Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Polarforscherin über ihren Job: „Eis ist immer anders“
> Katja Metfies war mit dem Expeditionsschiff „Polarstern“ drei Monate am
> Nordpol unterwegs. Ein Gespräch über Klimawandel und teure Telefonate.
Bild: Forscherglück und Klima-Frust: Katja Metfies in der Arktis
taz: Frau Metfies, wie ist es so, am Nordpol zu arbeiten?
Katja Metfies: Unglaublich spannend. Vor allem fühle ich mich sehr
privilegiert, dass ich in so einer Umgebung arbeiten und meiner Forschung
nachgehen darf. Man ist aber auch sehr isoliert und unglaublich weit weg
von zu Hause.
Haben Sie sich manchmal einsam gefühlt?
Eigentlich nicht wirklich, insgesamt waren wir 100 Personen auf der
„Polarstern“. Aber man kann natürlich nicht mal eben problemlos mit seiner
Familie kommunizieren. Ich habe eine 15-jährige Tochter und einen
neunjährigen Sohn. Telefonieren war nur eingeschränkt möglich, dazu ist es
sehr teuer und mein Sohn kann noch keine langen E-Mails oder Nachrichten
schreiben. Die drei Monate, die ich auf der „Polarstern“ war, hatte ich
praktisch keinen persönlichen Kontakt zu ihm.
Da war der Abschied wahrscheinlich schwer.
Ja, das war er wirklich. Zu wissen, drei Monate ohne den sonst
selbstverständlichen Kontakt zu meinen Kindern zu sein, war sehr hart. In
drei Monaten passiert viel, bei dem man seine Kinder nicht so unterstützen
und begleiten kann, wie man es sonst gerne tut und wie sie es vielleicht
brauchen würden. Dazu kommt, dass solche Forschungsreisen für Frauen
gesellschaftlich weniger akzeptiert sind als für Männer. In meinem
Bekanntenkreis wurde ich immer wieder gefragt, wie ich meine Kinder so
lange zurücklassen kann.
Hatten Sie Zweifel?
Ich habe das natürlich mit meinen Kindern besprochen. Das hat mir gezeigt,
dass ich in meiner Familie und insbesondere bei meinen Kindern viel
Rückhalt für die Teilnahme an der Expedition habe. Deshalb habe ich nie
bereut, dass ich mitgefahren bin. Genauso habe ich noch nie meinen Job als
Wissenschaftlerin angezweifelt – ich bin noch immer total begeistert davon.
Und für meine Kinder ist es etwas Besonderes, dass ihre Mutter auf der
„Polarstern“ mitfährt. Gerade über die Expedition zum Nordpol wurde so vi…
berichtet. Sie sind schon sehr stolz und verstehen, wie wichtig es ist,
dass ich manchmal länger weg bin.
Woran haben Sie auf der „Polarstern“ geforscht?
Ich habe mir die Mikroalgen im Ozean und den Schmelztümpeln angeschaut und
untersucht, wie viele es sind und in welchen Zusammensetzungen sie
vorkommen. Mich interessieren die Gene der Algen, die es ermöglichen, dass
die Algen sich einfrieren lassen und den dunklen kalten Winter überstehen
können.
Wie kommt es, dass Sie sich so für Genetik interessieren?
Schon in der Schule hat mich der Gedanke unglaublich fasziniert, dass jede
Zelle die gleiche Erbinformation hat und daraus trotzdem so viele
verschiedene Gewebe werden können, beim menschlichen Organismus zum
Beispiel ein Auge und ein Zehennagel.
Und deswegen haben Sie Biologie studiert?
Genau. Dabei habe ich festgestellt, dass mich vor allem die Pflanzen und
ihre Anpassungsfähigkeit interessieren. Meine Diplom- und Doktorarbeit habe
ich in der Molekulargenetik geschrieben. Da ging es darum, Anpassungs- und
Regulationsprozesse auf zellulärer Ebene zu verstehen. Erst danach bin ich
in die Meeresbiologie gekommen. Für mich war es damals spannend,
Pionierarbeit auf diesem Gebiet zu leisten, denn es gab zu dieser Zeit kaum
Molekulargenetiker in der Meeresbiologie.
Sie haben erzählt, dass Ihnen vorgeworfen wurde, für eine Expedition Ihre
Kinder allein zu lassen. Hatten Sie vorher auch mit solchen Einstellungen
zu tun?
Nicht wirklich. In der Biologie gibt es sogar mehr Frauen als Männer. Etwas
schwierig wurde es für mich kurz nach meiner Doktorarbeit, als ich meine
akademische Laufbahn auf die Beine stellen musste und gleichzeitig der
Kinderwunsch wichtiger wurde. Das war schon ein Spagat. Das
Alfred-Wegener-Institut ist aber ein toller Arbeitgeber, was die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht. Ich wusste, dass ich früh
wieder zur Arbeit zurückkehren kann, was notwendig ist für die
wissenschaftliche Karriere. Hätte ich damals diese Umgebung nicht gehabt,
wäre ich heute keine Wissenschaftlerin mehr, glaube ich.
Was treibt Sie bei Ihrer Arbeit an?
Ich möchte verstehen, welche Konsequenzen der Klimawandel für die
Ökosysteme hat. Denn das hat am Ende auch Einfluss auf uns Menschen. Die
Algen im Meer bilden die Basis der marinen Nahrungskette und machen 50
Prozent der Sauerstoffproduktion weltweit aus. Das weiß kaum jemand, alle
denken immer nur an die Wälder.
Ist Ihr Job nicht auch deprimierend?
Manchmal schon. Wenn ich zum Nordpol fahre und das Eis um mich herum
schmilzt, ist das enorm deprimierend. Markus Rex, der Expeditionsleiter,
hat es so formuliert: „Wir haben dem arktischen Meereis beim Sterben
zugeschaut“, und genauso hat es sich angefühlt. Alles war von
Schmelztümpeln bedeckt, immer wieder war Wasser zwischen dem Eis, auch noch
kurz vorm Nordpol. Einige Kollegen, die schon mal am Nordpol waren, haben
erzählt, dass sie so etwas noch nie gesehen haben.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Ich hatte sehr ambivalente Gefühle: Auf der einen Seite die
wissenschaftliche Begeisterung, etwas erforschen zu können, das sich so
stark verändert. Auf der anderen Seite war es aber auch beängstigend, weil
man sieht, dass da etwas in Gang gekommen ist, was vielleicht nicht mehr
aufzuhalten ist. Ich denke, meine Aufgabe als Wissenschaftlerin ist es, die
Gesellschaft immer wieder darauf aufmerksam zu machen, was da passiert.
Was hat Sie sonst besonders beeindruckt?
Vom Eis bin ich immer wieder enorm fasziniert. Das kommt in so vielen
Facetten vor und ist immer anders. Wenn ich morgens auf der letzten
Expedition hinaus geguckt habe, sah das Eis jedes Mal anders aus.
Wahnsinnig beeindruckend fand ich es auch, als wir Eisbären gesehen haben.
Bei der Brückenwache hat man die Aufgabe, die Eisbären im Umkreis zu
beobachten. Da hatte ich mal zwei Eisbären im Blickfeld meines Fernglases.
Das war wirklich unglaublich.
Hatten Sie gar keine Angst?
Tatsächlich gab es mal eine Situation, in der sich ein Eisbär so gut
angeschlichen hatte, dass er erst gesichtet wurde, als er schon im Camp auf
unserer Scholle war. Als der Funkspruch kam, dass ein Eisbär hinter mir
steht und ich mich umgedreht und ihm ins Gesicht geschaut habe, wurde mir
schon anders.
Und dann?
Die Scholle wurde evakuiert und wir sind alle zurück aufs Schiff. So
richtig unsicher habe ich mich aber eigentlich nie gefühlt. Wir hatten
immer Bärenwächter bei uns und Eisbären sind auch erst einmal nur neugierig
und gucken, was passiert.
Das klingt, als wären Sie ein entspannter Mensch.
Ja, ich habe gelernt, aus Situationen heraus zu reagieren. Wenn man oft auf
Expeditionen fährt, merkt man, dass man sowieso nicht viel planen kann und
vieles spontan entscheiden muss. Je nach Wetterlage müssen wir unser
Programm anpassen.
Wie sieht der Alltag auf so einer Expedition mit der „Polarstern“ aus?
Das gemeinsame Essen hat einen großen Stellenwert, weil es unseren Alltag
strukturiert: Um halb acht gibt es Frühstück, um halb zwölf Mittagessen, um
halb vier Kuchen und Kaffee und um halb sechs haben wir Abendbrot gegessen.
Diese fixen Zeiten brauchte ich auch, da wir ja 24 Stunden Licht hatten und
nicht der Wechsel von Tag und Nacht den Alltag strukturierte, sondern eben
das Essen. Zudem ist das gemeinsame Essen auch immer ein soziales Ereignis
auf der „Polarstern“. Dazwischen arbeitet man sehr konzentriert für sich
allein, nimmt seine Proben und arbeitet sie auf. Sonst muss man sich nicht
um viel kümmern. So eine Expedition ist schon immer eine Flucht aus dem
Alltag.
Konnten Sie auch etwas vor Corona fliehen?
Ja, meine Teilnahme an der Expedition war eine wunderbare Pause von Corona.
Es war wie eine eigene isolierte Welt. Bevor es losging, mussten wir alle
zwei Wochen in Quarantäne und uns mehrmals testen lassen. Und als das
geschafft war, begann praktisch der „Coronafreie Urlaub“: Wir durften ohne
Abstand beisammen sein, ohne uns dabei Sorgen machen zu müssen. Zur Mitte
der Zeit haben wir sogar unser traditionelles Bergfest feiern können. Das
war sehr schön, weil Corona ja sonst zurzeit keine größeren Feste zulässt.
31 Jan 2021
## AUTOREN
Paula Bäurich
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Wissenschaft
Klimaforschung
Nordpol
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung
Schwerpunkt Klimawandel
R2G Bremen
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Spitzbergen
Polarstern
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klimaforscherin über Russland-Sanktionen: „Arktis-Messungen ausgesetzt“
Der Russland-Boykott führt auch zu wegfallenden Klimadaten aus Sibirien.
Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut über ein akutes
Forschungsproblem.
350 Jobs in Bremerhaven in Gefahr: Die neue Schiffbau-Krise
Die Lloyd-Werft ist von der Schließung bedroht. Die Bremer Politik will sie
retten, mit Geld aus Berlin. Interesse hat ein Investor aus der Region.
Angekündigter Wintereinbruch: „Radfahrer müssen nicht mehr raus“
Der Winter kommt zurück mit Kälte, Wind und Schnee. Kein Grund für
Alarmstimmung, aber für Vorsicht, so Meteorologe Jörg Riemann.
Forschungsexpedition fürs Klima: 389 Tage in der Arktis
Die „Polarstern“ ist nach mehr als einem Jahr planmäßig nach Bremerhaven
zurückgekehrt. An Bord: zahlreiche Forscher:innen und neue Klimadaten.
Klimawandel in der Arktis: Hitzewelle auf Spitzbergen
Vier Tage hintereinander über 20 Grad – das hat es auf Spitzbergen noch nie
gegeben. Der Rückzug des Permafrosts bringt die Infrastruktur ins Wanken.
Klimaforscherin über Polarexpedition: „Das Eis ist weniger dick“
Die Physikerin Dorothea Bauch war mit der „Polarstern“ in der Arktis. Im
Interview erzählt sie vom Alltag auf dem Forschungsschiff.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.