrt. Mit 65 ist er in | |
Deutschland in Rente gegangen, mit 71 in Witten gestorben. Das war vor zwei | |
Jahren. | |
Die Wohnung ist klein. Ich brauche nicht viel Platz, hier ist alles, was | |
ich brauche, sagt Canani. Wir sitzen in der cremefarbenen Couchgarnitur, | |
seine Frau bringt Kaffee. Auf dem Couchtisch stehen Weintrauben, an der | |
Wand hängt ein Teppich mit dem Porträt Atatürks. In der Ecke ein kleines | |
Keyboard, an der Wand acht Exemplare der Saz, Cananis Instrument, in der | |
Ecke steht eine neunte. An einer anderen Wand Fotos aus den Achtzigern: | |
Canani mit mehr Haaren und der Saz im Arm. Später gibt es mit Käse gefüllte | |
Teigtaschen. | |
## „Die erste Generation hat mich ausgelacht“ | |
Ich habe mit zwölf Jahren angefangen, die Saz zu spielen. Nach sechs | |
Monaten war ich schon ganz gut. Anfangs habe ich nur Lieder von anderen | |
nachgespielt, vor allem von Aşık Mahzuni Şerif, der war mein Idol. Der hat | |
auch politische Lieder geschrieben. Ich durfte einmal mit ihm auf die | |
Bühne, als ich 13 war. Der wollte mich sogar mit auf Tour durch Deutschland | |
nehmen, aber mein Vater hat das nicht erlaubt. | |
Mein Vater war ein strenger Muslim. Der wollte aus mir einen Hodscha | |
machen, einen islamischen Religionsgelehrten. Am Anfang hat er noch gesagt: | |
Du kannst gut singen und spielen. Aber nach und nach hat er gemerkt, dass | |
ich kein Hodscha werden wollte. Da gab es viele Auseinandersetzungen. Ich | |
habe irgendwann den Kontakt abgebrochen. 30 Jahre lang hatte ich keinen | |
Kontakt zu meinem Vater. Dass er gestorben war, habe ich erst von meinem | |
Bruder erfahren. Sich von seiner Familie loszusagen ist für niemanden | |
leicht, aber für einen Türken besonders schlimm. Ich bin trotzdem froh, | |
dass ich meinen eigenen Weg gegangen bin. | |
Ich habe mich Ozan Ata Canani genannt. Ozan heißt Liedermacher. Ata war | |
mein Spitzname als Kind, weil es zu viele Mehmets in meiner Familie gab. | |
Und Canani heißt: Der mit dem Herzen gibt und nimmt. Mein Idol Aşık Serif | |
hat mal in einem Interview gesagt: Ein Ozan sollte die Problematiken seiner | |
Zeit in seinen Liedern abbilden. Das hat niemand so gut gemacht wie er. Und | |
das war auch der Weg, den ich gehen wollte. | |
Gespielt habe ich damals vor allem bei Hochzeiten. Die werden bei uns | |
Türken riesig gefeiert, mit mindestens 300, 400 Leuten. Einmal hab ich vor | |
3.000 Leuten gespielt mit der Hochzeitskapelle, in der ich gespielt habe. | |
Da habe ich manchmal auch meine eigenen Lieder gespielt. Lieder auf | |
Türkisch, in denen es um die Sehnsucht nach Heimat ging, um das Leben in | |
der Fremde, darum, wie die Ausländer von den Deutschen gesehen werden. Aber | |
die erste Generation hat mich nur ausgelacht, denen waren die Lieder zu | |
problematisch, die haben mich gar nicht verstanden. Die Menschen der ersten | |
Generation, für die war es nicht wichtig, was in der Welt um sie herum los | |
war. Die dachten, sie gehen für zwei oder drei Jahre nach Deutschland. Aber | |
die Leute der zweiten Generation, die haben zugehört. | |
## Mehr als 250 Songs geschrieben | |
Damals habe ich nur türkisch gesungen. Aber wenn ich mit meinen türkischen | |
Liedern vor deutschen Zuhörern aufgetreten bin, haben die mich immer | |
gefragt: Worum geht es denn in dem Text? Was wird da ausgesagt? So kam ich | |
auf die Idee, auch deutsche Texte zu schreiben. Dann habe ich „Deutsche | |
Freunde“ und noch ein paar andere deutsche Lieder geschrieben. Die habe ich | |
dann bei den Hochzeiten auch hin und wieder gesungen. Wenn deutsche Gäste | |
da waren, kamen die immer und wollten mit mir über die Lieder sprechen. | |
Aber die Türken? Die hatten kein Interesse. Obwohl ich ja von deren Leben | |
erzählt habe in meinen Liedern. | |
Aber es gab Menschen, die das hören wollten. Ich war sogar mehrfach im | |
deutschen Fernsehen, weil ich der erste Ausländer war, der deutsch gesungen | |
hat. Ich habe damals einfach bei Biolek angerufen. Ich habe denen eine | |
Kassette mit dem Lied hingeschickt und dann hat mich die Redaktion der | |
„Showbühne“ zurückgerufen. Der Biolek war ein ausländerfreundlicher Mens… | |
der hatte einen guten Charakter. | |
Es wäre schön gewesen, wenn ich von der Musik hätte leben können. Das war | |
ein Traum. Aber ich war schon froh, wenn die Leute geklatscht haben, wenn | |
ich auf der Bühne stand. | |
Ich habe in meinem Leben ungefähr 250 Songs geschrieben. Es sind so viele, | |
dass ich manche schon wieder vergessen habe. Manchmal fahre ich in das | |
Dorf, aus dem ich stamme, und besuche die Familie. Mein Großvater lebt | |
noch, der ist jetzt über 90. Aber er hat noch ein gutes Gedächtnis, besser | |
als meins. Wenn ich komme, sagt er: Spiel doch mal dieses Lied. Und ich | |
frage: Welches meinst du? Dann zitiert er die ersten Zeilen des Textes und | |
erst dann erinnere ich mich, dass ich das einmal geschrieben habe. | |
## „Ich konnte mich nie gut verkaufen“ | |
30 bis 40 meiner Lieder sind damals auf Kassette erschienen. Die Kassetten | |
gab es dann in den türkischen Läden, die auch Musikkassetten, Schallplatten | |
und VHS-Kassetten mit Filmen aus der Türkei verkauft haben. In der Türkei | |
gab es meine Kassetten nicht zu kaufen, trotzdem habe ich einen Namen in | |
der Türkei. Wenn ich heute in die Türkei fahre, bekomme ich immer noch | |
Anfragen, ob ich im Fernsehen auftreten will. Das liegt daran, dass einige | |
türkische Sänger manche meiner Lieder nachgespielt haben. Für die bekomme | |
ich zwar keine Tantiemen, weil ich mich nicht bei der Gema angemeldet habe. | |
Seit zwei Jahren arbeite ich daran, mich bei der Gema anzumelden, aber ich | |
ersticke in Papieren. Deutschland ist ein Papierkramland. | |
Und ich habe mich auch nie gut verkaufen können. Ich bin ein sehr | |
schlechter Geschäftsmann. Ich singe und spiele lieber. Ich will nicht | |
angeben, aber ich kenne Leute, die regelmäßig auftreten, aber lange nicht | |
so gut sind wie ich. Mir hat halt immer ein Manager gefehlt. Heute läuft | |
alles über das Internet, aber da kenne ich mich nicht wirklich gut aus. | |
Als Bülent Kullukcu und Imran Ayata im Jahr 2013 „Songs of Gastarbeiter | |
Vol. 1“ zusammen stellten, war ihnen klar, dass auf solch einer Compilation | |
„Deutsche Freunde“ nicht fehlen durfte. Aber als sie Canani kontaktierten, | |
musste der ihnen sagen, dass es keine Aufnahmen des historischen Lieds mehr | |
gab. Cananis Exfrau hatte nach der Trennung die Aufnahmebänder weggeworfen. | |
Kullukcu und Ayata schickten Canani ins Studio, um sein altes Lied noch | |
einmal neu aufzunehmen. „Deutsche Freunde“ eröffnet die Compilation. | |
Ich danke Bülent und Imran, die haben mir wieder Hoffnung gegeben, sagt | |
Canani. Vor ein paar Monaten hat er eine Single veröffentlichen können: In | |
„Alle Menschen dieser Erde“ erzählt er von seinem festen Glauben daran, | |
dass Menschen gut miteinander auskommen können. „Lern den anderen zu | |
verstehen, ist der Weg dahin auch weit“, singt er. | |
Canani holt sich noch einen großen Pott Kaffee. Das Rauchen hat er nach | |
einem Herzinfarkt vor zwei Jahren aufgegeben. Manchmal gönnt er sich noch | |
Kautabak. | |
## Trennung von der Familie | |
Nachdem ich mich mit meinem Vater zerstritten hatte, habe ich als | |
Hilfsarbeiter gearbeitet. Dann wurde mir klar, dass ich einen Beruf lernen | |
sollte. Ich habe Radio- und Fernsehmechaniker gelernt und dann ein paar | |
Jahre in dem Beruf gearbeitet. Aber als Junggeselle hat man damals 1.200 | |
Mark verdient, das war zu wenig. Also bin ich in eine Elektrofirma | |
gewechselt. Dort habe ich mich hochgearbeitet. Ich habe mich immer | |
hochgearbeitet. Wir hatten auch eine Zweigstelle in Taiwan. Mein Chef hat | |
mal gesagt: Wenn wir hier ein Teil für 800 Mark produzieren, wenn wir das | |
in Taiwan herstellen und nach Deutschland schaffen, dann kostet uns das 300 | |
Mark. Da würde ich als Arbeitgeber auch nach Taiwan gehen. | |
Die Ausländer haben immer die Drecksarbeit machen müssen. Ich auch. Jede | |
Arbeit hat schlechte Seiten, aber wenn es eine Scheißarbeit gab, dann | |
durften die immer die Ausländer machen. | |
36 Jahre lang habe ich gearbeitet, nur gearbeitet. Vor zwei Jahren hatte | |
ich einen Herzinfarkt, seitdem kann ich nicht mehr arbeiten. Seit drei | |
Monaten lebe ich von Hartz IV, dafür schäme ich mich. Ich habe so lange | |
gearbeitet, das darf nicht sein. | |
Ich habe mich integriert, auf jeden Fall. Bis Mitte der Achtziger hätte ich | |
gesagt: Die Türkei ist meine Heimat. Nach dem Streit mit meinem Vater habe | |
ich beschlossen: Meine Heimat ist dort, wo ich lebe. Heute ist Deutschland | |
meine Heimat. Hier lebe ich, hier zahle ich Steuern, ich habe einen | |
deutschen Pass, keinen türkischen mehr. Ich wollte wählen in dem Land, in | |
dem ich lebe. | |
Ich bin jemand, der viele deutsche Freunde hat. Keiner meiner türkischen | |
Bekannten kennt so viele Deutsche wie ich. Ich muss auch sagen: Viele | |
Türken sollten sich mehr integrieren, wenn sie hier leben. Aber es gibt | |
auch Deutsche, die haben Integrationsprobleme. Die sollten sich mal dran | |
gewöhnen, dass es Ausländer hier gibt in diesem Land. Wenn etwas | |
schiefläuft, dann sind gleich die Ausländer schuld. | |
## „Man darf sich nicht einschüchtern lassen“ | |
Vom [3][Nagelbombenattentat auf der Keupstraße] habe ich ein, zwei Stunden | |
nach der Explosion erfahren. Ich habe damals schon gesagt, das müssen | |
Rechtsextreme gewesen sein. Das war nicht nur ein Attentat auf einzelne | |
Menschen, sondern auf alle Ausländer. Da wurde Blut vergossen, die | |
Rechtsextremen wollen allen Angst machen, auch mir. Und das war ja nicht | |
der einzige Fall. [4][Wir hatten Mölln, wir hatten Solingen], ständig hat | |
man etwas gelesen. Da stellt man sich schon die Frage: Wo geht Deutschland | |
hin? | |
Ich habe nur ein paar Straßen von der Keupstraße entfernt gelebt, ich war | |
dort oft zum Einkaufen oder Essen. Ich hatte danach keine Angst, mein Leben | |
in Köln hat sich nicht verändert. Man darf sich nicht einschüchtern lassen. | |
Viele Türken aber hatten Angst. Manche meiner Freunde haben nach dem | |
Anschlag gesagt: Wir waren vor sechzig Jahren Ausländer, wir sind immer | |
noch Ausländer. Und ich hatte das Gefühl, es gab manche Deutsche, die haben | |
sich innerlich gefreut über den Anschlag. | |
Laut meinen Papieren gehöre ich in dieses Land, ich habe einen deutschen | |
Pass. Aber ich spüre immer noch, dass ich ein Ausländer bin. Wenn ich | |
schwarze Haare habe, dann bin ich immer der Ausländer. Wir hatten vor zwei | |
Monaten ein Hakenkreuz an der Hauswand. Warum hier an diesem Haus, in dem | |
viele Ausländer leben? Warum nicht auf der anderen Straßenseite? Da habe | |
ich gemerkt, dass sich nichts verändert hat: Die Ausländerfeindlichkeit ist | |
noch dieselbe wie damals, als ich „Deutsche Freunde“ geschrieben habe. | |
## Hoffnung auf eine bessere Welt | |
Trotzdem glaube ich daran, dass Musik die Welt verbessern kann. Denn Musik | |
ist eine Gefühlssache. Musik geht direkt ins Blut rein, direkt ins Herz. | |
Musik ohne Gefühl ist nichts. Ich weiß zwar nicht, ob meine Lieder schon | |
etwas verändert haben. Aber wenn ich auf YouTube gehe und sehe, wie viele | |
Menschen meine Lieder schon angesehen haben, dann hoffe ich, dass ich diese | |
Welt vielleicht ein wenig besser gemacht habe. | |
Vor ein paar Monaten, erzählt Canani, hat er einen Artikel gelesen, in dem | |
er mit dem Rapper Eko Fresh verglichen wurde. Bis dahin hatte er sich gar | |
nicht für HipHop interessiert. Nun hat er sich ein paar Sachen auf YouTube | |
angesehen. Die Musik ist nicht meins, sagt er, aber die Texte fände er | |
interessant. Eigentlich sind das auch Protestlieder wie meine, sagt Canani. | |
Der [5][Berliner Rapper Chefket], der so virtuos mit der deutschen Sprache | |
umgeht wie kaum jemand sonst, hat unlängst ein neues Album veröffentlicht. | |
Auf dem gibt es einen Track, der „Fremd“ heißt und den man als Fortsetzung | |
von „Deutsche Freunde“ lesen könnte. „Zuerst war ich angepisst, dann | |
angepasst“, heißt es in dem Song. Und: „Jeder fragt mich, was ich bin, und | |
verstehen’s nicht.“ Das Fazit: „Ich bleibe hier für immer fremd.“ | |
Ata Canani kennt den Song nicht. Von Chefket hat er noch nie gehört. | |
Vielleicht guckt er sich ihn mal auf YouTube an. | |
16 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /50-Jahre-Tuerkinnen-in-Deutschland/!5113015 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=w3t5CIIcAXc | |
[3] /NSU-Prozess-zu-Koelner-Bombenanschlag/!5023996 | |
[4] /Debatte-25-Jahre-nach-Solingen/!5506017 | |
[5] /Neues-aus-dem-HipHop-Underground/!5220160 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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