# taz.de -- Ostdeutsche in Führungspositionen: Westdeutsche Elite unter sich | |
> Dreißig Jahre nach der Wende sind Ostdeutsche in Führungspositionen klar | |
> unterrepräsentiert. Das liegt unter anderem an fehlenden Netzwerken. | |
Bild: Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland i… | |
BERLIN taz | Die Elite tickt westdeutsch. Spitzenpositionen in Justiz, | |
Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien sind bundesweit und in den | |
ostdeutschen Bundesländern vor allem mit Menschen besetzt, die aus dem | |
Westen stammen. Menschen, die in der DDR geboren und im Osten sozialisiert | |
wurden, sind auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in | |
Führungspositionen stark unterrepräsentiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine | |
am Mittwoch veröffentlichte Studie des Mitteldeutschen Rundfunks und der | |
Universität Leipzig. | |
Für den Ostbeauftragten der Bundesregierung Carsten Schneider, SPD, ein | |
unhaltbarer Zustand. „[1][Wenn Herkunft mehr zählt als Leistung] ist das | |
ungesund für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Teile der Ostdeutschen | |
fühlten sich nach wie vor fremdbestimmt. | |
Ein erstaunliches Resulat dieser mittlerweile vierten Erhebung sei, dass | |
Ostdeutsche nicht nur unterrepräsentiert seien, sondern dass ihr Anteil in | |
den Eliten in einigen Bereichen [2][sogar zurückgegangen sei], so der Autor | |
der Studie Michael Schönherr von der Uni Leipzig. | |
So werden etwa in den hiesigen Landesregierung immer weniger Posten mit | |
Ostdeutschen besetzt. Gegenwärtig liegt der Anteil von Ostdeutschen in den | |
fünf Landesregierungen bei 60 Prozent, in den 1990ern und 2000ern waren es | |
mal gut 70 Prozent. Auf der gesamtdeutschen Ebene, in der Bundesregierung, | |
gibt es momentan zwei Ostdeutsche, damit sind sie im Vergleich zum | |
Bevölkerungsanteil ebenfalls unterrepräsentiert. | |
Noch deutlicher ist der Rückgang der Ossis in der Wirtschaft. In den | |
Chef:innenetagen der 100 führenden Unternehmen im Osten Deutschlands | |
ist der Anteil Ostdeutscher über die Jahre von 70 auf aktuell 27 Prozent | |
gesunken. Das mag auch damit zusammenhängen, dass nur 40 Prozent der | |
ostdeutschen Unternehmen ihren Stammsitz im Osten hat, die Mehrheit sind | |
Tochterunternehmen „nicht-ostdeutscher“ Konzerne. „Da diese die Leitung v… | |
Tochterfirmen nicht selten mit Nachwuchskräften aus ihrer Konzernstruktur | |
heraus besetzen, sind die Chancen für Ostdeutsche geringer einzuschätzen“, | |
heißt es in der Studie. | |
## Netzwerke als Karrierekiller | |
Lediglich in der Wissenschaft und in der Justiz konnten Ostdeutsche in den | |
vergangen Jahren aufholen. So ist jede fünfte Institutsleiter:in heute | |
ostdeutsch und fast jede vierte Richter:in. | |
In der Gesamtbevölkerung haben 17 Prozent der Einwohner:innen eine | |
ostdeutsche Biografie, in den ostdeutschen Bundesländern selbst sind es 80 | |
Prozent. Als ostdeutsch gilt dabei, wer entweder in der DDR geboren und | |
aufgewachsen ist oder einen Großteil seiner Kindheit und Jugend in den | |
östlichen Bundesländern verbracht hat. Berlin haben die Forscher:innen | |
als Sonderfall dabei weitgehend ausgenommen. | |
Verantwortlich für die nach wie vor starke Unterrepräsentanz von | |
Ostdeutschen in Führungspositionen sind zum einen starre und | |
strukturkonservative Netzwerke, die Karrieren fördern. „Wir haben es hier | |
mit sich selbst verstärkenden Netzwerken zu tun, die sich in der Regel | |
nicht vermischen“, so die Personalberaterin Constanze Buchheim. Je höher | |
eine Position sei, desto stärker werde bei der Einstellung nach dem Prinzip | |
der sozialen Ähnlichkeit verfahren, während fachliche Aspekte weniger | |
wichtig würden. | |
Passend dazu fanden die Forscher:innen heraus, dass der Aufstieg in die | |
Elite eher über einen westdeutschen Bildungsweg gelingt: Wer im Westen | |
studiert, hat bessere Aussichten in Führungspositionen aufzusteigen. | |
## Ossi-Quote könnte helfen | |
Für den Ostbeauftragten der Bundesregierung Schneider liegt in den | |
Personalabteilungen auch der Schlüssel zu mehr Diversifizierung: Es gehe | |
darum, hier für eine andere Einstellungspraxis zu sensibilisieren. Dabei | |
sprach sich Schneider aber gegen eine feste Ossi-Quote aus, auch wegen der | |
Abgrenzungsschwierigkeiten, ab wann man als ostdeutsch gilt. | |
Einen weiteren Grund für die dürftige Repräsentanz von Ostdeutschen in den | |
Eliten sieht Schneider in der fehlenden materiellen Sicherheit, die viele | |
ostdeutsche Lebensläufe nach wie vor präge. Ostdeutsche erbten kaum und | |
seien häufiger auf sich selbst zurückgeworfen. „Das bringt dann viele dazu | |
sich für die scheinbar sichere Variante zu entscheiden, sei es bei der | |
Studienwahl oder bei der Karriere“, so Schneider. | |
Der Sozialdemokrat hat deshalb kürzlich vorgeschlagen jeder 18-Jährigen ein | |
staatliches Grunderbe von 20.000 Euro auszuzahlen, welches über eine | |
saftige Erbschaftssteuer finanziert wird. Der Vorschlag dürfte beim | |
Koalitionspartner FDP chancenlos sein. | |
8 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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