# taz.de -- Ein Jahr nach dem SPD-Austritt: Lonely sozialer Demokrat | |
> Vor einem Jahr trat Marco Bülow aus der SPD aus: hart, aber nötig. | |
> Seitdem ist er fraktionslos im Bundestag – und Abgeordneter zweiter | |
> Klasse. | |
Bild: Seitdem lief es auch nicht unbedingt besser: Marco Bülow verkündet Ende… | |
Berlin taz | Vor einem Jahr hat Marco Bülow die SPD verlassen. Die ewige | |
Groko, die Zögerlichkeit der SPD war ihm einfach zu viel. Er ginge, sagte | |
er damals, nicht mit Häme, eher mit Traurigkeit. Die ersten Wochen nach dem | |
27. November 2018 waren für Bülow schlimm. Die Partei und Fraktion zu | |
verlassen, sagt er heute, war „nötig, aber es tat trotzdem weh“. Es klingt | |
als redete er über eine zerbrochene Ehe. „Ich leide immer noch.“ Bülow ist | |
seither fraktionslos und sitzt hinter der SPD-Fraktion im Bundestag. | |
Ausgerechnet. Es gab keinen anderen Platz. | |
Das Verhältnis mancher Genossen zu dem 48-jährigen ehemaligen SPD-Linken | |
ist verspannt. Ein paar Abgeordnete vom linken SPD-Flügel machen noch immer | |
einen Bogen um ihn. Nicht die rechten Seeheimer, [1][eher Regierungslinke, | |
die ihm den Austritt übel nehmen.] Wenn Bülow, meist spät in der Debatte, | |
über das Klimapaket oder den Haushalt redet, klatschen ein paar Grüne und | |
Linkspartei-Abgeordnete. Sozialdemokraten nicht. | |
Bei der ersten namentlichen Abstimmung im Bundestag ist er durch die Reihen | |
geirrt auf der Suche nach seiner Abstimmungskarte. Bei der SPD war die | |
nicht mehr. Bülow fand sie im Fach für die Fraktionslosen. Und traf dort | |
Frauke Petry, die einstige AfD-Chefin, seit ihrem Austritt aus der | |
Rechtspartei fraktionslos. „Willkommen im Club“, sagte Petry. „Wohl kaum�… | |
erwiderte Bülow. Worauf Petry tapfer freundlich erwiderte „Ich weiß, wie | |
das ist, und wünsche Ihnen alles Gute.“ | |
In der SPD ist einiges in Bewegung gekommen. Olaf Scholz muss sich als | |
„truly Sozialdemokrat“ anpreisen. Die Partei debattiert den Ausstieg aus | |
der Großen Koalition, den Bülow immer forderte. Es besteht ja zumindest die | |
Chance, dass mit [2][Norbert Walter-Borjans] und [3][Saskia Esken] zwei | |
linke SozialdemokratInnen die Partei führen werden. | |
## Bülow sieht kein Grau, nur Schwarz | |
Bereut er den Austritt? Nein, sagt Bülow entschieden. Er wäre schon zwei-, | |
dreimal wieder ausgetreten. Selbst wenn das linke Team gewinnen sollte, | |
habe es die Fraktion und die Parteispitze gegen sich. Nichts ändere sich. | |
So sieht er die SPD. Kein Grau, nur Schwarz. | |
Dann gab es auch noch [4][das Aufstehen-Debakel.] Bülow hat in das | |
außerparlamentarische, von Sahra Wagenknecht unterstützte Projekt Zeit und | |
Energie investiert – und hilflos zugeschaut, wie ein paar | |
Linkspartei-Politiker mit einer Mixtur aus Kontrollwahn und Unfähigkeit das | |
ohnehin kränkelnde Pflänzchen erstickten. Jetzt schreibt Bülow eine | |
Analyse, warum mal hoffnungsvoll gestartete Projekte – Piratenpartei, | |
Varoufakis’ DiEM25 und Aufstehen – gescheitert sind. Irgendjemand muss die | |
Scherben zusammenfegen. | |
Im Bundestag ist er Einzelkämpfer. Das haben manche in der Fraktion auch | |
schon vor seinem Austritt über ihn gesagt. Aber jetzt ist es Fakt. | |
Fraktionslose sind Abgeordnete zweiter Klasse. Sie dürfen in den Debatten | |
reden, doch sie können keine Gesetzentwürfe einbringen oder in Ausschüssen | |
abstimmen. | |
Bülow sagt, er bekomme mehr Post als früher – von vielen, die von Parteien | |
nichts mehr erwarten. Er engagiert sich in Dortmund beim Zukunftsforum für | |
soziale und ökologische Stadtentwicklung. Er wird als Experte für | |
Anti-Lobbyismus-Arbeit eingeladen und unterstützt die Klimabewegung. Am 27. | |
November lädt er zu einer Veranstaltung zu Klimagerechtigkeit – „Reclaim | |
the house“, genau in dem Raum im Bundestag, in dem er vor einem Jahr seinen | |
Austritt verkündet hat. Als würde sich ein Kreis schließen. | |
Und die Zukunft? Er hat seinen Wahlkreis in Dortmund immer direkt gewonnen, | |
2017 bekam er 9 Prozentpunkte mehr Stimmen als die SPD. Doch als | |
Einzelbewerber anzutreten, scheint ihm wenig aussichtsreich, auch wenig | |
sinnvoll. Vielleicht mache er weiter Politik, vielleicht werde er für eine | |
NGO arbeiten. | |
27 Nov 2019 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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