# taz.de -- Demos gegen rechts: Was der Protest bewegt | |
> Die Anti-rechts-Demonstrationen machen die AfD nervös. Was weiß die | |
> Forschung über den Zusammenhang von Protesten und Wahlergebnissen? | |
Bild: AfD-Kandidat Uwe Thrum verlor am 28. Januar die Landratswahl im ostthü… | |
BERLIN taz | Eine gewisse Nervosität ist spürbar beim Medienempfang der | |
AfD-Fraktion im Bundestag am Mittwochabend. Die AfD-Vorsitzenden Alice | |
Weidel und Tino Chrupalla haben in das Abgeordnetenrestaurant im Bundestag | |
geladen. Es gibt Lachshäppchen und gute Weine, während im Hintergrund ein | |
Trio auf Xylofon, Saxofon und Kontrabass spielt. Aus dem langgestreckten | |
Saal kann man zur einen Seite die Wiese vorm Reichstag sehen, [1][wo | |
kürzlich Hunderttausende gegen rechts demonstrierten], zur anderen Seite | |
den Plenarsaal des Bundestags. | |
Einige Stunden zuvor [2][hielt Weidel dort eine Rede], die langjährige | |
parlamentarische Beobachter*innen das „Hasserfüllteste“ nannten, was | |
sie im Plenum des Bundestags je erlebt hatten. „Diese Regierung hasst | |
Deutschland“, keifte Weidel in Richtung Regierungsbank. Sie sprach von | |
einer „Schneise der Verwüstung“ durch die Bundesregierung und einer | |
„beispiellosen Verleumdungskampagne gegen die AfD“. Ihre Botschaft: Die AfD | |
will angreifen, jetzt erst recht. | |
Beim Medienempfang geben sich die anwesenden AfD-Abgeordneten alle Mühe, | |
gut gelaunt zu wirken. Doch die meisten Fragen drehen sich um unbequeme | |
Themen: Das [3][Potsdamer Treffen von AfD-Politikern, | |
Unternehmer*innen und Rechtsextremen, bei dem millionenfache | |
Vertreibungen von Deutschen mit Migrationshintergrund diskutiert wurden] – | |
und die [4][Massenproteste von Millionen Menschen gegen rechts], nachdem | |
die Rechercheplattform Correctiv [5][das Treffen öffentlich gemacht hatte]. | |
Schaden sie der AfD? Und wenn ja, wie stark? | |
Traten Parteivertreter*innen angesichts des Höhenflugs in Umfragen | |
zuletzt regelrecht machttrunken auf und sprachen mit Blick auf die | |
anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gar von | |
der absoluten Mehrheit und der Aufteilung von Ministerien, ist die Stimmung | |
beim Medienempfang deutlich gedämpfter. | |
## Minus drei Prozentpunkte | |
Vizebundessprecher Stephan Brandner sagt der taz, dass er nicht glaube, | |
dass die AfD die Landratsstichwahl [6][am 28. Januar im Saale-Orla-Kreis | |
verloren hätte], wenn es die Protestwelle nicht gäbe. Trotzdem gibt er sich | |
optimistisch: zwar geht er davon aus, dass die AfD in | |
Bundestagswahlumfragen unter 20 Prozent bröckeln würde, „aber nicht | |
nachhaltig“. Auch der Europawahlspitzenkandidat Maximilian Krah will zwar | |
„kaum Wirkung“ der Proteste sehen, spricht aber von einer | |
„Binnenmobilisierung im linken Spektrum, die ich dennoch mit einer gewissen | |
Sorge sehe, weil sie unser weiteres Wachstum vermutlich erschwert, | |
insbesondere unter Migranten“. | |
Anonym werfen AfD-Politiker den Vorsitzenden Weidel und Chrupalla | |
Führungsschwäche vor, weil es keine einheitliche Kommunikations- oder | |
Sprachregelung zur Correctiv-Enthüllung gegeben habe. Jeder wurschtele vor | |
sich hin, in der Fraktionssitzung fehlten Aussprachen, Probleme würden | |
ausgesessen. Man sei so viel Gegenwind auch gar nicht mehr gewohnt und | |
merke im persönlichen Umfeld, dass viele Menschen von den bekannt | |
gewordenen Plänen geschockt seien. | |
Bei Infratest dimap ist die AfD seit Jahresbeginn um 3 Prozentpunkte auf 19 | |
Prozent gesunken. Forsa und Emnid sehen es ebenso. Aber [7][diese | |
Umfragewerte] sind mit Vorsicht zu genießen – zeitgleich gründete sich das | |
Bündnis Sahra Wagenknecht. Und in Sachsen bleibt die AfD [8][bislang | |
stabil]: Dort steht sie weiter bei 35 Prozent. | |
Der Politikberater Johannes Hillje, der zur Kommunikation der AfD ein Buch | |
veröffentlicht hat, sagt, die Partei versuche einerseits zu beschwichtigen | |
und habe andererseits mit einer realitätsumkehrenden Opfererzählung von | |
einer „Schmutzkampagne“ den Gegenangriff angetreten. Doch die | |
Realitätsumkehr verfange nur bedingt. Denn die Proteste brächten die AfD in | |
Erklärungsnot, sagt Hillje: „Die Erzählung der AfD, man vertrete eine | |
schweigende Mehrheit, bekommt Risse und wird konterkariert.“ | |
## Das demokratische Lager stärken | |
Große Teile der Bevölkerung protestieren jetzt gegen die angebliche Stimme | |
des Volkes. Das schade vor allem mit Blick auf neue Anhänger und | |
Sympathisierende, die in letzter Zeit von den Ampelparteien und der CDU zur | |
AfD gekommen sind, sagt Hillje: „Hier könnte aktuell ein Reflexionsprozess | |
einsetzen, der das Wachstum bremst und Verluste auslöst.“ Er geht davon | |
aus, dass selbst wenn die Wählerschaft der AfD nicht signifikant kleiner | |
werden sollte, die Proteste das demokratische Lager stärkten. Sie führten | |
dazu, dass vor allem die Kräfte der gesellschaftlichen Mitte aktiviert | |
würden. | |
Die AfD hat gerade verkündet, sie habe seit Erscheinen der | |
Correctiv-Recherche rund 2.700 Neueintritte verzeichnet. Diese Meldung will | |
Hillje nicht überbewerten. Es sei kein Massenbeitritt, sondern die | |
Kernwählerschaft, die sich nun solidarisiere: „Genau die soll gefestigt | |
werden mit der Realitätsumkehr.“ | |
Auch für Andreas Zick entfalten die Proteste bereits jetzt eine Wirkung. Es | |
habe ein „gesellschaftlicher Klimawandel“ eingesetzt, erklärt der | |
Bielefelder Konfliktforscher. Die Proteste hätten eine ganze Reihe an | |
Gruppen inspiriert, sich deutlich gegen Rechtsextremismus zu positionieren | |
– Unternehmen, Kirchen, Hochschulen, Richter:innen. In einer lange nicht | |
dagewesenen Intensität werde über die Bedrohung der Demokratie diskutiert. | |
Parallel liefen Debatten, wie demokratische Institutionen wie das | |
Bundesverfassungsgericht besser geschützt werden könnten. „Das alles hätte | |
es ohne die Proteste nicht geben“, sagt Zick. „Die Demonstrierenden haben | |
eine Bewegung angestoßen, die immer weitere Wellen schlägt und damit schon | |
jetzt nachhaltige Folgen auslöst.“ | |
Ob der Protest der AfD am Ende an der Wahlurne schadet, ist noch nicht | |
ausgemacht. Studien dazu sind rar. Einige internationale Untersuchungen | |
weisen aber nach, dass sich Protest gegen rechts auf Wahlen auswirken kann. | |
So untersuchte eine Studie die norditalienischen Regionalwahlen von 2020. | |
Zivilgesellschaftliche Gruppen hatten damals gegen Matteo Salvini und seine | |
Lega Nord protestiert, [9][die „Sardinen-Bewegung“]. Das Ergebnis: In | |
Orten, wo es Proteste gab, schnitten die Rechtsextremen bis zu 4 | |
Prozentpunkten schlechter ab als in vergleichbaren Wahlbezirken. | |
## Soziale Normen stärken | |
Auch in einer Studie zur französischen Präsidentschaftswahl von 2002 | |
zwischen Jacques Chirac und dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen zeigte | |
sich, dass in Orten mit größeren Protesten gegen Le Pen dieser am Ende auch | |
weniger Stimmen bekam. Laut der Studie war es den Demonstrierenden | |
gelungen, eine soziale Norm zu stärken, dass eine Wahl von Le Pen sozial | |
unerwünscht ist. Es ist dieser Effekt, den auch die zuletzt | |
erfolgsverwöhnte AfD fürchten dürfte. | |
Eine weitere Studie, die Proteste gegen [10][die rechtsextreme Goldene | |
Morgenröte] in Griechenland untersuchte, stellte fest, dass sich die | |
Wahlergebnisse der Partei im Anschluss gar um bis zu 16 Prozentpunkte | |
verringerten. Der Effekt war umso größer, je näher die Demonstrationen vor | |
Wahlen stattfanden und je mehr die Proteste direkt auf Aktivitäten der | |
Rechtsextremen reagierten – die Forscher*innen sprechen von einem | |
„Tango-Effekt“. Dass die momentanen Anti-AfD-Proteste so früh im Jahr | |
stattfinden, könnte daher gegen einen größeren Effekt bei [11][der | |
Europawahl im Juni] und den Landtagswahlen im Herbst sprechen. | |
Nicht eindeutig ist die Forschungslage, welche Faktoren sonst noch einen | |
Protesterfolg befördern. So scheint erwiesen, dass Proteste vor allem dann | |
öffentlichen Zuspruch erhalten, wenn sie möglichst heterogen | |
zusammengesetzt sind und geschlossen auftreten. Auf die laufenden | |
Anti-AfD-Proteste trifft dies zu. Wobei sich auch hier erste Trennlinien | |
zeigen, etwa in der Frage, inwieweit Regierungs- und Parteienvertreter am | |
AfD-Aufstieg mitschuldig sind und an den Protesten teilnehmen sollten. | |
Mehrere Studien sehen zudem positive Effekte, wenn die Proteste gewaltfrei | |
bleiben. So weist eine gerade erst abgeschlossene Studie zu den friedlichen | |
Fridays-for-Future-Protesten in Deutschland nach, dass Ortschaften, in | |
denen die Klimabewegung demonstrierte, danach höhere Wahlergebnisse für die | |
Grünen verzeichneten. | |
Eine Studie zur Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren in den | |
USA zeigte, dass in Regionen mit gewaltfreien Protesten die Demokraten um | |
rund zwei Prozentpunkte zulegen konnten. Kam es indes zu Gewalt, gab es | |
ähnliche Stimmengewinne für die Republikaner. Eine andere Studie hielt | |
dagegen fest, dass Bewegungen, die auch eine radikalere Flanke haben, | |
effektiver darin sind, die öffentliche Meinung zu drehen – wie es etwa bei | |
den US-Protesten gegen Trumps „Muslim Travel Ban“ geschehen sei, als auch | |
Straßenblockaden eingesetzt wurden und das Dekret letztlich kassiert wurde. | |
Der Marburger Protestforscher Tareq Sydiq warnt vor einfachen Erklärungen. | |
Wenn Protesteffekte auf Wahlen nachweisbar seien, bewegten sich diese | |
zumeist im Bereich von wenigen Prozentpunkten. „Das sollte man nicht | |
unterschätzen, aber auch nicht überschätzen“, sagt Sydiq. Es komme sehr auf | |
den Zeitpunkt und die Geschlossenheit der Proteste an, sonst könnten die | |
Effekte schnell verpuffen. „Ein politisches Allheilmittel sind die Proteste | |
nicht.“ | |
Wie es laufen könnte, zeigt ein Blick ins Frühjahr 2020. Damals wurde nach | |
dem Hanau-Anschlag bundesweit über Rassismus und die Mitverantwortung der | |
AfD diskutiert. Die Umfragewerte der Partei sackten danach um mehrere | |
Prozentpunkte ab. Zwar befand sich die AfD später wieder im Aufwärtstrend, | |
aber bis dahin dauerte es immerhin zwei Jahre. | |
2 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Demos-gegen-rechts/!5984227 | |
[2] /Generaldebatte-im-Bundestag/!5989525 | |
[3] /Geheimtreffen-mit-Rechtsextremen/!5984871 | |
[4] /Protestwelle-gegen-Rechtsextremismus/!5989817 | |
[5] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigrati… | |
[6] /AfD-Kandidat-in-Thueringen-verhindert/!5985598 | |
[7] https://www.wahlrecht.de/umfragen/ | |
[8] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/sachsen.htm | |
[9] /Sardinen-Demos-in-Italien/!5646279 | |
[10] /Urteil-zu-Neonazi-Partei-in-Griechenland/!5718910 | |
[11] /Schwerpunkt-Europawahl/!t5533778 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
Konrad Litschko | |
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