| # taz.de -- Dreiteilige Dokumentation auf Sky: Kelly, die fast Vergessene | |
| > Petra Kelly verstarb 1992. Eine neue Doku arbeitet ihre Bedeutung für die | |
| > Grünen und die Friedensbewegung gut heraus. Mit Einschränkungen. | |
| Bild: Viele Spekulationen um Petra Kellys Tod | |
| Als sie starb, war ihr Stern bereits verglüht. Die Zeit war über Petra | |
| Kelly hinweggegangen, jener Frau, der die Grünen so viel zu verdanken | |
| haben, doch von der sie nichts mehr hatten wissen wollen. Ihr gewaltsames | |
| Ende vor 30 Jahren beförderte die außergewöhnliche Politaktivistin noch | |
| einmal in schockierender Weise in jene Schlagzeilen, aus denen sie längst | |
| verschwunden war. Nun widmet sich Sky in einer dreiteiligen Dokumentation | |
| ihrem Leben und Sterben. | |
| Petra Kelly wäre im November 75 Jahre alt geworden. An die heute weitgehend | |
| Vergessene zu erinnern, ist verdienstvoll. [1][Ihre Bedeutung für die | |
| Gründung und die Anfangserfolge der Grünen] ist für jene, die sie nicht von | |
| Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre selbst erlebt haben, heute kaum | |
| mehr zu erfassen. Geprägt von der Bürgerrechtsbewegung in den USA, war sie | |
| das weltweit bekannte Gesicht der Anti-Atom- und Friedensbewegung in der | |
| alten Bundesrepublik und der daraus maßgeblich entstandenen | |
| „Anti-Parteien-Partei“, wie Kelly die Grünen definierte. | |
| Als „Popikone, aber durchseelt von Politik“, beschreibt sie ihre einstige | |
| Mitstreiterin Antje Vollmer. „Ohne Petra Kelly wären die Grünen nie über | |
| die Fünfprozenthürde gekommen.“ Der Einzug in den Bundestag 1983 mit 5,6 | |
| Prozent war der absolute Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Danach ging | |
| es bergab. | |
| „Politischer Aktivismus ist unglaublich anstrengend und kann auch | |
| zermürbend sein“, blickt [2][Carla Reemtsma von Fridays for Future] in der | |
| Dokumentation auf Kelly. Denn als Aktivistin sei man in einer Rolle, die so | |
| nicht vorgesehen ist. „Für die gibt es eigentlich keinen Platz, und man | |
| muss immer und immer wieder dafür kämpfen, gehört zu werden“, so Reemtsma. | |
| Sie beeindrucke an Kelly „vor allem die Entschlossenheit zu sagen, ich gebe | |
| jetzt hier nicht auf“. | |
| ## Brachiale Umgangsformen | |
| Die Filmschnipsel von ihrer Rede auf der großen Friedensdemonstration im | |
| Oktober 1981 im Bonner Hofgarten geben einen Eindruck, mit welch | |
| unglaublicher Kraft und Energie die zierliche Kelly vor Hunderttausenden | |
| Menschen sprechen konnte. Doch im Bundestag wirkte sie verloren. „Wie ein | |
| kleines verlorenes Vögelchen“, formuliert es Marieluise Beck, die mit ihr | |
| und Otto Schily die erste Fraktionsspitze der Grünen bildete. | |
| Mit ihrer Vorstellung von Politik geriet Kelly, die sich keiner | |
| Parteiströmung zurechnete, zunehmend ins Abseits. Daran waren nicht nur die | |
| damals vorherrschenden brachialen Umgangsformen in der Grünen-Fraktion | |
| verantwortlich, gegenüber denen die heutigen Auseinandersetzungen in der | |
| Linkspartei wie ein Kuraufenthalt erscheinen. Mit ihrer rigorosen Moral und | |
| ihren überbordenden Ansprüchen – ihre Reise- und Portokosten sprengten | |
| jedes Budget – nervte Kelly irgendwann nur noch. 1990 schied sie als | |
| Hinterbänklerin aus dem Parlament. | |
| Getrieben von dem unbedingten Vorsatz, die Welt zu retten, führte Kelly ein | |
| Leben auf der Überholspur, ohne Rücksicht auf sich und andere. Dabei wollte | |
| sie nicht wahrhaben, dass sie irgendwann mit Höchstgeschwindigkeit in eine | |
| Sackgasse raste. „Petra war immer gehetzt“, erinnert sich Beck. „Das hält | |
| ein Mensch nicht gut durch.“ | |
| Der Versuch eines Comebacks geriet zum Desaster: Auf der | |
| Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen 1991 in Neumünster scheiterte Kelly | |
| krachend mit ihrer Kandidatur als Bundessprecherin, wie damals noch die | |
| Vorsitzenden genannt wurden. Gerade einmal 32 von 650 gültigen Stimmen | |
| erhielt sie. | |
| Die Grünen konnten mit Kelly nichts mehr anfangen. „Sie wurde nicht gut | |
| behandelt, wirklich nicht, von ihren Gegnern sowieso nicht, aber eben | |
| leider auch nicht von den Grünen“, konstatiert der Liedermacher Konstantin | |
| Wecker, der Kelly freundschaftlich verbunden war und auf ihrer Trauerfeier | |
| spielte. | |
| Die Bandbreite der Gesprächspartner:innen, deren in der Regel gut | |
| ausgewählte Zitate die Autorin Anna Grün mit historischen Aufnahmen und | |
| Spielszenen zusammenmontiert hat, ist eine Stärke der Doku. Zu Wort kommen | |
| nicht nur einstige Weggefährt:innen, sondern auch politische | |
| Kontrahent:innen wie Theo Waigel, der sich äußerst wertschätzend über | |
| Kelly äußert. | |
| Und der eine Wahrheit ausspricht, die heutige Grüne nicht unbedingt gern | |
| hören: „Ich glaube, sie wäre nicht bereit gewesen zu sagen, wir müssen | |
| jemanden auch mit Waffen helfen“, so der frühere CSU-Chef und | |
| Bundesfinanzminister. „Sie ist eine unbedingte Pazifistin gewesen, ohne | |
| Kompromisse.“ | |
| ## Unsinnige Spekulationen | |
| Ergänzt werden die Aussagen der Zeitzeug:innen durch die heutiger | |
| politischer Protagonist:innen wie der Klimaaktivistin Reemtsma und der | |
| [3][schleswig-holsteinischen Grünen-Ministerin Aminata Touré], die beide | |
| erst nach Kellys Tod geboren wurden, aber äußerst reflektiert auf das Leben | |
| und Wirken Kellys blicken. Es hätte also eine ganz hervorragende | |
| Dokumentation sein können. | |
| Als „einzigartige Kombination aus Zeitgeschichte, Politdrama und True | |
| Crime“ wird der Dreiteiler von Sky angepriesen. Konkret bedeutet das eine | |
| unnötige Boulevardisierung: Viel Zeit wird damit verschwendet, unsinnigen | |
| Spekulationen nachzugehen, wer Kelly 1992 umgebracht haben könnte: Waren es | |
| Einbrecher:innen, eine rechte Politsekte, Überbleibsel der Stasi oder gar | |
| der chinesische Geheimdienst? | |
| Eine Verschwörungstheorie nach der anderen wird im zweiten Teil der Doku | |
| aufgeblasen, nur um schließlich im dritten Teil doch wieder die Luft | |
| rauszulassen und zu der gleichen Schlussfolgerung zu kommen, die für die | |
| Ermittlungsbehörden schon nach kurzer Zeit außer Frage stand: Kelly wurde | |
| von ihrem Lebensgefährten Gert Bastian getötet, der sich anschließend | |
| selbst das Leben nahm. | |
| Der „Krefelder Appell“ der westdeutschen Friedensbewegung hatte Kelly mit | |
| dem 24 Jahre älteren und verheirateten Bastian im November 1980 politisch | |
| wie persönlich zusammengebracht. 1983 zogen sie gemeinsam für die Grünen in | |
| den Bundestag ein. Die Rekonstruktion der toxischen Verbindung der | |
| Pazifistin mit dem weltkriegserfahrenen General, der aus Protest gegen den | |
| Nato-Doppelbeschluss seinen Abschied aus der Bundeswehr genommen hatte, | |
| macht die Doku dann doch wieder sehenswert. Dazu tragen die beiden Kinder | |
| Bastians entscheidend bei: Till und Eva Bastian beschreiben sehr gefasst | |
| die Komplexität der immer problematischer werdenden Beziehung, die | |
| schließlich in einer Katastrophe endete. | |
| Wohl in der Nacht zum 1. Oktober 1992 erschoss Gert Bastian mit seiner | |
| Pistole erst die schlafende Petra Kelly und dann sich selbst. Was ihn dazu | |
| gebracht hat, wird sich nie aufklären lassen. Von einem „Kurzschluss aus | |
| Nicht-mehr-Können, Nicht-mehr-Weiterwissen“, spricht Antje Vollmer. Gut | |
| möglich. | |
| Aber selbst der genaue Todeszeitpunkt lässt sich nicht mehr feststellen. | |
| Denn ihre Leichen wurden erst mehr als zwei Wochen später gefunden. Mit dem | |
| Tod von Kelly und Bastian habe sich eine Utopie „selbst zerstört“, sagt | |
| Vollmer. „Es war wie Mord und Selbstmord der Friedensbewegung in einem.“ | |
| „Petra Kelly – Der rätselhafte Tod einer Friedensikone“, ab Samstag, 1. | |
| Oktober, bei WOW und Sky Crime | |
| 1 Oct 2022 | |
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| Pascal Beucker | |
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