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# taz.de -- Arktis-Dokumentation: Wo die Walrosse schmusen
> „Spitzbergen – auf Expedition in der Arktis“ ist ein höchst subjektiver
> Film über kalbende Gletscher und eine Kathedrale aus Eis.
Bild: Knabbern am Walkadaver: ein Eisbär
Bremen taz | Wenn einer eine Reise tut, erzählt er gerne davon. Und wenn
einer sowohl für das Reisen wie auch für das Erzählen Talent hat, hören
(oder sehen) ihm andere gerne zu. Dies ist das Erfolgsrezept – aus einer
betont subjektiven Perspektive erzählten Reisefilme −, die in den deutschen
Kinos seit einiger Zeit Erfolge feiern. Von der Filmkritik ignoriert oder
auch mal verrissen, finden und begeistern sie ganz offensichtlich ihr
Publikum. Mit der Gattung Dokumentarfilm zu tun hat das Phänomen nur
entfernt; eher führt es die Tradition der professionellen Diavorträge fort.
Der im niedersächsischen Otterndorf aufgewachsene Christian Wüstenberg und
seine Partnerin Silke Schranz machen seit Jahren solche gefilmten
Reiseberichte. Für ihr jüngstes Projekt, das jetzt im Kino ist, sind sie
für zwei Wochen auf eine Seetour in den arktischen Gewässern gegangen, auf
einem Fischkutter, zum Expeditionsschiff umgebaut.
„Expedition“, so nennen sie selbst diese Reise, aber es war wohl eher eine
etwas anspruchsvollere Kreuzfahrt: Die FilmemacherInnen wurden von einer
erfahrenen Crew zu den attraktiven Orten der Region geschippert. Dort
folgten sie dann einem Führer, der die interessanten Daten und Geschichten
dann direkt in ihre Kamera erzählte.
Bei dieser Art von Filmen ist Authentizität das wichtigste Kapital, und in
diesem Sinne ist „Spitzbergen – auf Expedition in der Arktis“ gelungen;
Schranz und Wüstenberg erzählen chronologisch von der Reise, deren Verlauf
ein Finger auf einer Seekarte nachvollzieht. Zu sehen ist, was in der
Kombüse gekocht und gegessen wird, kurz stellt man auch die anderen
„Expeditionsteilnehmer“ vor, besucht den Kapitän auf der Brücke, zeigt die
restliche Mannschaft jeweils bei typischen Arbeiten. Als ein kleiner
Maschinenschaden zu reparieren ist, zitiert Silke Schranz dazu den
vielleicht berühmtesten Satz der Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs:
„Dem Ingeniör ist nichts zu schwör.“
## Persönlicher Plauderton
Der Plauderton ist angenehm launig, gerade nicht professionell, sondern
persönlich. Da erzählen zwei von ihren Erfahrungen auf einer Reise, die sie
offensichtlich genossen haben, und ihre Begeisterung wirkt ansteckend. Das
geht nicht ganz ohne die Vermittlung von allerlei angelesenem Fachwissen,
aber für die Fakten ist immer wieder der (namenlose?) Expeditionsleiter
zuständig, der zu jedem Fjord und jeder Küstenlinie eine Geschichte parat
zu haben scheint.
Es passiert nicht viel Aufregendes auf dieser Reise. Ein drohendes
Sturmtief wird weitläufig umschifft, meist liegt das Wasser ruhig da unter
strahlendem Spätsommerhimmel. Ja, es wird vielleicht sogar mal ein wenig
langweilig: noch ein schöner Gletscher und noch ein paar Seehunde, die sich
auf ihrem Felsen sonnen. Aber es ist eine wohlige Muße, die dieser Film
vermittelt – und die den eigenen Erfahrungen vieler Reisender entsprechen
dürfte.
Beiläufig erwähnt der Kommentar, dass Schranz und Wüstenberg zum
Filmemachen auf Reisen gegangen sind. „Es ist Zeit, unsere Drohne steigen
zu lassen“, sagt der Filmemacher, und dieser Satz ist wichtig: Ihre
fliegende Kamera macht so perfekte Luftaufnahmen, dass es die Authentizität
der Reisebilder beinahe untergräbt: Ein weißer Fleck an der weit
entfernten Küstenlinie entpuppt sich als Eisbär, der von einem riesigen
Wal-Kadaver frisst.
Die Drohne kommt ihm so nahe, dass diese Bilder in einer professionellen,
mit großem Aufwand produzierten Naturdokumentation nicht viel anders
aussehen würden. Auch gelingen ihnen gut fotografierte Impressionen von
kalbenden Gletschern oder einem vereisten Wasserfall, den sie „Kathedrale
aus Eis“ nennen.
Ein neben dem Schiff auftauchender Blauwal, Schneehühner, Rentier und
Polarfuchs: Alle paar Minuten gibt es Entdeckungen für die Tierfreunde, und
der Höhepunkt des Films ist der Besuch bei Walrossen – nicht etwa
Walrössern, wie man hier auch lernen kann –, die nach ihrer langen Jagd
unter Wasser erst mal eine Woche lang ausruhen, und dies am liebsten
aneinander gekuschelt in großen friedlichen Herden. Zu diesem Schmusen
lassen die FilmemacherInnen dann auch noch ein passendes Liebeslied im Stil
von Cat Stevens erklingen.
Während man diese Sequenz ein wenig vermenschlichend finden könnte, tauchen
vom Menschen selbst eher seine Hinterlassenschaften auf: Siedlungen sind in
den Eislandschaften bei Spitzbergen selten und oft schon seit vielen Jahren
verlassen. Eine Schutzhütte, deren Besucher*innen Flaschen mit
alkoholischen Getränken zurückgelassen haben, wird „Texas Bar“ genannt. A…
einer anderen Insel sind etwas andere Graffiti aus dem 19. Jahrhundert zu
bestaunen: Steine, im Permafrostboden zu Buchstaben arrangiert und heute
noch deutlich lesbar.
Kurios: Indem sie diese örtlichen Sehenswürdigkeiten besuchen, doppelt sich
dieser Film mit der [1][Dokumentation „Small Planets“], die der Hamburger
Filmemacher Dirk Manthey gerade erst im Januar in die Kinos brachte: Auch
Schranz und Wüstenberg haben in der Forschungsstation Ny-Alesund auf
Spitzbergen gedreht – und in beiden Filmen gibt es die gleiche Einstellung:
zwei Löwenstatuen, die Haustür der chinesischen Baracke bewachend.
Das Filmen haben Silke Schranz und Christian Wüstenberg beim Hessischen
Rundfunk gelernt. Seit 2008 machen sie eigene Reisefilme. 2011 dann lösten
sie mit „Norddeutschland von oben“ nicht nur eine Welle von Von-oben-Filmen
aus, sie waren auch so erfolgreich, dass sie ihre eigene Produktionsfirma
gründeten und sich seitdem auch noch selbst als „Fernwehmacher“ bezeichnen.
Sie produzieren, drehen, schneiden, betexten und vertonen ihre Arbeiten
fast immer zu zweit und haben Reisen nach Neuseeland, Australien, Südafrika
und Portugal verfilmt. Auf DVD und Blu-Ray vertreiben sie ihre Filme
selbst. Geld verdienen sie aber vor allem durch die Auswertung im Kino.
Auch diese Veranstaltungen organisieren sie selbst – und erreichen ohne
echte Werbekampagne sechsstellige Zuschauerzahlen.
Auch beim „Spitzbergen“-Film setzen sie auf Mundpropaganda und gehen dieser
Tage auf eine Expedition, die sie [2][in über 50 Kinos führt].
8 Mar 2020
## LINKS
[1] /!5651263/
[2] https://comfilm.de/epages/52d9c47d-b672-4f82-bcea-4b5f5729fbcb.sf/de_DE/?Ob…
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Dokumentarfilm
Arktis
Liebeserklärung
Norwegen
Polarstern
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