# taz.de -- Energiewende wegen Ukrainekrieg: EU erklärt ihre Unabhängigkeit | |
> Mit einem neuen Energiepaket will die EU weg von russischem Öl und Gas. | |
> Doch nicht alle Maßnahmen sind mit dem Klimaschutz vereinbar. | |
Bild: Windpark Horns Rev vor Esbjerg: „Die Nordsee zu einem grünen Kraftwerk… | |
BERLIN taz | Die Kommissarin hatte es eilig. Atemlos spulte Kadri Simson, | |
EU-Kommissarin für Energiepolitik, am Mittwochmittag ihre Präsentation vor | |
den JournalistInnen in Brüssel herunter: „Wir legen hier den Plan vor, wie | |
wir die gefährliche Abhängigkeit der EU von russischer fossiler Energie | |
beenden können“, sagte die Politikerin zum „REPowerEU“-Plan der Kommissi… | |
Sie verkündete noch schnell die Eckpunkte, dann musste sie los ins dänische | |
Esbjerg: Zum „Wind auf See“-Gipfel mit Dänemark, Deutschland, Belgien und | |
den Niederlanden. Da wurde erklärt, man wolle „die Nordsee zu einem grünen | |
Kraftwerk machen, zu einem Offshore-System der Erneuerbaren.“ | |
Die Zeit drängt nun auch in Brüssel. In Windeseile hat die EU Pläne | |
gemacht, wie sie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vom | |
russischen Gas und Öl wegkommen will. REPowerEU bedeutet: Bis 2030 sollen | |
45 statt bisher nur 40 Prozent der europäischen Energie aus Ökoquellen | |
stammen, die Energieeffizienz soll um 13 statt wie geplant um 9 Prozent | |
steigen. Wind- und Sonnenenergie sollen schnell wachsen, die Kapazität für | |
Solarstrom soll bis 2030 gegenüber heute verdoppelt werden. | |
Dazu sucht die EU nach Partnern für Gas oder Wasserstoff und setzt Regeln | |
des Energiemarkts aus. Der „barbarische“ Krieg habe neben menschlichem Leid | |
auch „die Energiemärkte durcheinander gewirbelt“ und eine „riesige | |
Herausforderung“ geschaffen, sagte Frans Timmermans, EU-Klimakommissar. Die | |
Richtung ist klar: Schneller weg von den Fossilen, hin zu mehr Effizienz | |
und Erneuerbaren. „Es ist dringender als je zuvor, dass Europa sein | |
Schicksal in die eigenen Hände nimmt“, so Timmermans. | |
Diese energiepolitische Unabhängigkeitserklärung hat viele Seiten: Bisher | |
bezog Europa für jährlich etwa 100 Milliarden Euro 155 Milliarden | |
Kubikmeter Gas aus Russland, 40 Prozent seines Verbrauchs. Das sei | |
inzwischen auf 26 Prozent gesunken, heißt es. 80 Milliarden Kubikmeter des | |
Russengases sollen bis Ende des Jahres ersetzt sein: Durch Erneuerbare und | |
Wasserstoff, durch Sparen und durch Biomethan. Bis 2027 will die EU ganz | |
frei von Russlands Importen sein und sucht Gas und Wasserstoff: in den USA | |
und Kanada, am Persischen Golf oder in Afrika. | |
## Eingriffe in den Markt | |
Bei den Erneuerbaren soll es – ganz ähnlich wie in Deutschland – viel | |
schneller gehen. In einem Jahr sollen Wind- und Solarparks grünes Licht | |
bekommen können, sie werden zu Projekten von „überragendem öffentlichen | |
Interesse“ erklärt und in einigen „To go“-Zonen mit besonders guten | |
Bedingungen gefördert – aber das soll „nicht auf Kosten der Umwelt gehen�… | |
Um Gaspreise stabil zu halten, lässt die EU-Kommission weitgehende | |
Eingriffe in den Markt zu: Obergrenzen für Preise, auch für kleine und | |
mittlere Unternehmen, das Abschöpfen von exorbitanten Gewinnen der | |
Energiekonzerne, Rationierung von Gas über Ländergrenzen hinweg, falls | |
Russland den Hahn zudreht. Dazu eine umfassende Planung und Förderung von | |
Wasserstoff und Flüssiggas, auch über neue Terminals. | |
Bis 2030 würden dafür Investitionen von etwa 210 Milliarden Euro benötigt, | |
erklärte die Kommission. Für Erneuerbare und Wasserstoff, aber auch für | |
Effizienz und Dekarbonisierung der Industrie und die Modernisierung der | |
Stromnetze. Woher das Geld kommen soll, ist nicht ganz klar. Von den | |
insgesamt 300 Milliarden, die benötigt werden, kommen etwa 225 Milliarden | |
Kredite aus dem Wiederaufbaufonds nach Corona und anderen bisher nicht | |
ausgeschöpften Töpfen wie dem Kohäsionsfonds, hieß es in Brüssel. | |
Für Einnahmen von 20 Milliarden Euro will die Kommission CO2-Zertifikate | |
aus ihrer Reserve auf den Markt werfen, worüber KlimaschützerInnen den Kopf | |
schütteln: Damit lässt die EU zu, dass etwa 200 Millionen Tonnen CO2 mehr | |
ausgestoßen werden als geplant – aber „in der Summe glauben wir, dass es | |
nicht mehr Emissionen gibt“, so Timmermans: die neuen Erneuerbaren und | |
Sparmaßnahmen würden das ausgleichen. | |
Wenn die erneuerbaren Energien wirklich so deutlich gefördert würden, „wäre | |
das wirklich ein Durchbruch“, sagt Matthias Buck, EU-Experte beim Thinktank | |
Agora Energiewende. Allerdings müsse man sehen, ob und wie die schnellen | |
Genehmigungen tatsächlich durchgesetzt würden. Bei der Finanzierung sieht | |
er allerdings „kaum frisches Geld“, das meiste seien Kredite, die die | |
EU-Länder aus guten Grünen auch bisher nicht beansprucht hätten. | |
Und die Einnahmen aus den zusätzlichen [1][CO2-Zertifikaten] seien | |
klimapolitisch nur zu rechtfertigen, „wenn sie ausschließlich in die | |
Senkung von Emissionen investiert werden – und nicht etwa in neue | |
Gas-Pipelines oder Terminals“. Wichtig sei auch, diese Menge an | |
Zertifikaten später wieder vom Markt zu nehmen. Ähnlich klingen auch | |
Umweltverbände: „Zwei Schritte vor, einer zurück“, heißt es etwa von WWF | |
und BUND: Lob für den Ausbau der Erneuerbaren, aber ungenügende Klimaziele | |
und störendes Geld für Pipelines und Gas-Terminals. | |
Das Konzept REPowerEU hat auch einen deutlichen Blick Richtung Ukraine: So | |
soll das angegriffene Land in die europäische Energieinfrastruktur besser | |
integriert werden – im Winter bereitet sich die EU darauf vor, das Gas | |
nicht wie bisher aus dem Osten zu holen, sondern nach Osten zu pumpen, um | |
die Ukraine zu versorgen. Schließlich löst die EU-Kommission mit dem | |
Programm ein Versprechen von März ein. | |
Beim [2][Gipfel in Versailles] hatte Kommissionschefin von der Leyen mit | |
Blick auf Russland gesagt: „Wir können einfach nicht von einem Lieferanten | |
abhängig sein, der uns bedroht.“ Deshalb hatten die 27 Staats- und | |
Regierungschefs der EU beschlossen, die Importe aus dem Osten drastisch | |
einzuschränken. Und von der Leyens Vize Timmermans hatte geschworen, die | |
Umsetzung des „Green Deals“ mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien sei | |
„noch dringender geworden“. | |
REPowerEU soll alle diese Anforderungen erfüllen: Europas Energieversorgung | |
modernisieren und dekarbonisieren, weg von Russland und der Ukraine helfen. | |
Nach der Verkündung des Energiepakets standen am Mittwoch nämlich noch | |
andere Themen auf der Agenda der Kommission: 200 Milliarden Euro mehr, um | |
die „Lücke bei den Verteidigungsinstrumenten“ zu schließen. Und ein | |
Programm zum Wiederaufbau der Ukraine. | |
18 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Handel-mit-CO2-Zertifikaten/!5852151 | |
[2] /EU-Gipfel-zum-Ukrainekrieg/!5840803 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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