| # taz.de -- Grünen-Politiker zu Arzneimittelmangel: „Müssen im Notfallmodus… | |
| > Was tun gegen den Engpass bei Fiebersaft und Co.? Der grüne | |
| > Gesundheitsexperte Janosch Dahmen stellt eine schnelle Krisenhilfe der | |
| > Ampel in Aussicht. | |
| Bild: Lieferausfälle und gehäufte Krankheiten: In Deutschland fehlen Medikame… | |
| taz: Herr Dahmen, Fiebersäfte sind in vielen Apotheken nicht mehr | |
| verfügbar, andere Medikamente sind ebenso knapp. Eine Krise mit Ansage? | |
| Janosch Dahmen: Aktuell erleben wir im Bereich der Arzneimittelversorgung | |
| einen wirklich empfindlichen Engpass. Dieser hat sich nach dem Ausfall | |
| wichtiger Lieferungen von Fiebersäften und anderen Antiinfektiva wie | |
| Antibiotika in den letzten Wochen abgezeichnet. Hinzu kommt, dass die | |
| Gleichzeitigkeit mehrerer Atemwegserkrankungen und der Wegfall von anderen | |
| Schutzmaßnahmen zu einer Infektionsdynamik geführt hat, die aktuell über 10 | |
| Millionen Menschen in Deutschland hat krank werden lassen – alle | |
| überwiegend mit akuten Erkrankungen, die auf die Versorgung mit diesen, | |
| zumindest im Bereich der Kinderdosierung knappen Medikamenten angewiesen | |
| sind. Und wir erleben nun, dass diese starke Nachfrage einerseits und die | |
| hohe Abhängigkeit und Labilität von Lieferketten andererseits uns sehr | |
| vulnerabel macht. | |
| Es gibt also mehr Krankheiten. Zugleich ist der Engpass an Medikamenten | |
| regional sehr unterschiedlich. | |
| Neben der gestiegenen Nachfrage und der geringeren Liefermenge haben wir | |
| auch ein Verteilungsproblem. Es ist – nachdem bekannt wurde, dass es | |
| vermutlich Lieferengpässe in der Herbst-/Wintersaison geben wird – bereits | |
| im Sommer dazu gekommen, dass regional sowohl vom Großhandel als auch | |
| einzelnen Apotheken vermehrt zum Beispiel Ibuprofen-Fiebersäfte und auch | |
| Paracetamol-Fieberzäpfchen aufgekauft wurden. In Deutschland erleben wir | |
| jetzt, dass es Regionen gibt, wo Apotheken flächendeckend gar nichts mehr | |
| liefern können, während es an anderen wenigen Standorten zurzeit noch | |
| Reserven gibt. Es wäre deshalb dringend geboten, dass wir jetzt wie immer | |
| dann, wenn etwas knapp wird, diese knappen Ressourcen zentral steuern und | |
| koordinieren. | |
| Kinderärzte fordern, dass sofort staatlich eingeschritten wird, um den | |
| derzeitigen Mangel zu beheben. Lässt sich akut ein Verteilungsmodus | |
| anschieben? | |
| Wir brauchen ein Krisenmanagement, das jetzt die akute Situation in den | |
| Blick nimmt und sicherstellt, dass knappe Medikamente bestmöglich verteilt | |
| werden. Wir müssen einerseits kurzfristig nach Möglichkeiten suchen, durch | |
| zusätzlichen Ankauf und Nachschub aus dem Ausland die Versorgung zu | |
| verbessern. Gleichzeitig müssen wir ermöglichen, dass in den Apotheken | |
| lokal Wirkstoffe schnell und unbürokratisch aufbereitet werden können. | |
| Dafür brauchen wir entsprechende rechtliche Voraussetzungen, so dass dies | |
| bei zurzeit nicht anders verfügbaren Arzneimitteln kurzfristig den | |
| Apotheken erlaubt und den Patienten ohne ein neues Rezept ermöglicht werden | |
| kann. | |
| Und was plant die Ampel, der sie als Grünen-Politiker angehören? | |
| Wir sind in der Vorbereitung sowohl für umfangreiche Reformen, die in den | |
| letzten Jahren liegen geblieben sind, als auch von kurzfristig auf die | |
| Krise ausgerichteten Maßnahmen. Der Gesundheitsminister wird schon in den | |
| nächsten Tagen konkrete Gesetzgebungsvorschläge und weitere Maßnahmen dazu | |
| vorstellen. | |
| Was halten Sie von einer gemeinsamen Kraftanstrengung in der EU zur | |
| Medikamentenbeschaffung ähnlich wie zur Beschaffung von Impfstoffen zu | |
| Pandemie-Hochzeiten? | |
| Die Solidarität in der Sicherstellung von Gesundheitsversorgung, | |
| einschließlich der Sicherstellung von Produktionskapazitäten bei der | |
| Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln, ist immer auch eine europäische | |
| gemeinsame Aufgabe. Anders als bei der rein europäischen Beschaffung von | |
| Impfstoffen, ist eine Gleichzeitigkeit von europäischer Abstimmung und | |
| spezifischen, auf die Situation in Deutschland ausgerichteten Maßnahmen | |
| jedoch in diesem Fall geboten. | |
| Angesichts der Mangellage werden Forderungen laut, die Produktion von | |
| Medikamenten verstärkt in Deutschland anzusiedeln. Machbar? | |
| In den vergangenen Jahren haben wir im Bereich patentierter neuer | |
| Medikamente eine rasante Preisentwicklung hin zu immer teureren | |
| Arzneimittelpreisen erlebt. Gleichzeitig haben wir bei den sehr einfachen | |
| Medikamenten, die als Generika ohne ein Patent in der Regel günstig | |
| produziert werden, einen immer stärkeren Preisdruck auf die Hersteller | |
| erlebt. Es ist kaum mehr wirtschaftlich, auch bei gestiegenen Preisen, | |
| diese einfachen Medikamente zu produzieren. Das hat dazu geführt, dass | |
| selbst dort, wo es noch Produktionsstätten in Deutschland oder Europa gab, | |
| diese immer mehr in andere Länder verlagert wurden. Um diesen Entwicklungen | |
| gegenzusteuern, wird die Koalition dazu in Kürze einen Gesetzentwurf | |
| vorlegen. Das soll beispielsweise den Krankenkassen erlauben, nicht immer | |
| nur die billigsten Medikamente zu bezahlen, sondern künftig auch | |
| wirtschaftliche Alternativen mit zu erstatten. | |
| Das heißt, es wird mittelfristig teurer für die Beitragszahler:innen? | |
| Wie in anderen Bereichen des Gesundheitswesens, haben wir es auch bei der | |
| Arzneimittelversorgung in der Vergangenheit übertrieben mit der Ökonomie. | |
| Ich gehe davon aus: Wenn man Medikamente wie die, die uns im Moment fehlen, | |
| in Deutschland und Europa produziert, dann wird das mehr kosten als in | |
| anderen Teilen der Welt, wo derzeit produziert wird. Da wir ein Interesse | |
| daran haben müssen, eine verlässliche Versorgung mit existenziellen | |
| Medikamenten auch künftig zu sichern, kommen wir nicht umhin, dass wir über | |
| die gesetzliche Krankenversicherung auch höhere Preise im Bereich der | |
| Generika im Einzelfall in Kauf nehmen müssen. | |
| Wir haben einen Mangel an Medikamenten, eine verschärfte Situation an den | |
| Kliniken, überall fehlt Personal. Müssen wir uns auf ein Gesundheitssystem | |
| im Dauerkrisenmodus einstellen? | |
| Wir erleben zurzeit die Gleichzeitigkeit eines jahrelangen Reformstaus, | |
| eines erheblichen Fachkräftemangel und das Auftreten mehrerer | |
| gleichzeitiger Atemwegserreger. Diese Kombination von Belastungen wird dazu | |
| führen, dass unser ohnehin überlastetes Gesundheitswesen in eine weiterhin | |
| schwierige Situation gerät. Es bedarf deshalb wichtiger, umfassender | |
| Reformen. Dazu gehören die Krankenhausstrukturreform, die Digitalisierung | |
| im Gesundheitswesen, aber auch Reformen, um mehr Pflegepersonal zu | |
| bekommen. Bis die Reformen wirken, müssen wir in akuten Krisen mit einem | |
| Notfallmodus reagieren. Das bedeutet insbesondere, mit den knappen Gütern | |
| so zu haushalten, damit wir bestmöglich durch diese schwere Zeit kommen, | |
| bis die Reformen zu wirken beginnen. | |
| 18 Dec 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Tanja Tricarico | |
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