# taz.de -- Debatten um Bremer Straßenbahn-Trasse: Leicht verlegen durch die C… | |
> Das Aktionsbündnis Innenstadt möchte gern die Tram aus der Obernstraße in | |
> die Martinistraße verlegen. Ob das sinnvoll ist, bleibt fragwürdig. | |
Bild: In Lilienthal hat die Tram-Verlegung drei Jahre lang das Ortszentrum bloc… | |
BREMEN taz | Die Diskussion ist da, das hat die Handelskammer schon mal | |
erreicht. Aber was bedeutet der Neubau einer Bahntrasse mitten in der | |
Stadt? Alfred Werner weiß das. Er hat es erlebt. Werner hatte 2005 die | |
[1][„Initiative Pro Lilienthal“] gegründet, als die Verlängerung der Linie | |
4 bevorstand, mitten durch den Ort. | |
„Wir haben alles getan, um dieses Projekt abzuwenden“, sagt Werner. Und | |
tatsächlich seien die rund drei Jahre reine Bauzeit bis 2014 sehr belastend | |
gewesen. „Es war laut, der Übergang über die Straße war schwierig.“ Eine | |
ganze Reihe Geschäfte sei insolvent gegangen. Die Kund*innen blieben weg. | |
Das ficht das „Aktionsbündnis Innenstadt“ nicht an. Vor zwei Wochen hat das | |
Aktionsbündnis Innenstadt ein Gutachten vorgelegt, das besagt: Eine | |
Verlegung der Straßenbahn aus der Obern- in die Martinistraße wäre möglich | |
– und der vom Bauressort [2][geplante Umbau der Domsheide] damit „nicht | |
alternativlos“. | |
Teil des Aktionsbündnisses sind unter anderem Handelskammer und | |
Arbeitnehmerkammer – insgesamt ein „signifikanter Anteil der | |
Stadtgesellschaft“, sagte Stefan Brockmann, als Vorstand der | |
„CityInitiative Bremen Werbung e. V.“ ebenfalls beteiligt, dem | |
Weser-Kurier. Auch CDU- und SPD-Fraktion setzen sich für eine Verlegung | |
ein. | |
## Kein Vorteil für den Umweltverbund | |
Den Anspruch, einen großen Teil der Stadtgesellschaft hinter sich zu haben, | |
stellt ADFC-Geschäftsführer Sven Eckert infrage. „Die Rückmeldungen hier | |
sagen etwas anderes.“ Die Verlegung würde für den gesamten Umweltverbund | |
keine Vorteile bringen, seien insgesamt „hoch problematisch“, sagt Eckert | |
und verweist auf das Gutachten der BSAG. | |
Das hatte Chefplaner Andreas Busch bereits in der Sitzung der | |
Mobilitätsdeputation Mitte Juli vorgestellt. [3][In der Präsentation] | |
erklärte er, warum er die beiden vom Aktionsbündnis genannten Varianten für | |
nicht machbar hält. | |
Die [4][von Handelskammer & Co.] favorisierte Variante eins sieht eine | |
Haltestelle in der Balgebrückstraße vor. Die Bahn würde dann in die | |
Martinistraße abbiegen und auf Höhe der Pieperstraße erneut halten. In | |
Variante zwei würde die Trasse sogar vor der Domsheide abbiegen, über den | |
Altenwall Richtung Martinistraße geleitet werden. Laut Busch sei es in | |
beiden Varianten nicht möglich, die Barrierefreiheit zu gewährleisten. | |
Außerdem sei das Amt für Straße und Verkehr nicht sicher, ob die Straße | |
hoch zur Balgebrückstraße eine Bahn aushält – ein Risiko für steigende | |
Bauzeit und Kosten. Fährt die Bahn über den Altenwall, ginge es den | |
denkmalgeschützten Wallanlagen an den Kragen. | |
Variante eins brauche bis zur Inbetriebnahme siebeneinhalb bis elf Jahre | |
und koste mindestens 50 Millionen Euro – und ÖPNV-Fördermittel vom Bund | |
seien nicht zu erwarten, sagt Busch: Denn die Kosten-Nutzen-Rechnung geht | |
nicht auf, da die Bahn „an den Rand“ der City gerückt werden würde. Die | |
Wege werden so länger, das ist vor allem für bewegungseingeschränkte | |
Menschen ein Problem. | |
Die Initiative „Einfach Einsteigen“, sonst eine der großen | |
[5][Verfechterinnen neuer Straßenbahnen], teilt die Kritikpunkte der BSAG. | |
Eine Verlegung würde zudem [6][in der Martinistraße selbst] Probleme für | |
alle Verkehrsteilnehmenden mit sich bringen, sagt Gründer Mark Wege, „weil | |
es da sehr eng ist“. Das sieht die Handelskammer anders: „Mit der | |
Reduzierung auf zwei Fahrstreifen, einen in jede Richtung, bietet der | |
Straßenraum genug Platz.“ | |
„Das Gutachten des Aktionsbündnisses gegen die Innenstadt löst die | |
Probleme, indem es sie weitgehend ignoriert oder umdefiniert“, so Weges | |
Urteil. Etwaige Probleme mit Steigungen, größeren Entfernungen und | |
Straßenquerungen würden zwar erwähnt, seien aber „anscheinend nicht so | |
wichtig“. | |
## Tram bringt Kunden in die City | |
Wege kritisiert außerdem, dass die wirtschaftlichen Vorteile einer | |
Verlegung für die Geschäfte bisher „pure Spekulation“ seien. Auch einige | |
Weser-Kurier-Leser*innen sehen den Punkt – [7][in den Kommentaren] heißt | |
es: „Gibt es denn eine einigermaßen objektive Untersuchung, warum die | |
Obernstraße (angeblich) so unattraktiv ist? Es könnte ja auch an einem | |
unattraktiven Geschäfte-Mix und einer langen, eintönigen Karstadt-Front | |
liegen.“ Und: „Die Straße liegt fast den ganzen Tag über im Schatten und | |
ist ein Windfang.“ | |
Doch die Handelskammer ist sicher, dass die Entlastung der Obernstraße eine | |
Aufwertung wäre: „Einzelhandels- und Gastronomieanbieter mit Außenflächen | |
könnten sich gegenseitig ergänzen und die Verweilqualität in der | |
Obernstraße maßgeblich verbessern“, schreibt Sprecherin Christiane Weiß. | |
Auch der Marktplatz sowie Bürgerschaft, Schütting und Dom könnten „zu einem | |
ungestörten Ort der Begegnung werden“. Die Barrierefreiheit sieht die | |
Handelskammer nicht gefährdet, im Gegenteil. Sie würde sich verbessern, „da | |
alle Haltestellen barrierefrei werden“. Das sei aktuell nicht so, sagt | |
Mustafa Güngör, SPD-Fraktionsvorsitzender, in der Obernstraße sei die Stufe | |
in die Bahn zu hoch. | |
Eine bahnfreie Obernstraße sei für ihn nicht nur attraktiver, sondern auch | |
sicherer. „Laufen Sie da mal mit einem Dreijährigen durch!“ Das | |
Aktionsbündnis Innenstadt möchte, dass der Senat die Verlegung als | |
Alternative in Erwägung zieht und sie genauer untersuchen lässt. Auch eine | |
Beteiligung der Öffentlichkeit wird im Gutachten des Ingenieurbüros aus | |
Hannover empfohlen. | |
Die aber gab es laut Verkehrsressort schon. Vor der Domsheide-Entscheidung | |
hatten Bürger*innen und Beiräte die Möglichkeit gehabt, sich | |
einzubringen. „Ich sehe die Straßenbahn als wichtiges Instrument, um | |
zusätzliche Kundenströme in die City zu bringen“, sagt Senatorin Maike | |
Schaefer (Grüne), und neben der Obernstraße sei die Haltestelle vor | |
Karstadt nun mal „die einzige direkte ÖPNV-Anbindung der Sögestraße“. | |
Eindeutig für die jetzt vorgesehene Lösung spreche auch, dass die Chance | |
bestehe, „dass wir all diese Umbauten als Kofinanzierung nutzen könnten, um | |
die 40 Millionen Euro Bundesmittel in die Glocke investieren zu können“, so | |
Schaefer. „Zudem liegt mir die Barrierefreiheit sehr am Herzen“, so | |
Schafer. | |
Auch Joachim Steinbrück und Arne Frankenstein, der ehemalige und der | |
aktuelle Landesbehindertenbeauftragte, sehen sie nur mit der Haltestelle | |
vor der „Glocke“ und der Bahn durch die Obernstraße gegeben. Auch in | |
technischer Hinsicht meldet das Ressort Bedenken an. Diesbezüglich habe man | |
Nachfragen zum Gutachten ans Ingenieurbüro gestellt. | |
Wie Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Die Linke) zu den Plänen steht, | |
sagt sie der taz nicht. Aus dem Ressort heißt es nur: „Das Gutachten lässt | |
sich nicht einfach übergehen. Es zeigt, dass es verschiedene Alternativen | |
zu einer Zusammenlegung der Straßenbahnhaltestellen vor der Glocke und zu | |
einer Straßenbahn in der Obernstraße gibt.“ | |
Diese müssten jetzt geprüft werden. Aus Vogts bisherigen Statements geht | |
hervor: Sie steht Schaefers Plänen sehr kritisch gegenüber. Zum einen ist | |
Vogt gegen die neue Haltestelle vor der Glocke. Die würde „dem Konzerthaus | |
wahnsinnige Probleme bereiten“, [8][sagte sie Ende April dem Weser-Kurier]. | |
Und im Sommer, kurz vor der Deputationssitzung, sagte sie zur einer | |
möglichen Verlegung der Bahn, dass man darüber auch nachdenken sollte, | |
[9][selbst wenn es teuer sei]. | |
Der Vorsitzende der Linksfraktion, Nelson Janßen, hält von den Plänen | |
dagegen nicht viel. Die Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen. Mit | |
dem Geld ließen sich andere ÖPNV-Projekte, die etwa die Stadtränder besser | |
anbinden würden, sinnvoller finanzieren. | |
## Sorge um die Glocke | |
Laut Busch von der BSAG ist Vogts Sorge um das Konzerthaus unbegründet: Mit | |
dem von Schaefer geplanten Umbau der Domsheide würde vor der Glocke sogar | |
Platz gewonnen, obwohl die Schienen der geplanten viergleisigen, zentralen | |
Haltestelle rund eineinhalb Meter näher rückten. | |
Die Buswendeschleife entfalle, außerdem sei geplant, die Glocke rückwärtig | |
zu beliefern. Zudem sollen an der Domsheide Flüsterschienen verlegt werden. | |
Dieter Mazur, Vorsitzender des BUND Bremen, hält die Pläne des | |
Aktionsbündnisses für nicht durchdacht. | |
„Verkehrspolitisch einschlägige Leute haben die da nicht.“ Dass eine | |
Verlegung der Bahn die Innenstadt retten könnte, erschließe sich ihm nicht. | |
Zudem ringe man jetzt schon um jede Million, die für den ÖPNV ausgegeben | |
werden müsste. „Das weiß doch jeder, dass das nicht zu stemmen ist.“ | |
31 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://initiative-pro-lilienthal.de/ | |
[2] /Raddemo-in-Bremen/!5772940 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=IKTXPgb_LxI | |
[4] https://www.handelskammer-bremen.de/wirtschaft-positionieren/pressemitteilu… | |
[5] https://einsteigen.jetzt/ | |
[6] /Transformartini-Programm-gestartet/!5785068 | |
[7] https://www.weser-kurier.de/bremen/bremer-strassenbahn-in-die-martinistrass… | |
[8] https://www.weser-kurier.de/bremen/stadtteil-mitte/bremens-wirtschaftssenat… | |
[9] https://www.weser-kurier.de/bremen/politik/koalitionsstreit-wie-soll-die-st… | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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kommentar: Lilienthals Recht | |
Dass sich ganz Bremen über das Lilienthaler Straßenbahn-Nein aufregt, ist | |
verständlich - aber ungerecht. |