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# taz.de -- Machtkampf um den SPD-Vorsitz: Der doppelte Olaf Scholz
> Im Kampf um den SPD-Vorsitz blinkt der Bundesfinanzminister gerade in
> Richtung des linken Parteiflügels. Das muss nicht so bleiben.
Bild: Finanzminister Olaf Scholz– vielleicht bald SPD-Vorsitzender?
Berlin Mitte, Dienstagabend. Das Licht im Spiegelsaal von Clärchens
Ballhaus ist etwas funzelig, der Stuck an der Decke ist halb zerbrochen.
Ein edel verlottertes Ambiente. Olaf Scholz blinzelt mit spöttischen
Lächeln in den Saal. Dieses Lächeln soll überlegene Distanz zu seiner
Umwelt symbolisieren, ein Art Abstandshalter. Scholz diskutiert mit dem
Historiker Heinrich August Winkler über die Zukunft und Krise des Westens.
Zwei Stunden lang. Es ist nicht leicht, neben Winkler zu bestehen, 80 Jahre
alt, aber noch druckreif formulierend. Scholz hält sich gut.
Auch der Westen, so der Moderator nach einer Weile, werde ja nicht mehr von
Vernunft, sondern von Gefühlen bestimmt. Scholz, so die etwas rumpelnde
Überleitung, sei ja emotionslos. Da beugt sich der Vizekanzler nach vorn,
das Lächeln wird breit und er sagt fast keck: „Ich bewerbe mich um den
SPD-Vorsitz, weil ich zeigen möchte, dass ich auch anders kann.“
Kann er? Olaf Scholz wirkt oft wie ein kalter Technokrat. Er ist kein
blendender Rhetoriker, eher ein trockener Schalterbeamter der Macht. Andrea
Nahles konnte mal mit einer Rede die Stimmung auf einem Parteitag
beeinflussen – Scholz nicht. Er bekam auf SPD-Parteitagen fast rituell
miese Ergebnisse. Er hat sich auch wirklich nicht vorgedrängt, um SPD-Chef
zu werden. Die Kandidatur war eher aus Zufall und Not geboren: Stephan Weil
wollte nicht, Lars Klingbeil fand keine Frau fürs Team, Franziska Giffey
war verhindert. So blieb am Ende nur Scholz aus der ersten Reihe.
Doch seit ein paar Wochen erlebt man einen verwandelten Vizekanzler. Nicht
mehr regungslos und frostig, sondern engagiert. Bei den Debatten mit
[1][Norbert Walter-Borjans] und Saskia Esken drehte der Kandidat regelrecht
auf: Abteilung Attacke. Walter-Borjans beschied er, zur Verzückung seiner
Anhänger, „Erstens stimme ich dir vollständig zu, zweitens hat es mit dem
Thema, über das wir reden, nichts zu tun.“ Für jemand, der sonst eher in
Substantivierungsketten neutral Sachverhalte darzulegen pflegt, war das
eine rhetorische Atomexplosion.
## Je größer das Chaos ist, umso mehr glänzt sein Stern
Und ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommt, falls er SPD-Chef wird.
Auch ihm Wohlgesinnte attestieren dem Finanzminister ein Selbstbewusstsein,
das an Hybris grenzt. Er ist ein Analytiker, der sich in Details auskennt,
das sagen sogar seine Gegner. Er ist kein leicht aufbrausender Chef wie
Martin Schulz, der mit dem Herzen denkt, auch nicht so wankelmütig wie
Sigmar Gabriel. Dafür autoritär. Scholz weiß es besser. Er kann barsch sein
Die Blaupause für ihn ist Hamburg 2009. Die SPD war dort nach Jahrzehnten
an der Macht in der Opposition gelandet und heillos zerstritten bis an die
Grenze strafrechtlicher Vergehen. Scholz räumte auf, machte klare Ansagen,
gewann Wahlen. Je größer das Chaos ist, das er beseitigen kann, umso mehr
glänzt sein Stern, so scheint er es zu sehen. In Hamburg hat das
funktioniert. Aber Hamburg ist nicht die Welt.
Im Willy-Brandt-Haus wird er mehr Unterordnung verlangen als Andrea Nahles.
Wie dieser Top-down-Stil mit der mal wieder ausgerufenen Erneuerung der
Partei zusammenpassen soll, wird man sehen.
Scholz brennt seit ein paar Wochen ein Feuerwerk von Initiativen, Ideen,
Ankündigungen ab. Er adelt die Grundrente zum Meilenstein
sozialdemokratischer Regierungsarbeit und will sie mit der
Finanztransaktionssteuer finanzieren. Er plant eine Spezialeinheit gegen
Steuerbetrug – zufällig das Thema, bei dem sich Walter-Borjans seine
Lorbeeren verdiente.
## Ex-Gegner wie Schulz und Weil trommeln für ihn
Neuerdings ist er außerdem für das Country-by-Country-Reporting: Konzerne
sollen veröffentlichen müssen, in welchem Land sie wie viele Steuern
zahlen. Das würde die Steuervermeidung multinationaler Konzerne erschweren
– zuvor fand Scholz das nicht so wichtig. Er will als Neufeminist an der
Seite [2][seiner Mitbewerberin Klara Geywitz] reinen Männervereinen den
Geldhahn abdrehen. Er ist schon seit Längerem für die Vermögensteuer, die
er früher ablehnte, und für 12 Euro Mindestlohn. Und er will dafür sorgen,
dass der Bund bankrotte Kommunen aus dem Schraubstock der Schuldenspirale
befreit.
Das alles ist ein perfekt getakteter interner Wahlkampf, der auf das Herz
der SPD zielt. Mehr Rente für Ärmere, mehr Kontrolle für Multis. Scholz
blinkt nach links, um sich als die perfekte Lösung aller Probleme der SPD
zu präsentieren: weiterregieren und SPD pur sein. Mit diesem Zaubertrick
versucht er den zentnerschweren Vorbehalt gegen ihn irgendwie zu
verkleinern: Er ist seit fast 20 Jahren Teil der SPD-Führung. Er war bei
allen zentralen Entscheidungen dabei. Er ist mitverantwortlich für die
miserable Lage der Partei.
Im internen Machtkampf unterstützen ihn nun alle SPD-MinisterInnen. Sogar
Ex-Gegner wie Martin Schulz und Stephan Weil haben die Fahne eingerollt und
trommeln für ihn. Scholz, der Talkshows eigentlich verachtet, versucht bei
Lanz einen lockeren Eindruck zu machen und gibt Interviews am laufenden
Meter. Was die Verkaufe angeht – er hätte es kaum besser machen können.
Wenn man das Kleingedruckte liest, schrumpfen die Erfolge. Die
Finanztransaktionssteuer, die sich Scholz ans Revers heftet, wird, falls
sie kommt, eher normale Aktienbesitzer treffen. Der weitaus größere
Derivatehandel ist ausgespart, das ursprünglich mal anvisierte Volumen der
Steuer von rund 10 Milliarden ist in Scholz’ Version auf unter eine
Milliarde Euro geschrumpft.
## In den Schubladen des Finanzministeriums
Auch [3][der „riesige Sieg“ der SPD bei der Grundrente] fällt wesentlich
bescheidener aus als ursprünglich gedacht. Arbeitsminister Hubertus Heil
hatte 6 Milliarden Euro kalkuliert, nun wird das Volumen ein knappes
Viertel betragen. Unbestreitbar ist hingegen Scholz’ Engagement für den
Mindestlohn. Als Merkels Arbeitsminister setzte er sich zäh dafür ein. Und
im Herbst 2017 war er der erste Spitzen-SPDler, der sich für 12 Euro
Mindestlohn starkmachte. Und damit eine Forderung der Linkspartei eins zu
eins übernahm.
Am Ende der Debatte in Clärchens Ballhaus lobt Scholz ausführlich die
Erfolge seiner Bildungspolitik in Hamburg, auch, dass Kitas für Eltern
kostenlos sind. Winkler schaut skeptisch und merkt an, dass es einfach sei,
Kitas kostenfrei zu machen, aber schwierig, das Steuersystem so zu
organisieren, dass dafür genug Geld da ist. Scholz lacht, fast befreit, und
sagt: „Na ja, dafür bin ich ja jetzt da.“
Das ist die Frage. In den Schubladen des Finanzministeriums liegen laut
Handelsblatt-Recherchen ausgearbeitete Pläne, die Unternehmensteuern zu
senken. Kosten: Bis zu 10 Milliarden Euro. Die Union drängt darauf, Scholz
ist dagegen. Noch. Man wird sehen, wie lange der Widerstand hält, wenn der
SPD-interne Wahlkampf beendet ist und Scholz die Partei führt. Es wäre
keine große Überraschung, wenn der linke, aufgeräumte Scholz dann wieder
dem wortkargen Mitte-Scholz weicht.
29 Nov 2019
## LINKS
[1] /Kampf-um-den-SPD-Vorsitz/!5638590
[2] /Streitgespraech-der-SPD-Chefanwaertinnen/!5638827
[3] /Einigung-zur-Grundrente/!5640327
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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