# taz.de -- Sky-Serie „A Friend of the Family“: Wenn schon True Crime | |
> Die Serie erzählt die Geschichte einer 12-Jährigen, die entführt wird. | |
> Anders als so oft im Genre, hat das Opfer hier mitgewirkt. | |
Bild: Mckenna Grace spielt die heute 60-jährige Jan Broberg, die 1974 entführ… | |
True Crime – das ist nun schon seit geraumer das [1][Schlag- und auch | |
Reizwort schlechthin im Serienbereich], und sieht man sich an, welche | |
Wellen zuletzt Ryan Murphys Serie „Dahmer“ über den gleichnamigen | |
Serienkiller geschlagen hat, ist davon auszugehen, dass der Boom fürs Erste | |
nicht so schnell abflachen wird. | |
[2][Wo „Dahmer“ sich dem Vorwurf ausgesetzt sah], das Leid der Opfer | |
auszunutzen und ihre Angehörigen nicht in die Entstehung der Serie | |
eingebunden zu haben, geht nun „A Friend of the Family“ (zu sehen auf der | |
Streamingplatttform von Sky) einen anderen Weg. Noch bevor die erste | |
Episode beginnt, wendet sich Jan Broberg direkt ans Publikum. Die | |
60-jährige Schauspielerin ist in dieser Geschichte das Opfer; die Serie | |
basiert auf dem, was ihr als Jugendlicher in den Siebzigerjahren passiert | |
ist. Dass von den Ereignissen von damals nun auch in fiktionalisierter Form | |
erzählt wird, ist ihr expliziter Wunsch: Sie ist an „A Friend of the | |
Family“, gemeinsam mit ihrer Mutter Mary Ann, auch als Produzentin | |
beteiligt. | |
Der Fall Broberg, so wie ihn die von Nick Antosca konzipierte Serie nah an | |
der Realität erzählt, ist ein besonders verstörender. In einem | |
Provinzstädtchen in Idaho freundet sich 1974 die nette Mormonen-Familie | |
Broberg mit ihren neuen Nachbarn an. Bob (Colin Hanks) und Mary Ann (Anna | |
Paquin) sind beide fasziniert von dem einnehmenden Charme von Bob Berchtold | |
(Jake Lacy), der sich für seine eigene Frau Gail (Lio Tipton) wenig zu | |
interessieren scheint. Auch die drei Broberg-Töchter sind begeistert von | |
dem neuen Familienfreund, der Picknicke auf dem Wohnzimmerboden | |
veranstaltet, Reitausflüge und Trampolinabenteuer verspricht und sich ihrer | |
genauso herzlich annimmt wie seiner eigenen Söhne. | |
Jan (erst: Hendrix Yancey, später: Mckenna Grace) hat es „Onkel B.“ | |
besonders angetan. Eines Tages bringt er sie nach einer gemeinsamen | |
Unternehmung nicht nach Hause, sondern entführt sie mit seinem eigens dafür | |
vorbereiteten Wohnmobil nach Mexiko. Die 12-Jährige realisiert gar nicht, | |
was mit ihr geschieht, sondern fühlt sich wie auf einem spontanen | |
Urlaubstrip mit ihrem liebsten Erwachsenen. | |
## Zurückhaltend und nicht reißerisch | |
Dass Berchtold ihr mittels vorbereiteter Tonbandnachrichten suggeriert, sie | |
stamme in Wirklichkeit von einem fernen Planeten und sei auserwählt, mit | |
Hilfe eines männlichen Begleiters und ohne Wissen ihrer Familie ihre | |
Artgenoss*innen zu retten, tut ein Übriges. Sein Einfluss auf Jan ist | |
so groß, dass sie selbst nach seiner vorübergehenden Verhaftung kein | |
Monster in ihm sieht – und es ihm leicht macht, sie zwei Jahre später noch | |
einmal in seine Gewalt zu bekommen. | |
Die eigentliche erste Entführung ist in „A Friend of the Family“ nach zwei | |
von neun Episoden bereits wieder beendet, doch Antosca (der schon mit „The | |
Act“ True-Crime-Erfahrung gesammelt hat), interessiert sich auch nicht in | |
erster Linie für Tat und Täter. Was genau Berchtold dem Mädchen antut, | |
bleibt höchst vage, und Diagnosen wie manische Depression oder Pädophilie – | |
Letzteres damals selbst für die örtliche FBI-Behörde noch ein Fremdwort – | |
stehen im Raum, ohne allzu sehr konkretisiert zu werden. | |
Der Schwerpunkt liegt hier darauf, wie es so weit kommen konnte und welche | |
Konsequenzen sich daraus nicht nur für Jan, sondern auch für ihr von | |
Naivität, religiös geprägter Nächstenliebe und teilweise unterdrückten | |
erotischen Gefühlen bestimmtes Elternhaus ergaben. | |
Ob dieses wahre Verbrechen nach einem von Mary Ann und Jan geschriebenen | |
Buch sowie dem Dokumentarfilm „Abducted in Plain Sight“ nun wirklich noch | |
einer Fiktionalisierung bedurfte, bleibt zwar ebenso fraglich wie | |
Erfolgsaussichten von Brobergs frommem Wunsch, die Serie könne anderen eine | |
Warnung sein. Doch wenn schon True Crime, dann so wie hier: zurückhaltend | |
und nie reißerisch erzählt, psychologisch dicht inszeniert (die großartige | |
Eliza Hittman gibt mit der Pilotfolge den Ton vor), enorm detailliert in | |
der Gestaltung des Seventies-Looks und hervorragend gespielt. Allen voran | |
von Jake Lacy, der seine „All American Boy“-Ausstrahlung so effektiv und | |
bedrohlich zum Einsatz bringt wie nie zuvor. | |
27 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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