# taz.de -- Transformartini-Programm gestartet: Bremens neue Wohlfühlzone | |
> Die Autos sind weg. Sandkasten, Surfwelle und Soireen verwandeln die | |
> innerstädtische Martinistraße in einen Ort mit Aufenthaltsqualität. | |
Bild: Martinistraße: Mutterboden rechts, Sandkasten links – da passt kein Au… | |
BREMEN taz | Donnerstagfrüh, 8 Uhr: Susanne von Essen vom Verein | |
Sternkultur steht auf der Martinistraße, mitten auf der Fahrbahn, ja ist | |
sie denn lebensmüde? Manche Kraftfahrzeug-Fahrer*innen bremsen aggressiv | |
hart vor ihren Füßen. Viele schimpfen. Aber von Essen lässt sich nicht | |
davon beeindrucken. | |
Sie trägt eine gelbe Warnweste. Und sie weiß ihr Tun [1][gedeckt vom | |
Bundesradverkehrsplan,] im Einklang mit dem Bremer Koalitionsvertrag und | |
abgestimmt mit Mobilitätssenatorin Maike Schaefer (Grüne) sowieso. Jetzt | |
lädt auch noch ein Kipplaster einen Berg Mutterboden auf den Teer. | |
„Jetzt kommt noch mein Lieblingsschild“, sagt Susanne von Essen und pflanzt | |
ein Verkehrszeichen in seine Halterung, „Verbot für Krafträder, Kraftwagen | |
oder mehrspurige Kraftfahrzeuge“. Mit dem anderen Arm rührt sie wild in der | |
Luft: Doch, doch, sie hat durchaus Freude daran, die | |
Automobilist*innen zum Kehrtmachen zu bewegen. | |
Sie gibt sich unerbittlich, außer, die Chauffeur*innen haben eine | |
Sondergenehmigung vom Amt oder können glaubhaft machen, dass sie hier nicht | |
umdrehen können. Der 24-Tonner mit Kühlfracht zum Beispiel, der nicht | |
mitgekriegt hat, dass hier ab heute autofrei ist. An Tag eins ist Kulanz | |
sicher angebracht. | |
## Vereinzelter Volkszorn | |
Gestartet ist am Donnerstag das Transformartini-Programm. So heißt die | |
Reihe der Verkehrsversuche, die eine rad- und fußgängerische Rückeroberung | |
der vierspurig ausgebauten Durchfahrtsstraße parallel zur Weser erlaubt. | |
„Ist ja irre“, blökt vom Bürgersteig ein aufgebrachter Jungmann im | |
Nachwuchsbürodress, „Bremen schafft sich ein neues Verkehrschaos!“ | |
Seine Stimme kippt vor Volkszorn. Sonst aber bleibt es ruhig im | |
abklingenden Berufsverkehr. Später wird einmal ein Porscheposer seine ganze | |
Verzweiflung über Tempo 20 in den rechten Fuß schicken, als er obendrein | |
noch an den rotweißen Absperrbaken umdrehen muss. Sein Motor klagt und | |
jault, wie ein getretener Mopsrüde mit Halsweh. [2][Aber auch das ist | |
heilbar.] | |
Die übrigen Daten, also wie die Änderung der Verkehrsführung angenommen | |
wird, wie sich die Last der durchfahrenden Autos auf weitere Stadtteile | |
auswirkt, und welche der vier bis Mitte April 2022 zu erprobenden | |
Alternativen die günstigsten Werte ergibt, muss das Amt für Straßen und | |
Verkehr jetzt erheben. | |
Ein Rückbau ist beschlossen, aber ob die Martinistraße in beide Richtungen | |
oder nur in eine befahrbar sein sollte, das will man nun messen. Wie die | |
Events, die Angebote und Performances angenommen werden, soll durch | |
Befragungen erhoben werden. | |
Denn innerhalb weniger Stunden bauen hier, wo die Pieperstraße quert und | |
Schlachte und City-Fußgängerzone miteinander verbindet, Teams von Arbeitern | |
eine innerstädtische Wohlfühlzone auf: eine Surfwelle, die aus einem | |
wasserdichten Plastebecken, aufpumpbarer Schräge und einem Zugang besteht, | |
eine Lounge zum Chillen, ein Sandkasten, plus ein rundes Gartenelement – | |
dafür also war der Mutterboden! – das so platziert ist, dass es auch nach | |
dem 10. August erhalten bleiben kann, wenn die Phase des kompletten | |
Kraftfahrzeugsdurchfahrtsverbots endet und die Martinistraße für Fußgänger | |
wieder teilgesperrt wird. | |
„Wir schaffen Platz für Menschen statt für Blechlawinen“, erklärt Maike | |
Schaefer um 12 Uhr auf dem Martiniplatz, den auch viele Ortskundige wohl | |
noch nie als Platz wahrgenommen haben, die Idee der Maßnahme. Derart | |
verkehrsberuhigt wird die Straße attraktiv auch für kulturelle | |
Veranstaltungen. | |
Neben Konzerten und Lesungen – den Auftakt machen gleich am Freitagabend | |
Gambistin [3][Aleksandra Maglevanaia und Rezitator Lukas Orphéo Schneider] | |
mit einem Lyrik- und Musik-Programm – nutzt auch das Filmfest die Gunst des | |
Versuchszeitraums: Nach seiner coronabedingten Online-Ausgabe macht es nun | |
eine Open-Air-Edition mit Publikum gleich neben dem Schünemann-Haus. | |
Die Leute finden es spannend: Viele bleiben stehen und knipsen und filmen | |
mit ihren Smartphones, wie sich das triste Asphaltband durch | |
Temporärbauten, ein paar Holzrahmen Sand und Humus in eine Stätte der | |
Begegnung und des Austauschs verwandelt: Einen Erlebnisraum gestalten, das | |
ist der Auftrag, den von Essen hatte. | |
[4][Alle konkreten Ideen] sind von Bremer Bürger*innen bei Befragungen | |
eingebracht worden, lauter man müsste mal-, man könnte mal-Vorstellungen, | |
die ohne die Rahmenbedingungen eines Versuchs nur spinnerte Wünsche bleiben | |
würden, ohne Aussicht auf Realisierung. Und wenn sie es wären, durch die | |
die Stadt eine Zukunft hätte? „Wir wollen die City beleben, deshalb gibt es | |
diese tollen Aktionen“, sagt Schaefer. | |
Das sei auch der Grund, weshalb es nicht nur zwei, drei Tage dauere, wie | |
der Handelskammer offenbar vorgeschwebt war: „Wenn hier so eine Surfwelle | |
aufgebaut wird, dann muss sich das ja auch lohnen“, erklärt Schaefer. „Das | |
muss sich rumsprechen und es müssen auch ein paar Leute die Gelegenheit | |
bekommen, das wahrzunehmen.“ Mehr als 70 Menschen pro Tag kann die Anlage | |
nicht bewältigen, [5][die Slots von je einer Stunde sind im Voraus zu | |
buchen]. | |
23 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/aktuell/termine/verkehrsversuche-d… | |
[2] https://www.vergleichen-und-sparen.de/hundeversicherung/hundekrankenversich… | |
[3] https://www.sommer-summarum.de/veranstaltung/?id=468 | |
[4] https://www.erlebnisraum-martinistrasse.de/ | |
[5] https://www.ins-blaue.com/welle-buchung/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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