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# taz.de -- Klimaforscherin über Russland-Sanktionen: „Arktis-Messungen ausg…
> Der Russland-Boykott führt auch zu wegfallenden Klimadaten aus Sibirien.
> Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut über ein akutes
> Forschungsproblem.
Bild: Enge Kooperation: Die Polarstern und der russische Eisbrecher Akademik Fe…
taz: Frau Boetius, wie stark ist das Alfred-Wegener-Institut von den
Russland-Sanktionen betroffen?
Antje Boetius: Die Sanktionen sind Teil des europäisch abgestimmten
Boykotts, der [1][auch die Wissenschaft betrifft] – alle Maßnahmen mit
staatlichen Institutionen sind auf Eis gelegt. Das betrifft dann auch
unsere Arktisforschung, weil ein großer Teil der Arktis zur Russischen
Föderation gehört – einschließlich des von Meereis bedeckten Ozeans und des
Permafrosts. Wir kooperieren mit russischen Instituten seit Jahrzehnten bei
Messungen zum schwindenden Meereis, tauendem Permafrost, zu Veränderungen
der sibirischen Tundra. Diese Kooperation zu den Folgen vom Klimawandel
muss jetzt ausgesetzt werden. Die Sprachregelung des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung (BMBF) besagt, dass wir – unabhängig von der
Disziplin – keine Technologien mehr austauschen und für die beteiligten
russischen Institutionen keine finanzielle oder personelle Unterstützung
mehr leisten.
Das heißt konkret?
Dass wir derzeit keine Geräte oder [2][Leute dorthin schicken], keine
Infrastrukturen mieten. Also müssen wir die aufwändigen Messungen zu den
Auswirkungen des Klimawandels aussetzen. Eigentlich tauschen wir die
Messgeräte jedes Jahr bei unseren sommerlichen Feldexpeditionen aus und
unterstützen einander beim Zugang zu den extremen Lebensräumen in Sibirien.
Wie sehen diese Messungen aus?
Da sind etwa Temperaturmessketten, die auf Eis oder in den Boden gesetzt
werden. Es werden Tiere und Pflanzen identifiziert, Eis-, Wasser- und
Bodenproben genommen. Das sind Messungen im Feld, die man nicht über
Satellit ersetzen kann.
Wobei unklar ist, wie lange die Messungen stagnieren.
Ja. Aber es ist klar, das angesichts des Angriffskriegs niemand einfach
weitermachen kann. Das BMBF hat eine Leitlinie veröffentlicht und eine
Taskforce eingesetzt, die Regelungen erarbeitet. Wichtig ist, dass der
institutionelle Boykott klar unterschieden wird von der Interaktion mit den
Menschen selbst. Denn Wissenschaft baut Brücken, sie hat enorm große
Probleme zu bearbeiten – auch in Zeiten des Krieges: die dramatischen
Auswirkungen des Klimawandels, des Biodiversitätsverlusts, die
Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften.
Ist es verantwortbar, Klimaforschung zu stoppen?
In einigen Disziplinen gab es solche Diskussionen: Wo ist ein Aussetzen von
Zusammenarbeit gar nicht zielführend als Sanktion? Wie geht man mit
multilateralen Verträgen für große Infrastrukturen um? Mit zunehmender
Aggression Russlands verstärkte sich das Bestreben, in der EU einheitlich
zu agieren, und es werden immer mehr Projekte eingefroren, sogar in der
international aufgestellten Raumfahrt und der Meteorologie. Die
BMBF-Leitlinie sagt hier, dass völkerrechtliche Verpflichtungen bei
multilateralen Projekten eingehalten werden. Sie werden eventuell
niederschwellig fortgeführt, wenn es dafür einen Rahmen gibt. Das könnte
eventuell für große Klima- und Umweltschutzprojekte und Verträge geltend
gemacht werden.
Wäre das auch ein Weg für das AWI?
Auch in unserem Bereich gibt es internationale Klima-, Ozean- und
Biodiversitätsprogramme, wo Beiträge russischer ForscherInnen eine wichtige
Rolle spielen. Da könnte temporär auf einfachen Austausch über Daten- und
Probenbanken oder niederschwellige Kommunikation zurückgefahren werden.
Denn es geht ja um eine gesamtgesellschaftliche Mission: Wir haben
[3][wenig Zeit], globalen Klimaschutz und Schutz von allem Leben zu
organisieren. Der Dialog mit den zivilgesellschaftlichen Strukturen der
Wissenschaft in Russland sollte da soweit wie möglich fortgesetzt werden.
Wie dramatisch ist das Einfrieren der Permafrost-Forschung konkret?
Es gibt schon gravierende Veränderungen in kurzer Zeit, die wichtig zu
beobachten wären: Denken Sie an die Tundrabrände von 2021. Da bestehen
Fragen: Wie geht es dort weiter, erholen sich die Ökosysteme? Oder nehmen
Sie Austritte von Gas und Öl. Zunehmend betrifft der schmelzende Permafrost
natürliche Vorkommen, aber auch gebaute Infrastruktur. Wir forschen ja
deshalb so intensiv in der Arktis, weil sie sich schneller erwärmt als jede
andere Region. Dort zeigen sich früh klimabedingte Veränderungen, die uns
alle betreffen. Da wäre es schon gut, wenn es einen Weg gäbe, solche Fragen
weiter gemeinsam zu bearbeiten.
Selbst wenn nur ein Jahr lang Daten ausfallen: Kann in dieser Zeit
Gravierendes passieren?
Natürlich. Es kann das heißeste Jahr aller Zeiten werden, es kann Phänomene
mit gigantischem Umweltimpakt geben wie Riesenbrände oder Ölunfälle.
Sibirien mit seinen riesigen Dimensionen ist elementar für die
Nordhalbkugel. Dort wird das Meereis auf dem Schelf geboren, dort gibt es
besondere endemische Vielfalt von Arten. Dort wird durch den auftauenden
Kohlenstoff im Boden viel Methan freigesetzt.
Und wie gehen Sie im AWI mit russischen und ukrainischen KollegInnen um?
Wir haben allen vom Krieg betroffenen Menschen den Dialog und Hilfe
angeboten. Außerdem beteiligt sich das AWI an der Unterstützung
ukrainischer Geflüchteter. Wir haben nun auch die ersten Nachfragen nach
Arbeitsplätzen von AkademikerInnen und versuchen zu helfen.
Verändert der Krieg die Stimmung im Team?
Unabhängig von Nationalität und Beruf sind viele entsetzt. Hinzu kommt eine
andere Sorge vieler Mitarbeitender. Platt gesagt: Es gibt so viel zu retten
auf der Erde, es kostet so viel Kraft, die Transformation zu schaffen. Wie
geht es jetzt weiter? Fällt der Klimaschutz wegen dieses Krieges zurück –
oder schaffen wir es trotzdem? Wird das EU-Paket „Fit for 55“ umgesetzt,
das den Weg einschlägt in Kohleausstieg und nachhaltige Landwirtschaft? Das
wird ja gerade debattiert: Was davon können wir uns leisten, was geht in
Zeiten des Krieges? Und die Klimaforschung muss sagen: Wir können uns kein
Verschieben dieser Ziele leisten.
Ist der Krieg selbst auch klimaschädlich?
Krisen und Kriege zeigen in der globalen CO2-Kurve meist negative
Ausschläge. Immer, wenn Gas, Öl und Kohle teuer werden, geht die Nutzung
runter. Das wird auch jetzt zu einem Rückgang der Emissionen führen. Das
Problem ist, dass auf Krisen immer eine Aufholreaktion folgt, wenn man
keinen nachhaltigen Weg baut, weniger und andere Energieformen zu
benötigen.
Hat das AWI Mitarbeitende nach ihrer Haltung zum Krieg befragt?
Das ist nicht unserer Aufgabe als Arbeitgeber. Wir haben allerdings einen
Kodex, der Diskriminierung ablehnt und die friedliche, internationale
Zusammenarbeit als elementar für die Zukunft betrachtet. Das formuliert
auch die Leitlinie von BMBF und Auswärtigem Amt: „Wir setzen uns dafür ein,
dass russische und belarussische WissenschaftlerInnen und Studierende, die
in Deutschland arbeiten, nicht diskriminiert, stigmatisiert und isoliert
werden. Die Freiheit von Wissenschaft, Lehre und Forschung sind
unverzichtbare Bestandteile unabhängiger Demokratien.“
28 Mar 2022
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## AUTOREN
Petra Schellen
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