# taz.de -- Demonstration für Liebig34: „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ | |
> Nach der Räumung der Liebig34 in Berlin wird für das Hausprojekt | |
> demonstriert – inklusive Sachbeschädigungen und Zusammenstößen mit der | |
> Polizei. | |
Bild: DemonstrantInnen gehen mit Transparenten durch Berlin-Mitte | |
BERLIN taz | Die Schaufenster sind schon kaputt, noch bevor die | |
Demonstrant:innen am Freitagabend die Alte Schönhauser Straße erreicht | |
haben. Kleingruppen haben die Fenster demoliert. Die durchnässten | |
Demonstrierenden werden von Polizist:innen aufgehalten. Plötzlich gehen | |
Beamt:innen in die Menge, es kommt zu Gerangel. Die Polizei schubst | |
Demonstrierende und drängt sie aktiv zurück. Menschen schreien. Am Ende | |
liegt das kaputte Fronttransparent in einer Pfütze, der Demozug darf weiter | |
durch Mitte ziehen. | |
Schon als sich Hunderte Unterstützer:innen aus der linken Szene am | |
regnerischen Freitagabend im Monbijou-Park in Mitte sammeln, ist die Wut | |
und Frustration über die [1][Räumung des anarcha-queer-feministischen | |
Hausprojekts Liebig34] förmlich greifbar. „Nehmt ihr uns die Liebig ab, | |
machen wir euch die City platt“, skandierten die Demonstrierenden. Ein | |
Slogan, der an diesem Abend noch öfter zu hören sein wird und dem einige | |
der Teilnehmer:innen auch Taten folgen lassen: Entlang der Route kommt es | |
zu zahlreichen Sachbeschädigungen an Geschäften und Autos. | |
Der Ton ist rau an diesem Abend: „Wir haben die Schnauze gestrichen voll“, | |
drückt es eine Rednerin unmissverständlich aus. Mit der Räumung [2][setze | |
die Stadt Profitinteressen eines Spekulanten durch], kritisiert sie, auch | |
wenn dabei Menschen inmitten einer Pandemie auf die Straße gesetzt würden. | |
Noch vor Demonstrationsbeginn kommt es zu einzelnen Flaschenwürfen auf die | |
Polizei, die wie schon am Morgen mit einem Großaufgebot von 1.900 | |
Beamt:innen vor Ort ist. Zwei mutmaßlich rechte Youtuber:innen werden von | |
Demoteilnehmer:innen energisch aus der Versammlung gedrängt und müssen | |
anschließend von der Polizei hinaus eskortiert werden. | |
Bereits am frühen Freitagvormittag hatte die Polizei das Haus in der | |
Liebigstraße geräumt. Begleitet wurde die Räumung von Aktionen und | |
Protesten von etwa 1.000 Personen. Mehr als 2.500 Polizeibeamt:innen waren | |
dabei im Einsatz. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen; einige | |
Menschen wurden festgenommen. Dem Aufruf zur Demo am Abend der „Tag X“ | |
genannten Räumung folgten zeitweise bis zu 2.000 Menschen. | |
Presseführung durchs geräumte Haus | |
Für Unmut sorgte auch ein Pressetermin der Berliner Polizei am Nachmittag, | |
bei der Pressevertreter:innen eine Führung durch das geräumte Haus | |
angeboten wurde. Videos der Privaträume der ehemaligen Bewohner:innen | |
wurden in den sozialen Medien von rechten Nutzer:innen hämisch kommentiert. | |
Das Hausprojekt in der Liebigstraße in Friedrichshain galt als einer der | |
zentralen Bezugspunkte der linken Szene. Rund 40 Menschen wohnten in dem | |
Haus. Über seine Symbolwirkung hinaus war es damit ein Rückzugsort für | |
Frauen, trans*, queere und intersexuelle Menschen. | |
Das Haus wurde 1990 besetzt und kurz darauf legalisiert. Nach einem | |
Eigentümerwechsel 2008 an den Immobilien Spekulanten Gijora Padovicz, | |
erhielten die Bewohner:innen nur einen Gewerbemietvertrag, der 2018 ablief. | |
Padovicz besitzt über 200 Häuser in Berlin und ist berüchtigt für seine | |
rabiaten Entmietungspraktiken. | |
Mit über einer halben Stunde Verspätung setzt sich der Demonstrationszug | |
schließlich in Bewegung. Teilnehmer:innen skandieren „Alles zusammen gegen | |
Spekulanten“ und „Die Häuser denen, die sie brauchen“. Dabei treffen sie | |
nicht nur auf Zustimmung: Ein offenbar mit anarchistischer Theorie nicht | |
sehr vertrauter Anwohner ruft aus seinem Fenster: „Nie wieder Stalin!“ | |
## Es knallt zum ersten Mal | |
Der Zug kommt in der engen Oranienburgerstraße nur stockend voran. Ein dem | |
Kleidungsstil eher der Party- als der autonomen Szene zuzuordnender junger | |
Mann wirft eine Flasche in Richtung der Beamt:innen. Dem Geräusch zufolge | |
scheint ein Helm getroffen, der Aufzug wird vorerst gestoppt. Nachdem die | |
Versammlungsleitung auf die Teilnehmer:innen einwirkt, keine Gegenstände | |
mehr zu werfen, geht es weiter. Als die Demo die Neue Schönhauser Straße | |
erreicht, knallt es zum ersten Mal. Vereinzelt fliegen Steine, Böller und | |
Feuerwerk werden gezündet, Flaschen klirren. Immer wieder verschwinden | |
Kleingruppen in den Nebenstraßen, teilweise um weitgehend ungehindert von | |
der Polizei zu randalieren. | |
Am Ende der Nacht dürfte der Sachschaden hoch sein. Die Schaufenster der | |
umliegenden Nobelboutiquen werden zerschlagen. Besonders in der Alten | |
Schönhauser Straße bleibt kaum ein Ladenfenster heil. Bei vielen Luxuswagen | |
werden die Scheiben kaputtgemacht, teilweise wird versucht, die Autos in | |
Brand zu setzen. | |
Hart gehen die Polizist:innen gegen Demonstrant:innen vor. Nach einem | |
Steinwurf laufen die Beamt:innen in die ersten Reihen, versuchen, einzelne | |
Menschen herauszuziehen und ihnen die als Sichtschutz dienenden | |
Transparente zu entreißen. Journalist:innen und Fotograf:innen werden | |
gestoßen und geschubst, es kommt auch zu Übergriffen auf | |
Demo-Sanitäter:innen. Ähnliche Szenen wiederholen sich viele Male an diesem | |
Abend. Immer wieder stürmt die Polizei in die Demo, um einzelne | |
Teilnehmer:innen zu verhaften. | |
## „What a fight“, rufen die Touristen | |
Entlang der Straßen stehen neugierige Tourist:innen, Restaurant- und | |
Bargäste. Sie nehmen das Spektakel mit einer Mischung aus Verwunderung und | |
Faszination war. Viele filmen mit ihren Smartphones, ein Mann grölt: | |
„Endlich wieder Berlin“, als der schwarze Zug an ihm vorbei zieht. Eine | |
andere Passant:in fragt: „Wofür sind die Leute hier? Was machen die?“ Die | |
Antwort kommt aus dem Demozug: „Liebigstraße, Rigaer bleibt, one struggle, | |
one fight.“ | |
Die Route führt durch den Bezirk Mitte in den Prenzlauer Berg. Als die | |
Demonstrant:innen die Hausprojekte Linie206 und das Tuntenhaus in der | |
Kastanienallee 86 passieren, werden sie von den Bewohner:innen mit | |
Pyrotechnik und Jubel begrüßt. Sie sind die wenigen noch verbleibenden | |
alternativen Orte in den ansonsten durchgentrifizierten Kiezen. Ein | |
Schicksal, das auch der Rigaer Straße zu drohen scheint. | |
Aus einem Lautsprecher vor dem Tuntenhaus erklingt der Ton Steine | |
Scherben-Klassiker „Die letzte Schlacht gewinnen wir“. Zu einer letzten | |
Schlacht kommt es an diesem Abend aber zum Glück nicht. Den letzten Teil | |
der Route läuft die Demo zügig und weitgehend ohne Zwischenfälle, bis sie | |
an der Eberswalder Straße gegen 0 Uhr 30 wenige Meter vor dem geplanten | |
Endpunkt von der Versammlungsleitung aufgelöst wird. | |
10 Oct 2020 | |
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[1] /Hausprojekt-Liebig-34-in-Berlin/!5719147 | |
[2] /Raeumung-der-Liebig-34/!5717141 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
Christina Gutsmiedl | |
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