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# taz.de -- Umnutzung der Bremer Martinistraße: Rollrasen statt Raser
> Autofrei, Spaß dabei gilt ab sofort auf einem Abschnitt der Bremer
> Martinistraße bis Mitte August. Die Handelskammer fühlt sich überrumpelt.
Bild: Kleine Maßnahme große Erregung: Die kartographische Übersicht über de…
BREMEN taz | Ab sofort ist die Martinistraße dicht. Also nicht die ganze,
sondern nur ein kleines Stück, von der Verkehrsinsel beim Überweg
Pieperstraße bis zur Einfahrt des Presseparkhauses. Und genau genommen auch
nicht dicht, sondern bloß: für Kraftfahrzeuge gesperrt. Und eigentlich
findet Bernd Wellbrock, der Geschäftsführer von Velo-Sport im
Schünemann-Haus, ja schon, „wir müssen vom Auto weg“.
Aber das, was das Verkehrsressort da jetzt hat planen lassen, nein, dafür
kann er sich nicht recht begeistern: „Überzogen“ nennt er das
Raumbespielungsprogramm mit Surfwelle und Rollrasen. „Das ist nicht die
endgültige Lösung“, sagt er. „Das weiß ich jetzt schon.“
Und auch auf die Einbahnstraßenregelung, die ab September bis Ende Herbst
gelten soll, schaut er mit Skepsis: Zwei statt vier Spuren, das wäre aus
seiner Sicht die optimale Gestaltung – und dann könnte man die 1,3
Millionen Euro, die für die temporäre Bespielung aufgewandt werden,
„irgendwo anders ausgeben“ als bei ihm vor der Ladentür. Andererseits:
„Wenn man nichts ausprobiert, weiß man nicht, was möglich ist“, das sagt
Wellbrock auch.
Begeisterung hört sich anders an, klingt aber nicht so katastrophisch wie
das, was Handelskammer, Dehoga und City-Initiative verkünden. Der Versuch
werde „in den kommenden Monaten zu erheblichen Verkehrsproblemen führen und
dadurch auch den City-Einzelhandel schwer schädigen“, prognostiziert das
Bündnis aus Vorder- und Rückseite des Hauses Schütting.
Anstoß nimmt es daran, dass der Zeitplan abgeändert worden sei und der
beauftragte Verein Sternkultur mit der Möblierung und Verfußgängerzonung
des Straßenzugs „nun schon ab der kommenden Woche“ loslegen soll.
Wobei das alarmierte „nun schon“ etwas von Fake News hat. Ursprünglich
hätte die Martinistraße ja seit Ostern Spielplatz sein sollen. Vorgestellt
hatte Maike Schaefer (Grüne) diese Idee einschließlich Datum Ende August
2020 als „einen Einstieg in das Projekt einer klimaneutralen Stadt“. Und am
6. Juli war auf der Website des [1][Martinistraßen-Projekts auch schon der
konkrete Starttermin veröffentlicht worden.]
Warum sich Handelskammer & Co. jetzt, eine Woche danach, dadurch
überrumpelt fühlen, dass es am 24. Juli gleichsam mit dreimonatiger
Verspätung losgeht? Zwischendurch seien auch andere Zeiträume im Gespräch
gewesen, kürzere, heißt es dazu. Und, kreuzunglücklich sei man darüber,
dass entgegen anderslautender Absprachen am ersten Adventswochenende die
Fahrbahn wieder für Fußgänger*innen reserviert ist, die dann gefahrlos
von Weihnachtsmarkt zum Schlachtezauber flanieren dürfen, noch dazu durch
ein Licht-Event ermuntert. Insgesamt lehne man die Pläne ja ohnehin ab.
Das ist bekannt: Während in Hamburg die IHK zu den Treiber*innen der
City-Entwicklung weg vom Kfz-Paradies zu einem Ort mit Aufenthaltsqualität
gehört, verfolgt ihr Pendant in Bremen in dieser Frage seit langem eher
eine Strategie der Blockade. Im Stadtentwicklungsressort reagiert man auf
diese Zögern-und-Sinnen-Propaganda aus dem Hause Schütting zunehmend
genervt: „Für mich“, sagt Schaefer, „ist es unverständlich, dass man die
Belebung der Innenstadt mit attraktiven Aktionen schlechtredet, bevor sie
begonnen haben.“
Entfachen will man mit ihnen Euphorie und einen Erlebnisraum gestalten.
Vorgesehen dafür ist der Aufbau von Türmchen, die „als Verweilort oder
Aussichtsplattform“ dienen oder „zum Blumenbeet, zur Konzertbühne, zur
Infotafel, zum Ausstellungsraum oder zur Radiostation“ werden sollen. Eine
Hopfenpergola soll das Schnellstraßenflair dort, wo Richtung Tiefer keine
Kfz-Sperrung ausprobiert wird, wenigstens runterdimmen.
Ein Stadtgarten auf der Höhe Heimlichenstraße soll es regelrecht
überschatten. Und der Martini-Platz soll sichtbar gemacht und so zu einem
Ort der Begegnung werden. Es sei möglich, sich konstruktiv an der
Diskussion zur Zukunft der Bremer Innenstadt zu beteiligen, sagt Schaefer,
aber klar sein müsse eben auch: „Neue Ideen entstehen durch Mut und auch
durch Ausprobieren.“
Wahr ist allerdings: Auch die Anlieger*innen fühlen sich nicht wirklich
ins Boot geholt. Das bestätigen alle Befragten, auch Artan Cinari, der die
„Hostaria Tano“ Ecke Pieperstraße betreibt. Das etwas passieren müsse,
sieht er auch: „Das hat hier irgendwie kein Niveau“, sagt er. Aber die
Versuche überzeugen ihn nicht so recht. „Was genau wollen die jetzt
eigentlich sperren?“, fragt er.
Im Grunde könnte er seine Außengastronomie deutlich erweitern, gerade in
Pandemiezeiten scheint das ein Plus – aber ob das so spontan klappt? Und
„was sollen jetzt meine Lieferanten machen?“, fragt er. Zwar gibt’s eine
Zufahrt zum Hinterhof, das würde also passen. Aber nur, wenn die
Transporter, die vom Brill kommen, die durchgezogene Linie überqueren. „Das
müssten sie dann erlauben“, sagt Cinari.
22 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.erlebnisraum-martinistrasse.de/neuigkeitenblog/wir-freuen-uns-s…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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