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# taz.de -- EU-Parlamentspräsident Sassoli ist tot: „Ein Symbol für Ausgewo…
> David Sassoli hatte sich auch in der Pandemie für eine stärkere Rolle der
> Abgeordneten engagiert. Auf ihn soll eine erzkonservative EVP-Politikerin
> folgen.
Bild: EU-Parlamentspräsident David Sassoli im Juli 2020
Brüssel taz | Es ist ein Schock für die EU: Kurz vor dem Ende seiner
Amtszeit ist der Präsident des Europaparlaments, der Italiener David
Sassoli, am Dienstagmorgen im norditalienischen Aviano gestorben. Der
65-Jährige war zu Weihnachten ins Krankenhaus eingeliefert worden; er starb
nach offiziellen Angaben an einer Störung des Immunsystems.
Sassoli, der der Partito Democratico angehörte, hatte das EU-Parlament seit
2019 geleitet. Seine Amtszeit wäre Ende des Monats ausgelaufen, weil sich
die Sozialdemokraten und die konservative Parteienfamilie EVP die
fünfjährige Legislaturperiode beim Vorsitz teilen. Am kommenden Dienstag
will das Parlament über seine Nachfolge entscheiden.
Die Nachricht vom Todes des beliebten, außerhalb Italiens aber wenig
bekannten Politikers hat weit über Brüssel hinaus für Bestürzung gesorgt.
„Sassoli war ein Symbol für Ausgewogenheit, Menschlichkeit und
Großzügigkeit“, erklärte Italiens Ministerpräsident Mario Draghi in Rom.
Seine Qualitäten würden quer durch alle Parteien geschätzt.
„Heute ist ein trauriger Tag für Europa“, sagte EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen. Die EU verliere einen „leidenschaftlichen Europäer,
einen überzeugten Demokraten und einen guten Menschen“, betonte die
CDU-Politikerin. Sassolis Lächeln werde ihr fehlen.
Allerdings waren die Beziehungen zwischen der Kommissionschefin und dem
Parlamentspräsidenten zuletzt eher frostig. Weil von der Leyen nicht
energisch genug gegen Rechtsstaatsverstöße in Ungarn und [1][Polen]
vorgehe, hat das Parlament eine [2][Untätigkeitsklage vor dem Europäischen
Gerichtshof] eingeleitet – ein Eklat.
Streit gab es auch über den milliardenschweren Corona-Aufbaufonds und die
geplante neue Gesundheitsunion. Die EU-Kommission will dem Parlament dabei
allenfalls eine beratende Rolle zugestehen. Von der Leyen verweigert die
demokratische Kontrolle. Sassoli war darauf nicht gut zu sprechen.
Der frühere Journalist und Fernsehmoderator hatte aber auch Ärger mit
seinen Parlamentskollegen. Sie empörten sich über den angeblich zu laxen
Umgang mit der Coronapandemie. Vor allem deutsche Europaabgeordnete
weigerten sich, zu Plenartagungen nach Straßburg zu reisen, die Sassoli im
Herbst nach langer Lockdown-Pause angesetzt hatte.
Sassoli wiederum beklagte sich, wegen Corona habe er sein Amt nicht
wirklich ausüben können. Auch die Arbeit des Parlaments war eingeschränkt.
Die Abgeordneten konnten nicht mehr „physisch“ debattieren und „live“
abstimmen, das Parlamentsgebäude in Straßburg stand monatelang leer.
Sassoli spielte eine Zeitlang sogar mit dem Gedanken, für eine zweite
Amtszeit zu kandidieren. Doch seine Pläne wurden nicht zuletzt von den
eigenen Genossen durchkreuzt. Die Sozialdemokraten ließen sich auf die im
Parlament üblichen Händel mit der EVP ein.
## Kritik an Hinterzimmer-Deal
Demnach soll die erzkonservative EVP-Politikerin Roberta Metsola aus Malta
die Leitung des Europaparlaments übernehmen. Im Gegenzug könnte der
konservative deutsche Generalsekretär Klaus Welle (CDU) den Rückzug
antreten. „Welles Amtszeit neigt sich dem Ende zu“, prophezeit der Chef der
SPD-Gruppe im Parlament, Jens Geier.
Allerdings hagelt es Kritik an diesem Hinterzimmer-Deal. Mit Metsola rücke
eine erklärte Abtreibungsgegnerin an die Spitze der EU, kritisieren Linke
und Grüne. Damit werde das Europaparlament an Glaubwürdigkeit verlieren.
Zudem könne die EVP ihre Macht noch mehr ausbauen.
Sassoli war 2019 von den Sozialdemokraten nominiert wor-den, um ein
Gegengewicht zu den Konservativen zu bilden. Wenn Metsola sein Amt nun wie
geplant übernimmt, besetzt die EVP alle EU-Spitzenposten; nur der Rat wird
mit dem Belgier Charles Michel noch von einem Liberalen geführt.
11 Jan 2022
## LINKS
[1] /Rechtsstreit-mit-Warschau/!5804674
[2] /EU-und-Rechtsstaatlichkeit/!5776472
## AUTOREN
Eric Bonse
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Europäische Union
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