| # taz.de -- Deutsch-Russische Forschungsprojekte: Eiszeit in der Wissenschaft | |
| > Für deutsch-russische Forschungsprojekte bedeutet Putins Angriffskrieg | |
| > das Aus. So gut wie alle wissenschaftlichen Kooperationen sind | |
| > ausgesetzt. | |
| Bild: Die Roskosmos-Astronauten Pyotr Dubrov u. Oleg Novitskiy sowie Mark Vande… | |
| Berlin taz | In der Wissenschaft ist es derzeit nicht anders als in | |
| Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Kein Thema wühlt deutsche Forscher | |
| und Hochschulangehörige aktuell so sehr auf wie Putins Überfall auf die | |
| Ukraine. Wie konnte das geschehen, ist ein Analysethema nicht allein der | |
| Osteuropaexperten, das sofort aufploppte. | |
| Wie können wir den ukrainischen Partnern und Kommilitonen helfen, ist der | |
| Ansatz vieler Solidaritätsinitiativen. Wie können wir die Wissenspipeline | |
| nach Russland kappen, damit kein deutsches Forschungsgeld weiter das | |
| Moskauer Kriegsregime finanziert, fragt sich die Wissenschaftspolitik. Mehr | |
| noch: Die [1][„Zeitenwende“] beschränkt sich nicht nur auf die | |
| Außenwissenschaftspolitik, sondern wird auch langfristige Folgen für das | |
| Forschungs- und Hochschulsystem in Deutschland haben. | |
| Am Mittwoch befasste sich der Ausschuss für Bildung, Forschung und | |
| Technikfolgenabschätzung des Bundestages mit dem Thema. Die | |
| Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen), | |
| erklärte, dass in Reaktion auf den Einmarsch am 24. Februar die deutschen | |
| Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen „sämtliche Kooperationen mit | |
| Russland und Belarus ausgesetzt“ hätten. | |
| Russland müsse durch Sanktionen und ein Aussetzen solcher Kooperationen | |
| international weitestgehend isoliert werden. Gleichzeitig sollten aber, so | |
| Keul, [2][kritische Studentinnen und Studenten sowie Forscherinnen und | |
| Forscher aus Russland und Belarus ebenso wie Flüchtlinge aus der Ukraine] | |
| Unterstützung erhalten. | |
| ## Wird das BAföG geöffnet? | |
| Ein Vertreter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nannte in | |
| der Ausschussanhörung die Zahl von „bis zu 100.000 geflüchteten Menschen | |
| aus der Ukraine, die in Deutschland im tertiären Bildungssektor Fuß fassen | |
| möchten“. Um dies zu ermöglichen, brauche es ein großangelegtes | |
| Unterstützungsprogramm. Bestehende Programme und Stipendien sollten | |
| ausgebaut, sowie zusätzlich umfassende Integrationsmaßnahmen wie | |
| Sprachkurse finanziert werden. Der DAAD geht von jährlich rund 80 Millionen | |
| Euro zur Finanzierung des Programms aus. | |
| Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind auch viele Kinder und | |
| Jugendliche, die ein Recht auf Bildung haben. „Bund, Länder, Kommunen und | |
| Zivilgesellschaft müssen pragmatische Lösungen vorlegen – von Kita über | |
| Schule bis zum Studium – und die Unterstützung weiter so beherzt anlaufen, | |
| damit wir die Auswirkungen von Putins völkerrechtswidrigem Angriffskriegs | |
| abmildern und Integration gelingt“, erklärte der Vorsitzende des | |
| Ausschusses, der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring gegenüber der | |
| taz. | |
| Es sei gut, dass das Auswärtige Amt die Programme für verfolgte | |
| Wissenschaftler*innen ausweite und die Bundesregierung an | |
| [3][Unterstützung für Studierende aus der Ukraine] arbeite. Ob dies über | |
| eine Öffnung des BAföG oder über ergänzende Stipendien geschehe, sei eine | |
| Frage der Praktikabilität – „Hauptsache die Hilfe erfolgt schnell“, beto… | |
| Gehring. | |
| ## Unterstützungsprogramm für Geflüchtete | |
| Die Hilfsbereitschaft an den Hochschulen wie auch über die | |
| Förderorganisationen DAAD mit dem Schwerpunkt auf dem Austausch von | |
| Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern sowie der Alexander von | |
| Humboldt-Stiftung, die bereits arrivierte Forscher nach Deutschland holt, | |
| hält Gehring wie schon im Flüchtlingsjahr 2015 für „überwältigend groß�… | |
| Mit dem Unterstützungsprogramm Integra, das damals Geflüchteten aus Syrien | |
| und dem arabischen Raum Studium und Abschluss in Deutschland ermöglicht | |
| hat, liegt für Gehring „eine erfolgreiche Blaupause vor, welche die | |
| Regierung für Geflüchtete aus der Ukraine angepasst aufgleisen sollte“. | |
| Dass die institutionellen Kooperationen mit russischen | |
| Wissenschaftseinrichtungen jetzt auf Eis liegen, ist für den | |
| Grünen-Politiker die Folge von Putins skrupellosem Angriffskrieg. „Wer | |
| Krankenhäuser bombardieren lässt, darf nicht von Forschungs-Know-how aus | |
| Deutschland profitieren“, sagte Gehring der taz. „Wir wollen den Druck auf | |
| das russische Regime erhöhen, aber nicht Einzelpersonen bestrafen.“ Die | |
| Stipendien für russische Studierende und Gastaufenthalte russischer | |
| Forschender würden zwar nicht abgebrochen, aber derzeit auch keine neuen | |
| begonnen. | |
| In der Forschung hat eine neue „Eiszeit“ begonnen, die frostiger ist als in | |
| den Zeiten des „Kalten Krieges“. [4][Die Deutsche Forschungsgemeinschaft | |
| (DFG) als größte Förderorganisation] hat Anfang März alle von ihr | |
| geförderten Forschungsprojekte zwischen Wissenschaftlerinnen und | |
| Wissenschaftlern aus Deutschland und Russland ausgesetzt. Das bedeutet: | |
| Zwischen beiden Ländern werden keine Daten, Proben und Geräte sowie anderes | |
| wissenschaftliches Material mehr ausgetauscht. Auch gibt es keine | |
| gemeinsamen Veranstaltungen mehr. | |
| „Die Finanzierung der russischen Anteile gemeinsamer Projekte wird bis auf | |
| Weiteres gestoppt, die deutschen Projektanteile werden weiterfinanziert“, | |
| teilte die DFG mit, die in den vergangenen drei Jahren in ihren | |
| verschiedenen Förderarten und Programmen mehr als 300 deutsch-russische | |
| Forschungsprojekte mit einem Gesamtvolumen von über 110 Millionen Euro | |
| unterstützt hat. | |
| ## Raumfahrt und Weltraumforschung besonders betroffen | |
| Besonders hart trifft es die Raumfahrt und Weltraumforschung. Das Deutsche | |
| Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat wegen des Angriffs auf die | |
| Ukraine die laufende Kooperationen mit Russland eingestellt. Davon sei | |
| aber, wie ein DLR-Sprecher erklärte, nicht die Internationale Raumstation | |
| ISS betroffen. Hier seien die europäische Raumfahrtagentur Esa und die | |
| US-Raumfahrtbehörde Nasa zuständig. Aus Moskau kam die Reaktion | |
| postwendend. Die Entscheidung des DLR habe den langfristigen Beziehungen | |
| einen „irreparablen Schaden“ zugefügt, der sich erheblich auf die | |
| Aktivitäten bei der Erforschung des Weltraums für friedliche Zwecke | |
| auswirke, antwortete der Chef der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, | |
| Dmitri Rogosin. | |
| „In dieser Hinsicht halte ich eine weitere Zusammenarbeit für unmöglich, | |
| gemeinsame Experimente auf der internationalen Raumstation durchzuführen“, | |
| heißt es im Schreiben Rogosins. Betroffen seien zudem Experimente zur | |
| Entwicklung eines Boden-Weltraum-Systems zur Überwachung und Vorhersage von | |
| Naturkatastrophen. Ein Sprecher des DLR in Köln sagte auf dpa-Anfrage zu | |
| den Äußerungen von Rogosin: „Wir nehmen die Reaktion der russischen Seite | |
| zur Kenntnis, möchten sie aber nicht weiter kommentieren.“ | |
| [5][Auf der Raumstation ISS sind derzeit sieben Astronauten, vier | |
| Amerikaner, zwei Russen und der deutsche Matthias Maurer.] Ende März sollen | |
| die zwei Russen und der Nasa-Astronaut Mark Vande Hei mit einer russischen | |
| Sojus-Kapsel zur Erde zurückgebracht werden. An diesem Vorhaben wird | |
| festgehalten, bestätigte Roskosmos | |
| Auch die Hochenenergiephysik – eigentlich allertiefste und unpolitische | |
| Grundlagenforschung – ist betroffen. Helmut Dosch, Leiter des Deutschen | |
| Elektronen-Synchrotron Desy in Hamburg, sieht im Einmarsch Russlands in | |
| die Ukraine einen Angriff auf die europäische Friedensordnung. „Da kann | |
| sich die Wissenschaft nicht mehr heraushalten“, sagte er im Interview mit | |
| der Wochenzeitung Die Zeit. Eine Sanktion, wie sie jetzt von westlicher | |
| Seite ergriffen werde, sei auch für sein Institut „Neuland“: „Das Desy g… | |
| es seit mehr als 60 Jahren, weltweite Kooperation ist Bestandteil unserer | |
| DNA. Selbst im Kalten Krieg erhielten wir die Zusammenarbeit mit | |
| Wissenschaftlern jenseits des Eisernen Vorhangs aufrecht. Jetzt erleben wir | |
| eine elementare Bedrohung“, sagte Desy-Physiker Dosch. | |
| Russland ist Mitgesellschafter beim Röntgenlaser XFEL, der am Desy | |
| betrieben wird. Die Juristen des Instituts prüfen nun, welche legalen | |
| Möglichkeiten es gibt, um die Beteiligung Russlands auszusetzen. Das | |
| Projekt wird aber auch ohne die anteiligen Gelder aus Russland | |
| weiterlaufen, ist sich Dosch sicher. Alle anderen Beteiligten des | |
| internationalen Laserprojekts seien gewillt, so der Desy-Chef, „Putin nicht | |
| den Erfolg zu gönnen, ein Großprojekt in Turbulenzen zu stürzen“. | |
| 18 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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