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# taz.de -- Brief an Petra Kelly: Du darfst nicht vergessen werden
> Am 29. November wäre Grünen-Mitgründerin Petra Kelly 75 geworden. Eine
> leidenschaftliche Politikerin, die Frauen, Umwelt und Frieden
> zusammendachte.
Bild: Petra Kelly während einer Friedensdemo
Liebe Petra, du fehlst mir. Seit [1][Gert Bastian], dein Lebensgefährte,
dieser General für den Frieden, dich erschossen hat im Schlaf, fehlst du.
Ich habe nie verstanden, warum du so an ihm hingst. Wie oft habe ich
versucht, dich aus dieser tragischen Beziehung heraus zu locken. Schwierig
genug, weil der General nicht von deiner Seite wich. [2][30 Jahre ist der
Mord her]. Er hat dich mir genommen, dich, eine Freundin, eine
Weggefährtin. Und nun hättest du den 75. Geburtstag; ich würde ihn so gerne
mit dir feiern.
Du fehlst nicht nur mir, du fehlst vielen Menschen; gerade heute, mit
diesem vermaledeiten Krieg gegen die Ukraine, mit dieser ausufernden
Klimakrise.
Wir sind uns an Pfingsten 1978 in Dublin auf der ersten internationalen
Anti-Atomkonferenz begegnet. Mit [3][Helen Caldicott] von den Internationen
Ärzten zur Verhütung des Atomkriegs wurden wir ein feministisches Trio.
Ohne viel Debatte haben wir Frauenrechte, Umweltschutz und Frieden zusammen
gedacht und gefordert, dass sie zusammen gedacht werden.
Es war so schön, als wir drei uns zufällig in der Zeit von Gorbatschow beim
Weltkongress der Frauen in Moskau im Juni 1987 wiedersahen. Wir haben
mitten im Kreml die politischen Dimensionen der Katastrophe in Tschernobyl
thematisiert. Was für ein Kontrast zum Kreml heute mit Putin.
Entschuldige Petra, ich bin schon wieder mittendrin in der politischen
Misere und nicht mehr in der einsamen Zwiesprache mit dir. Aber es liegt
auch daran, dass ich dich auf der politischen Bühne handeln sehe. Deine
Energie, deine Kompromisslosigkeit, deine emotionale Intelligenz, mit der
du politische Zusammenhänge verstanden, mit der du Machtstrukturen
durchschaut hast, sehe ich vor mir und vermisse das. Auch wie du mit
Klugheit und leidenschaftlicher Unbequemlichkeit die politische Landschaft
aufrütteltest – du, die ich als eine eigenwillige Mischung wahrnahm, als
deutsche Powerfrau, ehrgeizig und nach US-amerikanischem Vorbild geformt.
Dein Charisma hat mich angezogen. Ich komme doch mehr von der Basis.
Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges setzten wir uns für Frieden
ein; das hat uns verbunden. „Nie wieder Auschwitz, nie wieder Hiroschima“.
Du warst für die Abschaffung der Bundeswehr, kamst aus einer Familie, wo
nicht ganz klar war, was dein leiblicher Vater im Krieg getan hat. Ich
dagegen, die aus einer Widerstandsfamilie kam, war, was einige überraschen
mag, gegen die Abschaffung. Ob du, wie ich, beim Bosnienkrieg auch für
einen UNO- oder Nato-Einsatz eingetreten wärest, weiß ich nicht, du bist
genau zur Zeit der Massenvergewaltigungen dort gestorben, aber ich vermute
es.
Auf jeden Fall jedoch hättest du die Forderung, die ich 1992 ins
EU-Parlament einbrachte, verstanden: dass Vergewaltigung an Frauen im Krieg
ein Kriegsverbrechen ist. Heute, wo Putins Mafia und Machtapparat einen
brutalen Krieg gegen die Ukraine und gegen Europas Demokratien führt,
Menschenrechte, Frauenrechte für ihn nicht zählen, ziviler Ungehorsam
kriminalisiert wird, wette ich, du würdest es herausschreien, dass
radikaler Pazifismus erpressbar macht. Du weißt, was es bedeutet: Du
müsstest Zugeständnisse an einen bis an die Zähne atomar bewaffneten
Verbrecher machen. Das kann nicht sein. Du hast Positionen nicht erst
eingenommen, wenn sie opportun waren oder der Parteilinie entsprachen. Du
warst keine Kompromisspolitikerin.
Die deutsche Geschichte hat uns so leidenschaftlich gemacht. Und
weitsichtig. Und mit Worten angriffslustig. Deine Rede hätte ich gern
gehört, mit der du auf die Behauptung von Schröder reagiert hättest, Putin
sei ein lupenreiner Demokrat. Auch stelle ich mir deine Rede zu
Beschwichtigung von Merkel vor, sie würde die Sicherheit der Ukraine
garantieren, als sie Nord Stream 2 befürwortete. Wie denn? Du hattest die
Stimme, um mehr Leute aufzuwecken, als Aufwachen noch geholfen hätte.
Wer die Zusammenhänge durchschaute, forderte schon damals, dass die
Russlandpolitik von SPD und Merkel geändert, die Abhängigkeit der deutschen
Rohstoffpolitik von Diktaturen wie Russland, China, den arabischen
Ölländern drastisch eingeschränkt wird. Du hättest das durchschaut und den
Mund nicht gehalten. Und heute würdest du wieder nicht schweigen angesichts
des Kampfes der Frauen im Iran gegen die reaktionäre Islamtheokratie und
die korrupte Elite dort.
Liebe Petra, in den letzten 30 Jahren wurdest du fast vergessen. Erst junge
Frauen aus dem Umfeld von Fridays für Future und junge Abgeordnete
entdeckten dich als eine der Pionierinnen, eine der Unbeugsamen, wieder.
Aber jetzt, wo du 75 Jahre alt werden würdest, sich aber dein Todestag zum
30. Mal jährt, wird das vor allem als Anlass genommen, der Geschichte der
Grünen zu huldigen. Es geht um Deutungshoheit.
Schon bei der Trauerfeier 1992 wurde gleichzeitig deiner und deines
Mörders, der ja auch ein Grüner war, gedacht, das fand ich damals schon
schlimm. Und auch, dass du bei der Feier zum 40. Jubiläum der Gründung der
Grünen vor fast drei Jahren keine Erwähnung fandest. Am späteren Abend der
Feier traf ich leicht beschwipst auf Ina Deter, die einst „[4][Neue Männer
braucht das Land]“ sang. Sie umarmte mich unter Tränen und rief „Eva, wo
ist Petra, warum redet keiner über sie?“
Ich habe dich, Petra, immer als einzigartige Frau und Persönlichkeit
gesehen. Dein allzu früher Tod bleibt ein Schock. Du wurdest am Geburtstag
deiner so geliebten Omi erschossen. Das hättest du freiwillig nie
zugelassen. Als du zwei Wochen nach deinem Tod aufgefunden wurdest, habe
ich mit Omi telefoniert. Unter Tränen sagte sie: „Dieser Scheißkerl!“
Kurz vor deiner Ermordung waren wir in Miami noch einmal so glücklich wie
früher. [5][Bella Abzug und ihre Gefährtin Kim Kelber,] beide
US-Friedensaktivistinnen, hatten uns auf ein Schiff eingeladen. Dort
konnten wir ohne deinen General endlich wieder zusammen essen, reden,
lachen und träumen.
Meine liebe Petra, Du hast nach Großem gestrebt, vielleicht manchmal zu
sehr und zu pathetisch und zu wenig geerdet. Du wolltest Medien, Parteien
und Parlamente erobern. Neben den heutigen Politikstars darfst du nicht
vergessen und nicht vereinnahmt werden – bei all deinen Schwächen, vor
allem aber wegen deiner Stärken.
Joan Baez und ihr Lied „We shall overcome“ würden dir immer noch gefallen.
An deinem Geburtstag singe ich es für dich.
In tiefer Zuneigung
Eva, die dir für deine Briefe, Postkarten, dein Mädchenkichern manchmal,
und dein Vertrauen dankt.
Eva Quistorp, 1945 geboren, Mitbegründerin der Grünen, Aktivistin der
deutschen Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung, Von 1989 bis 1994 Mitglied
des Europaparlaments.
29 Nov 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Gert_Bastian
[2] /Archiv-Suche/!1647419&s=gert+bastian+tod&SuchRahmen=Print/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Helen_Caldicott
[4] https://www.youtube.com/watch?v=GK51vq95j1s
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Bella_Abzug
## AUTOREN
Eva Quistorp
## TAGS
Grüne
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Schlagloch
Annalena Baerbock
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