# taz.de -- Die Kölner Keupstraße: Türkischer Mikrokosmos | |
> Kurden, Erdoğan- und Gülen-Anhänger, die Keupstraße ist bunt gemischt. | |
> Nach dem NSU-Attentat fanden alle zusammen. Und nach dem Putschversuch? | |
Bild: Eine einzigartige Straße | |
KÖLN taz | Die Keupstraße in Köln ist eine Straße wie keine andere in | |
Deutschland. Wer dorthin möchte, geht von der gleichnamigen | |
U-Bahn-Haltestelle an Wettbüros vorbei und an Backsteinmauern. Eine | |
weihnachtlich geschwungene Leuchtschrift grüßt: „Herzlich Willkommen in der | |
Keupstraße“. | |
Auf einem halben Kilometer gibt es zwölf Juweliere und vier Konditoreien, | |
Friseure, Bäcker, Restaurants, einen Steuerberater und einen Musikladen. | |
Hier leben und arbeiten Kurden, Türken, Aleviten, Sunniten, Linke, | |
Nationalisten, Konservative und Kemalisten. In den zehn Minuten, die es | |
braucht, um einmal durch die Straße zu laufen, trifft man sie alle. | |
Zwei Männer sitzen auf den Stufen eines Teehauses und diskutieren. Der eine | |
sagt „Siyasi süreç.“ Der andere schüttelt den Kopf. „Siyasi süreç“… | |
„politischer Prozess“. Sie reden über die Reaktionen der Regierung von | |
Recep Tayyip Erdoğan auf den Putschversuch in der Türkei. „Süreç“ kann | |
nicht nur „Prozess“ sondern auch „Verlauf“ heißen, es signalisiert jed… | |
der auf Türkisch über Politik redet: Dieses Thema hat Gewicht. „Çözüm | |
süreci“ war die Vokabel für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage, als | |
daran in der Türkei noch jemand glaubte, und jetzt gibt es „darbe süreci“, | |
den „Putschprozess“ oder, allgemeiner, freundlicher eben, den „politischen | |
Prozess“. | |
Die türkische Regierung hat, diese Zahlenangabe stammt von ihr selbst, fast | |
16.000 Menschen nach dem Putschversuch festgenommen, Militärs, Beamte, | |
Journalisten. Es wurden Haftbefehle gegen mehr als 2.800 Richter und | |
Staatsanwälte erlassen. Tausende Menschen wurden entlassen, Rektoren und | |
Dekane an Universitäten. Lehrer. Akademiker dürfen nicht ausreisen. Klar, | |
dass das hier ein großes Thema ist. Einerseits. Viele sagen aber, das sei | |
es nicht. Andererseits. | |
„Was in der Türkei passiert, das passiert in der Türkei. Die Keupstraße ist | |
eine deutsche Straße“, sagt Meral Şahin, die Hochzeitsaustatterin. „Wir | |
machen hier Kekse und Baklava, keine Politik“, sagt Servet Özdağ, der | |
Konditor. | |
## Die Straße mit der Bombe | |
Es gibt hier Menschen, die fürchten nichts so sehr wie Fragen. Weil sie | |
neues Misstrauen in die Straße bringen könnten oder das sichtbar machen, | |
was es schon gibt. Schließlich ist das die Straße, in der die Bombe | |
explodiert ist. | |
Im Juni 2004 schleuderte ein Sprengsatz vor einem Friseurladen über 700 | |
Zimmermannsnägel in alle Richtungen. 22 Personen wurden verletzt, vier | |
schwer. Die Polizei vermutete kriminelle Migrantenmilieus und | |
Schutzgelddelikte. Es kursierten Gerüchte, das Attentat sei eine Eskalation | |
des kurdisch-türkischen Konflikts auf deutschem Boden. Manche in der Straße | |
wollten nicht daran glauben, aber viele fragten sich, ob man dem Nachbarn | |
noch trauen könne. | |
Als bekannt wurde, dass der Anschlag rechtsextrem motiviert und vom | |
Nationalsozialistischen Untergrund verübt wurde, waren sie hier einerseits | |
erleichtert, andererseits wütend auf die, die das Misstrauen gesät hatten. | |
Die Jahre danach waren eine Zeit des Zusammenrückens. Nun, nach dem | |
Militärputsch kommen wieder Menschen von außen, neue Fragen. | |
Türkische Popmusik schallt drei bis vier Häuser weit. „Der einzige | |
türkische Musikmarkt Europas“, sagt Hasan Emektar, Mitte vierzig, kurze | |
schwarze Haare, mit etwas Gel aufgestellt, weißes T-Shirt, blaue Jeans, er | |
redet gerne, schnell und viel. | |
## Hier sind alle gleich | |
Über 30.000 CDs habe er im Sortiment. Ein Album von Mustafa Yıldızdoğan, | |
einem nationalistischen Sänger, der für die Grauen Wölfe auftritt, steht | |
nicht weit weg von Aufnahmen des kurdischen Sängers Şivan Perwer, der über | |
kurdische Landschaften singt. Es gibt auch „Atatürks Lieblingslieder“. | |
Hasan Emektar ist für alle da. Sein Laden ist gut besucht zur Mittagszeit. | |
Bei türkischstämmigen KölnerInnen ist die CD noch kein totes Format. | |
Seinen richtigen Namen will Emektar nicht in der Zeitung lesen, weil er | |
fürchtet, dass sein Geschäft darunter leiden könnte. Er ist alevitischer | |
Kurde, aus Tunceli – einer türkischen Provinz mit gleichnamiger Hauptstadt, | |
in der viele Kurden und Aleviten leben. Sie hieß einmal Dersim. „Tunceli“ | |
bedeutet „eiserne Hand“ und war der Name einer Militäroperation in der | |
Provinz, der Ende der 1930er Jahre viele AlevitInnen zum Opfer fielen. Der | |
türkische Name wurde damals von Ankara angeordnet. | |
In den 90ern sei er wegen des Krieges gegen die Kurden nach Istanbul | |
geflohen, sagt Emektar, und später nach Deutschland gekommen. Im hinteren | |
Teil des Ladens hängt ein Poster mit drei Männern: Ahmet Kaya mit einem | |
Teeglas in der Hand, ein Sänger, der bei einer Preisverleihung knapp einem | |
Lynchmord entging und dann ins französische Exil musste, weil er ein | |
kurdisches Lied aufnehmen wollte. Er starb in Frankreich. Neben ihm sitzt | |
Deniz Gezmiş, Kopf der türkischen 68er Bewegung, der nach dem Militärputsch | |
1971 gehängt wurde; und Yılmaz Güney, einer der beeindruckendsten | |
Schauspieler und Regisseure der türkischen Filmgeschichte, ebenfalls Kurde, | |
ebenfalls im Exil verstorben. „Das waren die Großen“, sagt Hasan Emektar. | |
Das Poster zeigt die drei in einer Gefängniszelle. | |
Schlimm sei das gewesen, was in der Türkei damals passierte, sagt Hasan | |
Emektar. Das, was heute passiere, natürlich auch. Aber hier in der | |
Keupstraße, lasse man sich davon nicht beeindrucken. „Wir sind hier alle | |
gleich – egal ob Kurden, Türken, Aleviten oder Sunniten“, sagt er. Unter | |
den Ladenbesitzern sei es wie bei den drei Musketieren: „Einer für alle, | |
alle für einen.“ | |
Manchmal, wenn Zeit dafür sei, diskutiere er draußen auf der Straße mit | |
seinen Kollegen über Politik – auch mit Konservativen und Nationalisten. | |
Eine Demokratie brauche Vielfalt und jede Regierung eine Opposition: „Nicht | |
jeder muss die AKP toll finden.“ | |
Wenn es nach Hasan Emektar geht, sollen „alle denken und leben, wie sie | |
wollen“. Bei den Aleviten sei man eben liberal. Seine Toleranz habe | |
trotzdem Grenzen: „Wenn fundamentalistische Religiosität ins Spiel kommt | |
und Menschen anderen Menschen ihre Lebensweise aufdrängen wollen, wird es | |
gefährlich.“ | |
## Und doch getrennt | |
Je länger Hasan Emektar redet, desto mehr spricht er auch über das, was die | |
Menschen in der Keupstraße trennt. Er findet es nicht richtig, dass manche | |
Restaurants hier keinen Alkohol ausschenken. Viele KölnerInnen kämen wegen | |
des Essens in die Keupstraße und würden gerne Wein trinken. Manche würden | |
ihn für diese Meinung als ungläubigen Aleviten schmähen. | |
Den Putschversuch hält Hasan Emektar nicht für eine Inszenierung. „Die | |
Gülen-Leute waren das“, sagt er. Zusammen mit der AKP hätten diese zuerst | |
die Kemalisten entmachtet und jetzt bekämpften beide Parteien einander. Er | |
zitiert ein türkisches Sprichwort: „Der Rabe, den sie fütterten, sticht | |
ihnen jetzt die Augen aus.“ | |
Hinter zwei Kunden betritt lächelnd eine junge Polizistin den Laden. Die | |
Uniform wirkt zu groß für die zierliche Beamtin. Sie lehnt sich an den | |
Verkaufstisch und spricht Hasan Emektar mit ernster Miene auf Türkisch an. | |
Sie gehe von Laden zu Laden, um die Ladenbesitzer über die Demonstration am | |
Wochenende zu informieren. Dann wollen Erdoğan-AnhängerInnen wieder in Köln | |
demonstrieren. | |
Die Union Europäisch Türkischer Demokraten, bekannt als Lobbyorgansiation | |
der AKP, lädt unter dem Motto „Demokratische Demonstration gegen den | |
Militärputsch“ ein. Bis zu 30.000 Menschen werden an der Deutzer Werft, auf | |
einem Gelände am Rheinufer, erwartet. Nach Gesprächen zwischen | |
Veranstaltern und Behörden wurde die Demonstration vom zentralen | |
„Heumarkt“ hierhin verlegt. 2.000 Beamte sollen Ausschreitungen verhindern. | |
Kurdischer und säkularer, linker Gegenprotest ist angekündigt. Dazu rufen | |
das „Bündnis gegen Rechts“ sowie ein Zusammenschluss aus | |
Jugendorganisationen von Grünen, SPD, Linker und FDP unter dem Motto | |
„Erdowahn stoppen!“ auf. Auch die rechtsextreme Partei Pro NRW ruft zum | |
Protest. | |
Die Beamtin erzählt von einem Vorfall im April, als nach einer | |
Demonstration von türkischen NationalistInnen überall in der Stadt Anhänger | |
und Gegner des türkischen Präsidenten aneinandergerieten. Auch in der | |
Keupstraße. Damals habe hier ein junger Mann seinen Audi geparkt mit einem | |
Wolf auf dem türkischen Halbmond, dem Symbol der rechtsextremen Grauen | |
Wölfe, auf der Heckscheibe. Eine Gruppe von kurdischen Männern habe ihn | |
daraufhin angegriffen, schwer verletzt und sein Auto demoliert. Niemand in | |
der Keupstraße solle sich instrumentalisieren lassen, sagt die Polizistin. | |
Später steht sie vor einem Juwelier und spricht mit zwei jungen Männern. | |
## Heimat für Türkischstämmige | |
Die ersten GastarbeiterInnen aus der Türkei zogen ab den 1960ern in die | |
Keupstraße. Viele von ihnen fanden Arbeit in den benachbarten Kabelwerken | |
und bezahlbare Wohnungen. Ab 1970 machten sich einige, die hier lebten, | |
selbstständig. So wurde aus der Keupstraße der halbe Kilometer Heimat für | |
viele Türkischstämmige. | |
Ganz am Ende der Straße, wo die Keupstraße auf die Bergisch Gladbacher | |
Straße trifft, steht ein Haus mit schwarzer Fassade und großen | |
Schaufenstern, „Meral Deko“ steht in Silber daran. Hier gibt es Blumen, | |
Kästchen für Eheringe, Luftballons. | |
Meral Şahin, 1971 in Köln geboren, verkauft alles, was man für eine | |
Hochzeit brauchen könnte. Mit zwei Kolleginnen packt sie Bonbons in | |
Spitzenstoff ein, Gastgeschenke. Immer wenn sie sich aufregt oder etwas | |
zuspitzen will, legt sie ihre Arbeit beiseite, um sich ganz auf ihren | |
Gesprächspartner konzentrieren zu können. Seit 2003 führt sie ihr Geschäft, | |
viele Kunden kommen und gehen an diesem Tag, selten ist der Laden leer. | |
Auch Meral Şahin weiß von dem Angriff der Kurden auf den Fan der Grauen | |
Wölfe, sie sagt, das sei ein „Ausnahmefall“. Schon zuvor, am Ebert-Platz, | |
hätten sich die Leute gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Sehr kurz, | |
anderthalb Minuten habe der Angriff auf der Keupstraße gedauert. | |
Gefundenes Fressen für die Medien, sagt sie. Seither gibt es | |
Facebook-Seiten wie zum Beispiel „Keupstraße Boykot“ mit 11.276 Likes. | |
Wahlweise wird auf diesen Seiten behauptet, die Keupstraße sei PKK-loyal | |
oder sie stehe der Gülen-Gemeinde nahe. | |
## Zusammenstehen gegen Rechts | |
Şahin ist die Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße e. V., sie | |
organisiert das „Birlikte“-Festival. „Birlikte“ – „zusammenstehen�… | |
die Antwort der Keupstraße auf den rechten Terror des | |
Nationalsozialistischen Untergrunds. Seit 2014 haben sie es dreimal | |
gefeiert. 2015 kamen 80.000 BesucherInnen, es sangen Peter Maffay und Udo | |
Lindenberg. Meral Şahin wurde als Botschafterin des Bündnisses für | |
Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt ausgezeichnet. | |
Sie sagt, in der Keupstraße hätten sich Leute geprügelt, die gar nicht | |
hierhergehörten. Im Westen liege ein türkischnationalistisches Vereinsheim, | |
in Osten ein kurdisches Lokal – „und die Keupstraße liegt genau | |
dazwischen“. Es gebe Leute, die versuchten, der Straße durch Polarisierung | |
zu schaden. „Das werden wir nicht zulassen“, sagt Meral Şahin. „Wir werd… | |
nicht zum Mittel für deren Zwecke“. | |
Ob bei der Großdemonstration am Wochenende ähnliche Eskalation zu | |
befürchten ist? „Das kotzt mich an!“, antwortet Şahin – und entschuldigt | |
sich gleich für ihre Wortwahl. Normalerweise passiert ihr so etwas nicht, | |
sie spricht schnell, pointiert, polemisch, bleibt aber immer freundlich. | |
„Wieso werden wir ständig gefragt, was wir von politischen Geschehnissen in | |
einem Land halten, das 3.000 Kilometer entfernt ist?“ | |
Şahin wurde in Köln geboren, ihre Eltern kamen aus der westtürkischen | |
Schwarzmeerprovinz Düzce als Gastarbeiter nach Deutschland. „Man wird als | |
türkischstämmige Person ständig gedrängt, eine Meinung zur Türkei zu | |
haben“, sagt sie. „Zwölf Jahre ist der Anschlag her, und es gibt immer noch | |
kein Urteil. Fragt jemand noch danach?“ | |
Sie sagt auch, die Leute sollten lieber fragen, wie man in Deutschland | |
miteinander leben wolle. Die Aufmerksamkeit für die Differenzen sei zu | |
groß. | |
„Wenn sie es trotzdem wissen wollen: Ich weiß nicht, was gerade in der | |
Türkei passiert“, sagt Şahin. Sie wisse aber, dass die Türkei gerade | |
besonders im Fokus stehe. Über den Ausnahmezustand in Frankreich werde | |
nicht so aufgeregt diskutiert. „Natürlich läuft eine Menge falsch in der | |
Türkei“, sagt Şahin, aber die Diskussionen zeugten von Doppelmoral. | |
## Mit Gauck und Erdoğan | |
An einer Wand in ihrem Laden hängen eingerahmte Fotos, türkische und | |
deutsche Zeitungsartikel. „Eine Frau als Präsidentin einer türkischen | |
Straße“ und „Der rassistische Terror hat verloren“, schreiben zwei | |
türkische Zeitungen. Auf einem Foto darüber, im Zentrum der Sammlung, | |
lächelt Meral Şahin gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck. Auch er | |
besuchte das Birlikte-Fest. | |
Rechts neben dem Gauck-Bild steht Şahin auf einem kleineren Foto neben dem | |
türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Ganz unten ist ein | |
eingerahmtes Schreiben von Ditib, der Türkisch-Islamischen Union der | |
Anstalt für Religion – einem Dachverband der türkischen Moscheegemeinden in | |
Deutschland. Ditib untersteht der türkischen Behörde für | |
Religionsangelegenheiten und die wiederum dem Amt des türkischen | |
Ministerpräsidenten in Ankara. | |
Es war eine Freitagspredigt von Ditib, online abrufbar, die in dieser Woche | |
für neuen Streit über türkische Angelegenheiten in Deutschland sorgte. Die | |
Grünen-Politker Volker Beck und Cem Özdemir kritisierten die Predigt in der | |
Moschee Köln-Ehrenfeld. Darin heißt es unter anderem: „Diese dem eigenen | |
Volk zugefügte Behandlung der amoklaufenden Junta wird seitens des Volkes | |
sicherlich nicht vergessen werden und die Teilhaber dieses fürchterlichen | |
Versuchs werden immer verurteilt werden.“ | |
Beck sagte, Religion würde hier für die politischen Zwecke der | |
AKP-Regierung instrumentalisiert. Cem Özdemir forderte, Ditib solle sich | |
von Ankara lösen. Eine andere Ditib-Moschee, die in Hagen, verkündete auf | |
einem Aushang: „Vaterlandsverräter dürfen hier nicht mehr beten!“ Das soll | |
den Anhängern des in den USA lebenden Predigers Fetullah Gülen gegolten | |
haben. Ihnen wirft der türkische Präsident Erdoğan die Unterwanderung des | |
türkischen Staates und den vor zwei Wochen gescheiterten Putschversuch vor. | |
## Einen Putsch macht man am Morgen | |
Cahit Çelik ist 70 Kilometer gefahren, um heute in der Keupstraße zu sein. | |
Er ist 45 Jahre alt, dünn, graue Strähnen, und stammt ursprünglich aus dem | |
südostanatolischen Gaziantep. Çelik sagt, er sei der Teilhaber der | |
Konditorei Özdağ, in der er gerade steht, ein Witz, er lacht. Cahit Çelik | |
betreibt ein Restaurant in Lüdenscheid. Er kommt hierher, um Baklava für | |
seinen Laden zu kaufen. | |
Für Çelik ist ganz klar, dass es Gräben zwischen den Ladenbesitzern gibt, | |
und die seien seit dem versuchten Militärputsch noch tiefer geworden. „Die | |
einen sind Anhänger Erdoğans, die anderen Gefolgsleute von Gülen“, sagt | |
Cahit Çelik, „und wiederum andere sind Kurden.“ Es gebe Boykottaufrufe, | |
nicht im anderen Lager einzukaufen. „Unsere Gesellschaft kann die sozialen, | |
ethnischen und religiösen Spaltungen nicht überwinden“, sagt er. „Sie ist | |
in dieser Hinsicht unterentwickelt.“ Er meint die Gesellschaft in der | |
Türkei ebenso wie die Türkischstämmigen in Deutschland. | |
Obwohl man in Europa lebe, Ausgrenzung erlebt habe, schaffe man es nicht, | |
miteinander auszukommen, sagt er. Auch die Obrigkeitshörigkeit sei ein | |
Problem. Der Putsch in der Türkei beweise das einmal mehr. | |
Beim Stichwort „Putsch“ meldet sich sein Freund zu Wort, der mit ihm aus | |
Lüdenscheid gekommen ist. Weiße Haare, sanfte Stimme, kann reden, ohne das | |
Gesicht zu bewegen: „Ein Putsch mit 2.000 Mann. Das ist lächerlich“, sagt | |
Çeliks Freund. „Außerdem macht man einen Putsch am frühen Morgen und nicht | |
am Abend. Schließlich hat alles seine Zeit!“ Eine Inszenierung sei das | |
gewesen. | |
Der Staat in der Türkei, da sind sich beide Männer einig, sei ein Staat, in | |
dem immer schon der Stärkere das Sagen hatte, das spiele es keine Rolle, ob | |
man nun im Recht sei oder nicht. | |
„Die Keupstraße ist nicht politisch und steht über den Konflikten in der | |
Türkei“, sagt Servet Özdağ. Er ist Betreiber der Konditorei und ein Freund | |
von Meral Şahin. Über die Politik in der Türkei, über den Putsch und was | |
danach passiert ist, will er nicht reden. | |
Worüber Özdağ gerne redet, ist sein Geschäft. Seit 30 Jahren gebe es die | |
Konditorei „Hasan Özdağ“, sagt er, man kann den rheinischen Singsang hör… | |
Die Özdağs sind eine große Familie, sie haben hier so etwas wie das | |
Baklavamonopol inne. | |
Hasan Özdağ, Servets Vater, hat in den 70ern angefangen, türkische | |
Süßspeisen auf der Straße zu verkaufen, und mit dem Geld dann den Laden | |
aufgebaut. 2007 strahlte der WDR eine siebenteilige Dokumentarreihe über | |
die Familie aus. „Die Özdağs“ zeigt den ZuschauerInnen den Alltag der | |
Großfamilie, die mittlerweile in der dritten Generation in Köln lebt. Es | |
ist eine Geschichte von Mut, Tatkraft, Unternehmergeist, dem Versuch, sich | |
etwas von der alten Heimat zu erhalten und zugleich in der neuen Erfolg zu | |
haben. | |
Es ist eine Geschichte über das, was die Keupstraße ausmacht. Darüber, | |
warum sie eine Straße ist wie keine andere in Deutschland. | |
Worüber Servet Özdağ auch etwas sagen möchte, ist der NSU. Als rauskam, wer | |
das mit der Bombe war, war sie natürlich einerseits erleichtert. | |
Andererseits sei klar geworden: „Der Staat steckt da mit drin“. | |
Belastende Jahre seien es nach dem Anschlag gewesen. Über das Misstrauen in | |
der Keupstraße sagt er: „Wenn du eine Lüge einhundertmal hörst, dann fäng… | |
du an, sie zu glauben!“ Letztendlich habe man aber wieder zusammengefunden. | |
Das will sich Servet Özdag nicht wegnehmen lassen. | |
31 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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