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# taz.de -- Diskriminierungserfahrungen: Schwarzweißland
> Ob in der U-Bahn oder am Flughafen: Nicht-weiße Personen werden anders
> behandelt. Fünf Betroffene berichten von Alltagsrassismus und Racial
> Profiling.
Bild: Alles ganz schwarz-weiß? Das sollte eigentlich nur beim Zebra so sein
## „Die haben keine Züge in Afrika“
Zu versuchen aufzuhören, sich selbst kleiner zu machen, ist, als würde man
aus einem Winterschlaf erwachen. Die ständige Beobachtung, die verdächtigen
Blicke, lassen einen wünschen, man wäre unsichtbar.
Racial Profiling ist mir so oft widerfahren in den acht Jahren, die ich nun
in Berlin lebe, dass ich aufgehört habe zu zählen. Die Erfahrungen, die mir
aber im Gedächtnis bleiben, abgesehen von den gewalttätigen, sind jene, bei
denen ich tatsächlich einen Moment lang vergesse, dass ich eine ganz
normale Bürgerin dieser Stadt bin.
Im McPaper geht man mir hinterher, fragt ständig: „Was suchst du?“ Da sind
Männer, die sich aus ihrem Fenster lehnen und fragen: „Wie viel?“, wenn ich
die Straße entlanggehe.
In einem schicken Kaufhaus in München wird mir gesagt, dass ich für die
Dinge, die ich in meinen Händen halte, bezahlen muss, bevor ich gehe. (Ich
hatte nur erwartet, keine Parfumproben zu kriegen, denn ich habe noch
niemals Parfumproben angeboten bekommen.)
Es sprechen mich Fremde in der U-Bahn an, die erst fragen, dann vor sich
hin raten, aus welchem afrikanischen Land ich kommen könnte. Ich habe
BVG-Mitarbeiter sagen hören: „Die haben keine Züge in Afrika“, wenn sie
mich kontrollieren, während die Leute rundherum anfangen zu kichern oder
sich wegdrehen, weil sie denken, dass ich sie nicht verstehe.
Ich lerne, meinen Rücken zu versteifen. Ich lerne, meinen Blick abzuwenden.
Ich lerne, dass es vielleicht besser ist, unsichtbar zu sein, als
herausgegriffen zu werden.
***
## Da zieht ein Polizist die Pistole und richtet sie auf dich
„Aber ich wurde auch schon mal kontrolliert!“ Wer diesen Satz in der
aktuellen Diskussion für ein valides Argument hält, hat das Problem von
Racial Profiling nicht begriffen.
Wenn du schwarz bist, dann wirst du nicht nur mal überprüft, sondern:
andauernd. Gern auch: mehrfach. Immer: nur du. Denn Polizisten und andere
Sicherheitsbeamte kontrollieren dann, wenn für sie etwas nicht
zusammenpasst. Das Problem: Für viele Weiße passen schwarze Menschen und
Deutschland nicht zusammen.
Woher ich das weiß? Weil ihr bis heute nachhakt, woher ich wirklich komme,
wenn ich Leipzig als Heimat nenne. Euch kann ich frech antworten: „Aus
meiner Mutter!“ Der Polizei nicht.
Dass ich im Kontakt mit der Staatsmacht keinen Fehler mache, davon hängt
nämlich meine Gesundheit oder gar mein Leben ab. Zum Beispiel in Bayern,
wenn Polizisten in Zivil auf der Autobahn eine Kontrolle mit vorgehaltener
Waffe beginnen.
Ich rede nicht davon, dass sie die Hand zur Eigensicherung an der Waffe
halten, wie ihr Weißen das vielleicht aus dem „Tatort“ kennt. Ich meine: Da
zieht ein Polizist die Pistole und richtet sie auf dich.
Danach hörst du nicht etwa eine Entschuldigung, sondern die Beamten
scheißen weiter auf deine Rechte, indem sie dich und das Auto gründlich
durchsuchen. Dagegen protestieren würdest du nicht. Du hast ja gerade erst
überlebt.
## ***
## „Ich bin die BVG. Willkommen in Deutschland“
„Sie können mich nach meinem Ticket fragen, aber Sie können es mir nicht so
aus der Hand reißen“, sagte ich zu dem BVG-Kontrolleur.
Seit Jahren offenbart sich mir dieses kolonialistische Bild, es ist, als
wären diese U-Bahn-Stationen Plantagen und die Ticketkontrolleure Aufseher,
die mir, wenn sie wollen, das Ticket aus der Hand reißen können, um
sicherzustellen, dass ich auch die Erlaubnis meines „Masters“ habe, mich
fortzubewegen.
Der Mann war nicht darauf gefasst, dass ich mich wehren würde, dass ich
Englisch mit US-amerikanischem Akzent sprechen würde. Geschockt, wütend,
vielleicht auch bloßgestellt, sagte er zu mir: „Ich bin die BVG, willkommen
in Deutschland.“ Er sagte, er würde die Polizei rufen, die würden mir dann
„die Regeln“ erklären, und dass ich aussteigen müsste.
Sein Kollege sagte ihm zwischendurch auch, dass er mein gültiges Ticket
bereits kontrolliert hatte. Das war das sechste Mal im Jahr 2016, dass mir
ein Kontrolleur derart begegnet ist.
Wie Politiker und Behörden nun das Racial Profiling vom Silvesterabend in
Köln kommentieren, das offenbart eine Regierung, die etwas übrig hat für
Rassismus – und das ist in keinster Weise überraschend für nichtweiße
Personen, die hier leben.
***
## Wir haben es satt
Das Racial Profiling, das in Köln stattfand, ist mir nicht neu, sondern ich
empfinde es schon als sehr ermüdend. Stellen Sie sich vor, Sie müssten
ständig über Ihre Schulter blicken, weil da ein Fadenkreuz auf Ihrem Rücken
ist. Sich ständig für etwas rechtfertigen, obwohl Sie nichts getan haben.
Wir sind friedliche Menschen, selbst wenn man uns Furchtbares angetan hat.
Es ist die Darstellung der Medien und der Gesellschaft, die uns glauben
lässt, der schwarze Mann sei gefährlich.
Es sind die Worte derer, die uns vor ein paar Jahrhunderten aus unserem
Land gerissen und uns versklavt haben. Das führte schließlich zu einem
revolutionären Ausbruch, der dazu diente, sich zu schützen, sich zu
verteidigen und zu sagen: Wir haben es satt!
Dieses Racial Profiling muss aufhören, wir müssen Gerechtigkeit einfordern,
wenn wir unsere Menschlichkeit bewahren wollen.
## ***
## „Aber wo kommst du denn wirklich her?“
Ich bin Mitte der 80er in Kassel geboren. Meine Mutter ist Deutsche, mein
Vater kam für sein Studium aus Kamerun nach Deutschland.
Auch wenn ich es erst später richtig begreifen konnte, wurde mir von meinem
Umfeld schon sehr früh gespiegelt, dass ich anders, besonders, scheinbar
fremd bin. Die Frage „Aber wo kommst du denn wirklich her?“ ist bis heute
so gut wie Standard.
So wie ich schon immer von einigen bevorzugt wurde, hatte ich an anderer
Stelle überhaupt keine Chance. Ich erinnere mich noch gut an einen Lehrer
in der 5. Klasse, der mich fragte, als ich mir die Haare abrasiert hatte,
ob ich denn glauben würde, mit meiner neuen Frisur ein besserer Deutscher
zu sein.
Auch auf Ämtern habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass ich erst
angemessen behandelt wurde, wenn die Beamten merkten, dass ich fließend
deutsch spreche.
Wenn ich an Köln und die Kontrollen in der Silvesternacht denke, war das
ein Paradebeispiel dafür, was 365 Tage im Jahr im öffentlichen Raum
passiert. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich aus Menschenmengen
herausgezogen wurde und mich einer „Routinekontrolle“ unterziehen musste.
Auf deutschen Flughäfen werde ich regelmäßig nach Herkunft, Vorhaben und
Beruf befragt. Zuletzt wurde ich am Flughafen München sogar auf Drogen
kontrolliert – ohne konkreten Anlass.
Protokolle von Saskia Hödl
11 Jan 2017
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