# taz.de -- Engpässe bei wichtigen Medikamenten: Fiebersaft ist aus | |
> Viele Medikamente sind im Moment nur schwer erhältlich. Die | |
> Lieferengpässe verschärfen die ohnehin schon angespannte Lage in Praxen | |
> und Kliniken. | |
Bild: Apotheken klagen über Lieferengpässe bei der Medikamentenbeschaffung | |
BERLIN taz | Seit Jahren gibt es immer wieder Lieferengpässe bei | |
Medikamenten. „Aber so eine Situation, wie wir sie momentan erleben, hatten | |
wir noch nie, seit ich Apothekerin bin“, sagt Anke Rüdinger aus dem | |
Vorstand der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Neben | |
Fiebersaft seien Medikamente aus der ganzen Bandbreite des Sortiments nicht | |
mehr lieferbar: Hustenmittel, Antibiotika in bestimmten Darreichungsformen, | |
Magen-Darm-Mittel, Blutdruckmedikamente. | |
Zwar könne man noch alle Kund:innen versorgen, erzählt Rüdinger, seit | |
1991 Apothekerin in Berlin. Aber mit deutlich erhöhtem Aufwand: Hersteller | |
und Großhandel abtelefonieren, mit Kund:innen alternative Darreichungs- | |
und Dosierungsformen besprechen, mit Ärzt:innen Rücksprache halten und im | |
Zweifel nicht verfügbare Medikamente selbst herstellen. | |
Immerhin, sagt Rüdinger, sei die | |
Sars-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung noch in Kraft und die | |
Apotheken können von den Rabattverträgen mit den Krankenkassen abweichen. | |
Sonst wären viele Alternativen gar nicht oder nur mit neuer Verordnung | |
möglich. | |
Ebenjene Krankenkassen gelten auch als eine der vielen Ursachen für die | |
wiederkehrenden Lieferengpässe. Sie sind per Vergaberecht gezwungen, mit | |
den billigsten Herstellern zusammenzuarbeiten. In der Folge wurde in den | |
letzten Jahren nicht nur die Rohstoffproduktion in Niedriglohnländer | |
verlagert. Immer wieder ziehen sich auch Hersteller aus nicht lukrativen | |
Arzneimittelproduktionen zurück. Bei vielen Medikamenten sind nur noch | |
wenige Anbieter verblieben, manchmal nur noch ein einziger. | |
## 300 Medikamente mit längeren Engpässen | |
Weil deren Produktionsstätten aus Kostengründen kaum Reserven nach oben | |
haben, ist eine Mehrproduktion oft nicht ohne weiteres möglich. Globale | |
Lieferketten, wenige Anbieter: Das macht das System anfällig für | |
Lieferengpässe. | |
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist seit | |
2013 zuständig für die Erfassung von Lieferengpässen. Ein Beirat aus | |
Vertreter:innen von Apotheken, Politik, Medizin, Krankenkassen, | |
Herstellern und Pharma-Handel gibt seit 2020 Empfehlungen zum Umgang mit | |
Versorgungsproblemen. Aktuell stehen rund 300 Medikamente auf einer Liste, | |
die Lieferengpässe von mindestens 14 Tagen anzeigt. Gemeldet werden diese | |
von den Herstellern – per freiwilliger Selbstverpflichtung. | |
Den letzten echten Versorgungsengpass habe man Anfang des Jahres bei dem | |
Brustkrebsmedikament Tamoxifen gesehen, heißt es aus dem Bundesinstitut. | |
Auch hier hatten sich Anbieter zurückgezogen, weil sie nicht mehr | |
kostendeckend produzieren konnten. Die übrigen Hersteller konnten das nicht | |
auffangen. Beim BfArM und dem Bundesgesundheitsministerium zog man | |
daraufhin alle Register: Exportverbot, Importöffnung, Kontingentierung der | |
Abgabe an Apotheken und Patient:innen. | |
Auch bei den Fiebersäften ist in diesem Jahr einer der größten Hersteller | |
ausgestiegen. Kurz nachdem das im Frühsommer publik wurde, stieg der | |
Apothekeneinkauf rasant an. Schon im August gab es eine Empfehlung des | |
BfArM-Beirats zum Umgang mit der eingeschränkten Verfügbarkeit. Die an | |
Apotheken gelieferte Menge von Fiebersäften ist aber offenbar nicht | |
gesunken: Im Vergleich zu 2019 wurde in diesem Jahr sogar mehr Fiebersaft | |
bestellt und geliefert. | |
## Apotheker:innen wollen mehr Geld | |
Vom BfArM heißt es, neben dem erhöhten Bedarf durch die vielen | |
Atemwegserkrankungen könnten Bevorratungen und regionale | |
Ungleichverteilungen eine Rolle bei dem aktuellen Engpass spielen. | |
Der Beirat des Bundesinstituts empfiehlt den Apotheken deshalb dringend, | |
keine Vorräte über den Bedarf einer Woche hinaus anzulegen, da dies zu | |
Unterversorgungen an anderer Stelle führt. Älteren Kindern sollten | |
Tabletten als Alternative angeboten werden. Bei Bedarf können die Apotheken | |
auch Fiebersäfte selbst herstellen – dafür erhalten sie eine zusätzliche | |
Vergütung. | |
Bei den Kinder- und Jugendärzten sorgen die Engpässe für zusätzlichen | |
Unmut. Denn neu sind sie auch hier nicht: In der Vergangenheit mussten etwa | |
Masernimpfungen mangels Impfstoff verschoben werden. Nun kämen Eltern | |
mehrmals in die ohnehin überfüllten Praxen, weil zum Beispiel bestimmte | |
Antibiotika nicht verfügbar sind und sie Rezepte für Ausweichprodukte | |
bräuchten, erzählt Jakob Maske, Bundessprecher des Kinder- und | |
Jugendärzteverbands. Er müsse dann auf das Mittel zweiter oder sogar | |
dritter Wahl ausweichen. | |
„Das ist eine deutliche Qualitätsminderung in der medizinischen Versorgung, | |
und zwar wieder bei den Kindern“, kritisiert Maske. Vor dem Hintergrund der | |
[1][Versorgungskrise in den Kinderkrankenhäusern] sollten auch Eltern mehr | |
Druck auf die Politik ausüben, meint er. | |
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versprach Ende November, in | |
Kürze ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Ursachen von | |
Lieferengpässen eindämmt. Der Kinderärzte-Verband fordert kurzfristig | |
[2][eine politisch angeschobene Beschaffungsaktion] für die fehlenden | |
Medikamente nach dem Vorbild der Corona-Impfstoffe. Der Apothekerverband | |
will ein weiteres Zusatzhonorar für den gestiegenen Arbeitsaufwand der | |
Apotheker:innen. | |
15 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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