# taz.de -- Klimaforscherin über Polarexpedition: „Das Eis ist weniger dick�… | |
> Die Physikerin Dorothea Bauch war mit der „Polarstern“ in der Arktis. Im | |
> Interview erzählt sie vom Alltag auf dem Forschungsschiff. | |
Bild: Ein russischer Eisbrecher (r.) begleitete die „Polarstern“ in die eis… | |
taz: Du* kommst gerade von der Mosaic-Forschungsexpedition im | |
Polarmeer. Was hat dich motiviert, über drei Monate in Dunkelheit und bei | |
Kälte bis minus 45 Grad zu arbeiten? | |
Dorothea Bauch: Für mich als Wissenschaftlerin war das wahnsinnig | |
faszinierend, im Polarwinter wissenschaftlich zu arbeiten. Das war bisher, | |
wenn überhaupt, nur im Sommer möglich. | |
Euer Schiff, die „Polarstern“, driftet auf den Spuren von Fridtjof Nansen, | |
der sich 1893 mit seinem hölzernen Forschungsschiff „Fram“ in der Eisdrift | |
einfrieren ließ. Warum ist die Forschung im arktischen Winter auch heute | |
noch so schwierig? | |
Die „Polarstern“ hat sich ja ins Eis gesetzt und bewegt sich mit ihm. | |
Allein schon dort hinzukommen ist eine Herausforderung. Wenn ein Eisbrecher | |
bei seiner Fahrt Gegenwind hat, kann es sein, dass er sich zwar innerhalb | |
des Eises bewegt, sich aber aufgrund der Eisdrift als Nettobewegung | |
rückwärts bewegt. Als ich mit den Forschern des ersten | |
Expeditionsabschnitts abgeholt wurde, haben wir von 86° Nord bis Tromsø in | |
Norwegen drei Wochen gebraucht, es hätte aber auch nur eine sein können. | |
Warum ist es denn wichtig, die Arktis im Winter zu erforschen? | |
Bisher haben wir für den Polwinter Schätzwerte aus Sommerdaten verwendet. | |
Aber das funktioniert nicht wirklich, denn es gibt dort Mechanismen oder | |
Prozesse, die es anderswo nicht gibt. Wir kennen zum Beispiel Wolken, die | |
sich vor dem Mund bilden, wenn wir bei frostigem Wetter ausatmen. Diese | |
Kondensation gibt es in der Arktis oft nicht. Wolkenbildung funktioniert | |
dadurch grundlegend anders. Und die Prozesse am Pol beeinflussen das Klima | |
hier – so gesehen ist die Arktis nicht weit weg. | |
Was ist noch besonders an der Expedition? | |
Vor allem die Größe: Es sind ja sechs Expeditionen hintereinander, die sich | |
von September 2019 bis September 2020 über ein ganzes Jahr erstrecken. Das | |
Ziel von Mosaic ist, die Prozesse im Polarmeer, im Eis und in der | |
Atmosphäre zu verstehen. Dadurch, dass so viele Wissenschaftler aus | |
unterschiedlichen Fachrichtungen dabei sind und wir vernetzte Geräte auf | |
dem Eis installiert betreiben, haben wir die Möglichkeit zur Vernetzung von | |
Fragen wie: In welcher Wechselwirkung stehen der Wind, das Eis, Schneedicke | |
und Gasfluss? Ich selbst habe mit Kollegen Eis-Bohrkerne in Hinblick auf | |
Gasflüsse und Eisbildungsprozesse untersucht. Das Meereis spielt ja eine | |
Rolle für den Transport von Methan. | |
Methan ist als Gas 34-mal so klimaschädlich wie CO2. Welche Bedeutung hat | |
eure Forschung für das Verständnis des Klimawandels? | |
Es geht um ein grundlegendes Verständnis für das Erstellen von Prognosen. | |
Wir wollen nicht untersuchen, ob es den Klimawandel gibt. Das ist | |
wissenschaftlicher Konsens, so wie man einen Mediziner nicht fragen würde, | |
ob es Krebs gibt. Es geht darum, zu beobachten, wie sich die Arktis durch | |
ihn verändert. Weil jetzt die Eisdecke im Sommer zusammenbricht, gehen wir | |
davon aus, dass die Arktis sich schon in einem neuen Modus befindet. | |
Du warst im Sommer 2015 schon einmal mit der „Polarstern“ am Nordpol. Hast | |
du dort eine Klimaveränderung wahrgenommen? | |
Vier Jahre sind zu kurz, um das in Bezug auf Klimaveränderungen zu | |
vergleichen. [1][Aber insgesamt ist das Eis weniger dick.] Als wir jetzt | |
ankamen und unser Forschungscamp aufbauen wollten, war es nicht einfach, | |
dafür überhaupt eine geeignete Scholle zu finden. | |
Welche praktischen Folgen hat es, wenn das Polareis dünner wird? | |
Es gibt Feedback-Mechanismen, [2][die das System entweder eine Weile stabil | |
halten oder es komplett aus dem Gleichgewicht bringen]. Das hat großen | |
Einfluss auf den Wärmehaushalt der Erde. Dann haben wir zum Beispiel | |
Auswirkungen auf die Schifffahrtswege. Und durch ein Steigen des | |
Meeresspiegels werden soziale Konflikte und große Flüchtlingsströme von | |
Menschen, die ihre Heimat verlieren, wahrscheinlicher. | |
In der Vorbereitung auf die Expedition hast du unter anderem schießen | |
gelernt. | |
Ja, dadurch konnte ich Eisbären-Wachen übernehmen. Das zu lernen war mir | |
wichtig, weil Waffen für mich etwas sehr Fremdes sind. | |
Habt ihr Eisbären gesehen? | |
Ja. Natürlich waren die Eisbären neugierig, wir dringen ja in deren Bereich | |
ein. Es war faszinierend, sie in ihrer Umgebung zu sehen. Wir haben sie | |
vertrieben, damit sie nicht zurückkommen. Eisbären sind gefährlich für | |
Menschen, jagen sie aber nicht – wir sind nicht ihr Beuteschema. Die Waffen | |
sind nur für einen unwahrscheinlichen Notfall. | |
Gab es noch andere Gefahren? | |
Es kann einiges passieren. Ein Kollege hat sich das Bein gebrochen, als er | |
auf vereisten Stufen ausgerutscht ist. Ich selbst hatte auf dem Schiff ein | |
Zahnproblem. Wir haben einen Arzt an Bord, aber der ist natürlich kein | |
Zahnarzt, und am Ende hat er mir den Zahn gezogen. Zu Hause wäre das | |
wahrscheinlich nicht nötig gewesen. | |
Was war das für eine Erfahrung, so lange in der Kälte und Dunkelheit zu | |
arbeiten? | |
Draußen auf dem Eis und im Wind zu arbeiten ist sehr anstrengend. Wenn wir | |
dort Eisbohrkerne genommen haben, hatten wir extremen Zeitdruck: Wir | |
mussten sie aus dem Bohrrohr bekommen, bevor sie darin festfrieren. Zudem | |
musste ich aufpassen, dass mir zum Beispiel die Brille nicht vereist. Wir | |
haben gearbeitet, so viel wir konnten, aber es war auch wichtig, auf seinen | |
Körper zu hören. | |
Wie hat diese weite, weiße Landschaft unter einem schwarzen Himmel auf dich | |
gewirkt? | |
Als im Oktober die Sonne ganz verschwand, das war eine irre Erfahrung. Die | |
Geräusche, die das Eis macht, sind unglaublich. Wir hatten eine Situation, | |
da war es stockdunkel mit einem knallroten Mond, absolut magisch. Und beim | |
Laufen haben meine Füße ein Geräusch auf dem Eis gemacht wie ein Quietschen | |
von Wasser auf Glas. | |
Auf der „Polarstern“ sind etwa hundert internationale Forscher und | |
Besatzungsmitglieder gleichzeitig an Bord. Gab es da Konflikte zwischen | |
euch? | |
Wir mussten sehr eng zusammenarbeiten, die Wissenschaftler untereinander | |
und auch mit der Crew. Klar gibt es da Auseinandersetzungen. Das ist auch | |
wichtig, damit man sich gut versteht. Dazu kommt die räumliche Enge: Weil | |
wir in Zweierkabinen wohnten, gab es nicht wirklich Privatsphäre. Ich wurde | |
aufmerksamer und merkte, dass die anderen auch aufmerksamer sind. Es war | |
wie eine Großfamilie oder ein kleines Dorf, man passt aufeinander auf. | |
Wie habt ihr auf der „MS Polarstern“ eure Freizeit gestaltet? | |
So viel Freizeit gab es nicht. Für körperlichen Ausgleich habe ich in einer | |
kleinen Gruppe Yoga gemacht. Manchmal gab es Spieleabende oder eine selbst | |
organisierte Bar. | |
Was hast du auf dem Schiff am meisten vermisst? | |
Auf der Fahrt gab es einen Engpass an Obst und Gemüse. Ziemlich schnell war | |
sogar Tiefkühlgemüse rationiert. Das Erste, was ich nach meiner Rückkehr | |
gegessen habe, war ein großer Teller frischer Salat. | |
Der Expeditionsleiter Markus Rex macht viel Öffentlichkeitsarbeit: Es gibt | |
ein Presseteam, Blogs, ein Online-Logbuch, Journalisten an Bord. Was denken | |
die Forscher über so viel Medienrummel? | |
Es ist auch eine Belastung, dadurch entsteht ein großer Erfolgsdruck. | |
Andererseits ist die Wahrnehmung der Expedition wichtig, weil Teile der | |
Öffentlichkeit immer noch den Klimawandel anzweifeln. Es ist gut, wenn die | |
Arktis mehr ins Bewusstsein rückt. | |
*Die Autorin ist die Schwägerin von Dorothea Bauch. | |
1 Feb 2020 | |
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[1] /Studie-zur-Schmelze-der-Arktis/!5364176 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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