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# taz.de -- Die Ampelkoalition und Europa: Gemischte Gefühle in Brüssel
> Für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen könnte es ungemütlich
> werden. Der Ampelkoalitionsvertrag enthält gleich mehrere Bruchstellen.
Bild: Ist sich noch nicht sicher, was sie von der Ampelkoalition zu erwarten ha…
Brüssel taz | Großer Jubel im Europaparlament, betretenes Schweigen in der
EU-Kommission: Der am Mittwoch vorgestellte Koalitionsvertrag der kommenden
deutschen Ampelregierung ist in Brüssel mit gemischten Gefühlen aufgenommen
worden.
Während Parlamentspräsident David Sassoli – ein Sozialdemokrat aus Italien
– dem [1][designierten Kanzler Olaf Scholz] (SPD) gratulierte, hielt sich
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auffällig zurück. Über die
Gründe wird eifrig spekuliert. Will sie abwarten, bis der neue Kanzler
vereidigt wird, wie es offiziell in ihrer Behörde heißt? Oder fürchtet die
CDU-Politikerin um ihre politische Zukunft?
Grund dazu hätte sie – denn [2][im Koalitionsvertrag] wird bereits über
ihre:n Nachfolger:in gesprochen. Darin heißt es, dass die Grünen das
Vorschlagsrecht für den beziehungsweise die nächste deutsche
EU-Kommissar:in erhalten. Dies soll zwar nur gelten, „sofern die
Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt“. In Brüssel wird
dieser Passus aber als verklausulierter Abschied von der Amtsinhaberin
gedeutet. Bei der nächsten Europawahl 2024 habe sie keine Chance.
Schon 2019 war von der Leyen gegen den Willen der SPD nominiert worden; die
meisten Europaabgeordneten der Sozialdemokraten und der Grünen stimmten
gegen sie. Nun hat sich auch die FDP enttäuscht von ihr abgewandt. Die
[3][ehemalige Bundesverteidigungsministerin] habe nur „leere Versprechen“
gemacht und kaum etwas umgesetzt, erklärte der FDP-Europaabgeordnete Moritz
Körner; er werde keine zweite Amtszeit unterstützen.
Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold beteuert zwar, die Formulierung im
Ampelvertrag sei „keine Misstrauenserklärung“. Beim „European Green Deal…
genieße von der Leyen weiter das Vertrauen der Grünen. Doch in anderen
Fragen bröckelt die Unterstützung.
## Etliche Konfliktpunkte
Der Koalitionsdeal enthält gleich mehrere Bruchstellen. So fordern die
Ampelkoalitionäre, mehr Druck auf Polen und Ungarn. Man plane, „die
bestehenden Rechtsstaatsinstrumente konsequenter und zeitnah zu nutzen und
durchzusetzen“, heißt es. Dies ist eine Aufforderung an von der Leyen,
nicht länger zu zögern und den Rechtsstaatssündern endlich den Geldhahn
zuzudrehen. Die deutsche EU-Chefin schiebt [4][die Entscheidung seit
Monaten vor sich her].
Zu Streit kann es auch beim Klimaschutz kommen. Die Ampel übernimmt zwar
weitgehend das Aktionsprogramm „Fit for 55“, das von der Leyen im Sommer
vorgestellt hatte. Doch beim Abschied vom Verbrennermotor bleibt die neue
Koalition vage. Brüssel fordert, dass 2035 Schluß sein soll – Berlin weicht
einer Festlegung bislang aus.
Für Zündstoff dürfte auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik sorgen. Der
neue Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) steht von der Leyen zwar
näher als Grünen-Co-Chef Robert Habeck, der den Posten auch gerne gehabt
hätte. Doch im Koalitionsvertrag ist offen geblieben, wie die EU sich
künftig finanzieren soll.
Brüssel hofft auf neue Eigenmittel, also Steuern und Abgaben. Doch Berlin
spart das Thema aus. Wie die Milliardenschulden abgestottert werden sollen,
die die EU für ihren Wiederaufbaufonds aufgenommen hat, bleibt im Unklaren.
Unter den Teppich gekehrt wurde auch der [5][Streit um den Stabilitätspakt]
für den Euro. Die Ampel lobt seine „Flexibilität“ – dabei musste er in …
Coronakrise ausgesetzt werden, weil die veralteten Schuldenregeln nicht
einmal mehr von Deutschland eingehalten wurden.
Frankreich hat den Pakt daher für obsolet erklärt. Paris will eine radikale
Reform der Fiskalregeln. Doch die neue, „fortschrittliche“ Koalition weicht
aus – wohl auch, weil man in Berlin selbst noch nicht recht weiß, wie man
die ehrgeizigen Ziele, etwa im Klimaschutz, finanzieren will. Am Ende
könnte auch Deutschland mehr Schulden machen, als es der Stabilitätspakt
erlaubt.
Doch es gibt auch Grund zur Freude. Scholz will die EU in einen „föderalen
Bundesstaat“ weiterentwickeln. Das fordert von der Leyen schon seit Jahren.
In der CDU wurde sie dafür belächelt; nicht einmal Angela Merkel wollte ihr
folgen. Mit der neuen Regierung könnte nun frischer Wind in die Debatte
über die Zukunft der Union kommen.
25 Nov 2021
## LINKS
[1] /Ampel-Regierung-steht-doch-wofuer/!5813962
[2] /Einigungen-der-Ampel-Parteien/!5817741
[3] /Militaermanoever-Trident-Juncture-2018/!5544820
[4] /Konflikt-zwischen-Bruessel-und-Warschau/!5805933
[5] /EU-Debatte-um-Haushaltsregeln/!5806122
## AUTOREN
Eric Bonse
## TAGS
Ursula von der Leyen
Europa
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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