# taz.de -- Studie zur Schmelze der Arktis: Warnsignal aus dem Norden | |
> Das Meereis am Nordpol schmilzt in rasantem Tempo. Eine neue Studie warnt | |
> vor den Folgen für die gesamte Region – und über diese hinaus. | |
Bild: Noch kann er Schollenspringen machen: ein Eisbär am Nordpol | |
BERLIN taz | Der Klimawandel in der Arktis hält nach einem aktuellen | |
Expertenbericht eine Menge böser Überraschung bereit. Demnach haben die | |
derzeitigen drastischen Veränderungen bei der Eisbedeckung des Meeres, im | |
Wasserhaushalt, im Boden und in der Vegetation der Polgebiete starke | |
Auswirkungen auf „das regionale, das arktische und wahrscheinlich das | |
globale Klima“. Der Einfluss auf die Kultur und das soziale Zusammenleben | |
sei „groß und substanziell“, er werde die Landschaft wahrscheinlich | |
„ernsthaft durcheinanderbringen“ und das Leben der Bevölkerung völlig neu | |
ordnen. So lautet ein Ergebnis des „Arctic Resilience Report“, den jetzt 11 | |
Organisationen unter Führung des „Stockholm Environment Institute“ (SEI) | |
veröffentlicht haben. | |
Die Studie begutachtete über fünf Jahre Forschungsergebnisse aus der Region | |
rund um den Nordpol und sucht nach Möglichkeiten der Bewohner, sich an die | |
Veränderungen anzupassen. Dabei konzentrierten sich die Forscher besonders | |
auf Anzeichen für sogenannte „Regimewechsel“ – also für Entwicklungen, … | |
denen die Umwelt in einen neuen Zustand wechselt, der mindestens 100 Jahre | |
nicht mehr rückgängig zu machen ist. | |
Von 19 solcher möglicher „Kipppunkte“ im regionalen Öko-System der Arktis | |
fanden die Forscher zumindest einige bereits überschritten: Im immer | |
wärmeren Meer bei Spitzbergen etwa hat Seegras die Algen verdrängt, | |
Seetangwälder weichen Seeigeln, die arktische Tundra voller Moos wandelt | |
sich durch höhere Temperaturen und mehr Niederschlag zur Steppe voller | |
Büsche. Weiter südlich verdrängen Laubbäume die Nadelbäume. | |
Bei den großen irreversiblen Veränderungen der eisigen Ökosysteme sieht der | |
Bericht Anzeichen dafür, dass auch dort Kipppunkte erreicht sein könnten: | |
So schmilzt das Meereis rund um den Nordpol im Sommer immer weiter; das | |
mächtige Eisschild in Grönland verliert viel schneller an Masse als bislang | |
gedacht, manche Fischbestände stehen regional vor dem Kollaps, wozu auch | |
Krankheiten oder veränderte Meeresströmungen beitragen. | |
Mit besonderer Sorge sieht der Report, dass die Veränderungen in der Arktis | |
auch über „Kaskadeneffekte“ weitere Folgen nach sich ziehen können. Auch | |
auf den Rest der Welt könnte die radikale Umgestaltung in der „Wetterküche | |
Arktis“ Auswirkungen haben, heißt es in dem Bericht: So könne | |
beispielsweise der tropische Regenwald zur Savanne werden oder das Systems | |
von Monsun-Regen geschwächt werden. | |
Der Bericht kommt zu einer Zeit, wo sich im Vergleich zum langjährigen | |
Mittelwert an beiden Polen deutlich zu wenig Meereis gebildet hat. Die | |
geringe Eisbedeckung im Südpolarmeer am Ende des südlichen Winters ist nach | |
Meinung von Experten nur ein Ausreißer in der Statistik – das Meereis rund | |
um die Antarktis ist in den letzten Jahren stabil geblieben. Die geringe | |
Ausdehnung des Packeises rund um den Nordpol allerdings passt in den Trend. | |
Die Arktis leidet schon lange an eisiger Schwindsucht. | |
Sie macht auch noch Schlagzeilen mit Hitzerekorden. In diesem Herbst wurde | |
klar, dass es in der Arktis an manchen Stellen etwa acht Grad wärmer als im | |
Schnitt ist. Seit Beginn der wissenschaftlichen Messungen war nur im Jahr | |
2012 noch weniger Eis rund um den Nordpol auf dem Wasser. Die Fläche | |
bedeckte im Oktober nur 6,1 Millionen Quadratkilometer, 20 mal so groß wie | |
Deutschland. | |
Der Grund für das große Schmelzen im Norden: Weil das Meer in großen Teilen | |
bereits im April und Mai auftaute, war das Wasser lange der Sonne | |
ausgesetzt und nahm deshalb mehr Wärme auf. Deshalb friert es jetzt | |
langsamer. Normalerweise reflektiert der weiße Schnee auf dem Eis die | |
Sonnenstrahlung und verhindert so das Aufheizen des Wassers. Dieser | |
„Albedo“-Effekt nimmt aber immer mehr ab, je weniger Eis sich bildet – ein | |
klassischer Teufelskreis. Außerdem, so erklärt es das „Meereisportal“ des | |
„Alfred Wegener Instituts für Polarforschung“ (AWI) in Bremerhaven, trieb | |
in diesem Sommer eine besondere Wetterlage warme Luft von Skandinavien in | |
Richtung Nordpol. Auch das hielt das Nordmeer vergleichsweise warm. | |
Die Veränderungen im Eis beeinflussen die Bildung von Hoch- und | |
Tiefdruckgebieten, die wiederum bestimmen, ob warme oder kalte Luft nach | |
Norden fließt. „Die Extreme dehnen sich aus“, sagt Marcel Nicolaus, Experte | |
für Meereisphysik am AWI. Fast alle Klimamodelle zeigen, dass der Nordpol | |
noch in diesem Jahrhundert im Sommer eisfrei sein werde. Das Gebiet zeige | |
eine deutlich stärkere Erwärmung von vier bis fünf Grad Celsius – fünfmal | |
soviel wie sich die globale Mitteltemperatur durch den Klimawandel erhöht | |
hat. Für Nicolaus sendet deshalb „die Arktis ein Warnsignal“. | |
7 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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