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# taz.de -- Studie belegt Ost-West-Spaltung: Das Unbehagen im System
> Die neue Heitmeyer-Studie besagt, dass Deutschland ein Land mit zwei
> Gesellschaften ist: Die eine liegt im Osten, die andere im Westen. Und in
> beiden steigt die Zahl der Ausreiseanträge.
Bild: Der Osten? Bleibt für viele im Westen Platte und grau und rechtsextrem -…
Es gibt in Deutschland eine gewisse Ermüdung, den "Ostteil" des Landes
immer nur in Problemzusammenhängen zu sehen, vielleicht auch weil
Wissenschaftler, Journalisten und Politiker einfach nicht müde werden, auf
diese Zusammenhänge hinzuweisen. So wie derzeit der Bielefelder
Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer: Ostdeutsche fühlen sich laut
seiner aktuellen Studie unverstanden und benachteiligt - und lassen ihre
schlechte Laune auch noch an Minderheiten aus. Zudem sei ihr "Verhältnis
zum demokratischen System signifikant negativer". Im Vergleich zu den
Westdeutschen.
Kein Wunder eigentlich, denn Letztere haben mehrheitlich ein völlig
ungebrochenes Verhältnis zu genau diesem "System", das sie in der Regel gar
nicht als solches betrachten, sondern als selbstverständlich ansehen. In
Ostdeutschland hingegen begegnet man mitunter MitbürgerInnen, die im Lauf
ihres Lebens nunmehr im fünften "System" angekommen sind und dann nach
einem Krankenhausaufenthalt schon mal fragen: "Mein Gott, war das Essen
dort schlecht - liegt das an der Regierung?"
Kein Problem eigentlich, aber eben eine völlig andere Wahrnehmung, die von
dem Wissen genährt ist, dass "Systeme" eben relativ sind, so wie die
bundesrepublikanische "Demokratie", die dem gelernten DDR-Bürger zum einen
aus dem Westfernsehen, zum anderen aus dem Staatsbürgerkundeunterricht
schon immer wohlvertraut war. Das andere "System" eben, mit dem man
konkurrierte, das als unterlegen galt - und dem man sich dann schließlich
doch anschloss, weil das eigene am Ende zu viel Unbehagen bereitete.
Dann ist das alte "System" weg, das neue ist immer noch da und man selbst
mittendrin - und so mancher bald einsetzende Verlustschmerz paarte sich
rasch mit dem ebenfalls schmerzlichen Gefühl, irgendwie verloren zu haben.
Verlierer im Kampf der "Systeme" mit dem Ergebnis, laut Heitmeyer-Studie,
dass sich 64 Prozent der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse fühlen. Es
fehlt den Ostdeutschen, subjektiv, an Anerkennung.
Den somit angeklagten Westdeutschen auf dem Siegerpodest und mit
Erste-Klasse-Tickets ausgestattet mangelt es laut Studie übrigens ebenfalls
an Anerkennung von Seiten der Verlierer: Hat man nicht fleißig Steuergelder
zur Verfügung gestellt, den Verfall der eigenen Infrastruktur in Kauf
genommen und sich im Ganzen eigentlich nichts Böses gedacht bei der
Wiedervereinigung: Die Brüder und Schwestern aus dem Osten wollten zu uns
kommen und wir haben sie willkommen geheißen.
Doch - Undank ist der Weltlohn - nun wird immer nur gemeckert und auf
Ausländern, Obdachlosen und Muslimen herumgetrampelt. Im "Osten" an sich,
denn eine Binnendifferenzierung findet aus westlicher Perspektive nicht
statt. Dunkeldeutschland bleibt Dunkeldeutschland, während der Westen
differenziert betrachtet wird. Zum Beispiel das Bundesland Bayern, das in
punkto Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Befürwortung
einer Diktatur und Verharmlosung des Nationalsozialismus weit vor den neuen
Bundesländern liegt. Weißwurst-Zonis.
Der eigentliche Witz ist jedoch, dass sich laut dem neuen Migrationsbericht
immer mehr Gesamtdeutsche unwohl in ihrem heimischen "System" fühlen und
das Land verlassen, frei nach dem Motto der Bremer Stadtmusikanten "Was
Besseres als das Leben hier können wir überall finden". Im letzten Jahr
waren es derer 161.000.
Flucht vor nörgelnden Ossis oder doch eher vor dem schlechten Wetter im
Winter, Hartz IV und den Zumutungen des Deutschseins an sich?
Wer Ostdeutschen einmal zuhört und sich die Mühe macht, sie auch
tatsächlich zu verstehen, kann sich anhand ihrer Erzählungen ein Bild davon
machen, wie es sich anfühlt, wenn die Menschen einfach gehen, anstatt sich
um die gemeinsamen Probleme zu kümmern. Einfach ausreisen - so wie weiland
in den Achtzigerjahren zu Hauf aus der DDR. Und man kann von ihnen eben
auch lernen, dass ein "System" nicht ehern und unabänderlich ist, sondern
gestaltet und verändert werden kann.
Solche Erzählungen sind keineswegs ermüdend, sondern erhellend und
anregend. Wir sind das Volk.
Es sei denn, alle hauen ab.
5 Dec 2008
## AUTOREN
Martin Reichert
Martin Reichert
## TAGS
Führungspositionen
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