# taz.de -- Diskriminierung von Ostdeutschen: Kennste eine, kennste alle | |
> Über diese Leute „aus den neuen Ländern“ mit ihren fiesen Dialekten darf | |
> man herziehen und lachen. Unsere Autorin kotzt das an. | |
Bild: Auch knapp 30 Jahre nach dem Mauerfall noch eine Kategorie in den Köpfen | |
BERLIN taz | Das war am zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls. Im November | |
waren im Prenzlauer Berg Plakate an die ökologisch sanierten Hauswände | |
gepappt worden. „WIR SIND EIN VOLK!“, prangte da in weißen Großbuchstaben | |
auf schwarzem Grund. Darunter: „UND IHR SEID EIN ANDERES. Ostberlin, 9. | |
November 1990“. Gemeint waren mit dieser Schmähung die Zugezogenen, die | |
Westler. Und ja, ich weiß, das war fies. Aber sorry, es gefiel. Weil es | |
subversiv war. Und weil es [1][mal jemand anderen traf]. | |
Ich hatte nämlich auf den ersten Blick geglaubt, dass mit dem „anderen | |
Volk“ tatsächlich wieder ich gemeint sein könnte: die Ostlerin. So sehr | |
hatte ich mich daran gewöhnt, dass über Ostler in ihrer Gesamtheit in so | |
gut wie jeder herablassenden Weise geredet und gelacht werden durfte. Und | |
dass sich Leute wie ich dann einfach mal nicht so haben sollten, sondern | |
lieber laut mitlachen oder zustimmend nicken, etwa wenn in meiner Zeitung | |
„Reisewarnungen“ für Ostdeutschland ausgesprochen werden, weil das | |
Wahlergebnis dort nicht konveniert. Weil diese Ostler, vergleichbar | |
störrischen Kindern, nicht machen, was man nach mehr als einem | |
Vierteljahrhundert politischer und ökonomischer Subventionierung doch | |
wirklich erwarten könnte: sich anzupassen. | |
Du bist ja nicht gemeint, heißt es immer dann, wenn ich zickig werde. Und | |
nein, ich bin wirklich nicht gemeint. Weil ich bin ja eine von den | |
kompatiblen Ostlerinnen, die brav „im Westen angekommen“ sind, die das | |
Richtige wählen und konsumieren und keine Scherereien machen. Gemeint sind | |
diese Leute „aus den neuen Ländern“ mit den fiesen Dialekten und dem | |
Hautgout mangelnder Bildung. Die Nazis und die Galgenträger, die Frauen, | |
die Merkel anschreien und die falschen Klamotten tragen. Aber | |
Entschuldigung, auch die gehören zu Deutschland. Und Deutschland – das sind | |
wir doch alle, oder? | |
## Mein Humor kommt mir abhanden | |
„Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nennt der Soziologe Wilhelm | |
Heitmeyer, was Menschen in diesem Land widerfährt, die nicht weiß oder | |
westdeutsch und überhaupt der gute Durchschnitt sind. Denn tatsächlich bin | |
ich ja weiß und man sieht mir das Ostdeutschsein nicht an. Ich hätte gute | |
Gründe, meine Herkunft als einen, irgendeinen Teil meiner Biografie zu | |
verinnerlichen. Aber das kann ich nicht. Weil ich mich bis heute weigere, | |
sie als Makel zu verstehen. Und weil diese wohlfeile Abgrenzung, die | |
Herablassung und Besserwisserei gegenüber Ostdeutschen einen Teil meiner | |
Persönlichkeit triggern, den ich nicht verleugnen will und kann: | |
Solidarität mit Leuten, über die sich jeder lustig machen darf. Denen ihre | |
Herkunft, ihre Religion oder ihre Kultur hingehalten wird wie ein alter | |
Knochen. | |
Blöderweise kommt mir bei diesem Thema immer mehr mein Humor abhanden. | |
Meine gut gepflegte Selbstironie. Ich will mich eigentlich nicht mehr über | |
alte Kamellen aufregen. Aber sorry, ich kann so schlecht vergessen, wozu | |
ich lieber geschwiegen habe, um dazugehören zu dürfen. Nach der Wahl der | |
Ostfrau Angela Merkel fand ein Kollege es beispielsweise witzig, mich | |
fortan nur noch „Angie“ zu nennen. Kennste eine, kennste alle. Als ich vor | |
Kurzem in den Niederlanden war, wurde ich ernsthaft gefragt, ob es stimme, | |
dass wir Ostdeutschen uns so gerne auszögen – wir seien doch die mit diesem | |
FKK und dem natürlichen Sex. Und als es Brandenburg, wo ich lebe, vor | |
Jahren mit fremdenfeindlichen Exzessen bis in die internationalen | |
Schlagzeilen gebracht hatte, bat die taz ihre Leserschaft um die | |
Schilderung ihrer privaten Thrills. Ich habe noch mal im taz-Archiv | |
nachgeschaut – ein Leser, der den Schutz der Anonymisierung genießen | |
durfte, riet damals, sich „am besten bewaffnet in diese Regionen zu | |
begeben“. Und eine Gabriele schrieb, sie habe „mittlerweile schlicht und | |
ergreifend Angst vor ,diesen Leuten'.“ In diesem Bild-Zeitungs-Sound ging | |
es weiter und weiter. Und ja, jedes geschilderte Erlebnis war deprimierend. | |
Trotzdem konnte ich nicht anders, als den sie Schildernden zu misstrauen. | |
Waren das nicht ebenjene Leute, die am Wochenende durch meinen Vorort | |
zogen, auf der Suche nach einem Schnäppchen im Grünen? Sind das nicht die, | |
die in der Uckermark die Katen gekauft haben, um sich dort fortan als | |
Wochenendgäste über die billig sanierten Häuschen der Einheimischen zu | |
mokieren? | |
Auch ich mag denkmalgerecht renovierte Häuser lieber statt blau gedeckter | |
Dächer. Aber es kotzt mich an, mit welchem Hochmut die Leute mit dem Geld | |
und diesem monströsen Selbstbewusstsein des immer schon im Recht Gewesenen | |
in den Osten kommen, um ihre Standards zu setzen. Wie sie über die Leute | |
hier reden. Niemand von ihnen verfügt über jene Umbruch-Erfahrung, die die | |
Ostdeutschen gemacht haben. Im Gegenteil, für die Westdeutschen sind mit | |
dem Fall der Mauer nur noch ein paar Möglichkeiten hinzugetreten: Räume, | |
Jobs, Gelegenheiten. Im Ernst, die Brüche und das Scheitern nicht nur naher | |
Menschen, sondern ganzer Regionen und Branchen wünsche ich niemandem. | |
## Beurteilen: klar. Aber hier leben? | |
Als es im Bundestagswahljahr immer wieder gegen das nordrhein-westfälische | |
Duisburg-Marxloh als Nicht-Ort ging, fühlte ich mich dessen BewohnerInnen | |
nahe. So in etwa fühlt sich das seit fast dreißig Jahren für die Ostler an: | |
Jeder darf sie beurteilen. Aber hier leben – nein, danke. Die Publizistin | |
Marianne Birthler hat kürzlich für die NZZ einen Beitrag geschrieben. Sie | |
spricht dort von vierzig Jahren Teilung, die vierzig Jahren Heilung | |
bedürften. Aber sie belässt es nicht bei dieser Gefühls-Folklore, sondern | |
sie lässt Fakten sprechen, um die immer größer werdende Kluft zu | |
illustrieren. Bis heute zum Beispiel verdienen Ostdeutsche zwanzig Prozent | |
weniger als Westdeutsche. Sie verfügen über weniger als die Hälfte an Geld- | |
und Immobilienvermögen – die Ungleichheit wird sich also über die | |
Erben-Generation fortsetzen. Kein einziger DAX-Konzern sitzt im Osten, und | |
von den insgesamt 190 DAX-Vorstandsposten sind gerade mal drei Ostdeutsche. | |
Dass ein Teil Deutschlands strukturell schlechter gestellt ist, scheint für | |
die nächsten Generationen politisch akzeptiert zu sein. Dann aber, finde | |
ich, sollte man das auch so kommunizieren: Der Osten als Freifläche, als | |
arme Verwandtschaft, die 4er-Diesel fährt und ihr Essen beim Discounter | |
einkauft. Stattdessen hat die Bundesregierung gerade den x-ten | |
„Beauftragten für die neuen Bundesländer“ installiert. Allein der Titel i… | |
eine Zumutung: eine Art Wesir der Königin, der die Ländereien im Osten | |
nicht nur bereist, sondern gleich auch noch schönredet. Die dem Posten | |
innewohnende Vergeblichkeit, die ganze steuerfinanzierte Agitprop-Haltung | |
macht mich sauer. Nach bald dreißig Jahren, fürchte ich, werde ich nun doch | |
noch zur Wutbürgerin. | |
21 May 2018 | |
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Anja Maier | |
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in den neuen Bundesländern“. So bezeichnet er sich zumindest selbst. |