Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Positionspapier zu PKW-freier City: Handelskammer will mitreden
> Mit zehn Forderungen versucht die Bremer Handelskammer, das Politikziel
> einer PKW-freien City mitzugestalten. Dabei dominiert die Sorge.
Bild: „wagen un winnen“ hat die Bremer Handelskammer als Motto. Für die PK…
BREMEN taz | Mit dem Auto ist es vorbei. Dafür gibt es seit Mittwoch ein
untrügliches Zeichen: Denn mit ihrem Positionspapier „Autoärmere
Innenstadt“ beginnt selbst die Handelskammer Bremen von ihrer seit
[1][Jahrzehnten] verfolgten [2][starren] PKW-[3][Politik] abzurücken.
Sie reagiert damit auf die angekündigte Schließung von Parkhäusern und das
im Koalitionsvertrag benannte Ziel, ein „verbindliches Stufenkonzept für
eine autofreie Innenstadt“ zu entwickeln. Diese soll 2030 von der Weser bis
zum Wall reichen. Damit, so die Unterstellung, werde aber „der letzte
Schritt vor dem ersten getan“, sagte Janina Marahrens-Hashagen. Das
„bedeutendere Ziel“ sei es, „Bremen als attraktives, lebendiges und gut
erreichbares Oberzentrum“ zu erhalten, stellte die Präses klar.
Daran wolle man mitwirken – durch Forderungen: So müsse zuallererst der
Öffentliche Personennahverkehr ausgebaut und preislich attraktiver
gestaltet werden. Beispiel: Der Kernbereich der City. „Das muss kostenlos“,
so der Sprecher der Einzelhändler Stefan Brockmann, „da kann man ruhig mal
nach Augsburg schauen.“
Eine wohl mit Bedacht gewählte Referenz: Während Bremens „Einsteigen!“-Ini
ihr Gratis-ÖPNV-Modell nicht zuletzt per Gewerbesteuer-Erhöhung finanzieren
will, übernimmt in Augsburg der Freistaat Bayern die gesamten 860.000 Euro,
die für die freie Nutzung der City-Zone [4][veranschlagt] werden. Aber
immerhin: Die Zeiten, in denen die Handelskammer mit manipulierten
Gutachten für die Vierspurigkeit der Concordia-Unterführung kämpfte, liegen
so lange noch nicht zurück.
## Vorbild Augsburg
Wenn jetzt also „die Kammer ganz klar Ja zu einer fußgängerfreundlichen
City“ sagt, wie Hauptgeschäftsführer Matthias Fonger es ausdrückt, klingt
das fast schon zukunftsorientiert. Man habe auch die Verbesserung des
Radverkehrs im Blick, so Fonger weiter. „Damit haben wir uns in der
Vergangenheit ja weniger befasst.“
Doch man bleibt vorsichtig. Auch wenn das Motto „wagen un winnen“ überm
Haus Schütting eingraviert ist, die Sorge, dass ein Verdrängen des
Autoverkehrs aus der Innenstadt die Käuferströme noch mehr als bislang in
die Einkaufszentren in Randlage treibt, ist groß. „Dorthin wird erst recht
mit dem Auto gefahren“, sagt Fonger. „Das bedeutet mehr Autoverkehr.“
Das sei ein Risiko, das man im Auge behalten müsse, sagt Malte Halim,
Vorsitzender des alternativen Verkehrsclubs VCD. Allerdings, werde das
„durch die gestiegene Aufenthalts- und Lebensqualität aus unserer Sicht
ausgeglichen“. Beispiel dafür sei Kopenhagen, dessen City durch eine
konsequente Anti-KfZ-Politik im Laufe der letzten 20 Jahre massiv gewonnen
habe.
Kopenhagen hin oder her: Die Studienlage ist unbefriedigend. So gibt es
kaum nennenswerte Untersuchungen über die Entwicklung europäischer Städte,
die seit längerem den Autoverkehr verbannt haben. Dort wo Zahlen vorliegen,
sind sie allerdings ermutigend. Das spanische Pontevedra etwa, das seit
1999 die Innenstadt weiträumig für Autoverkehr gesperrt hat, entwickelt
sich prächtig.
## Weniger Verkehrstote
Nicht nur der CO2-Ausstoß sondern auch die Zahl der Verkehrstoten ging
binnen zehn Jahren um rund 70 Prozent zurück, [5][berichtete] The Guardian
kürzlich. Gestiegen ist zudem die Einwohnerzahl um zehn Prozent auf 82.000
– und davon profitiert hat natürlich: der Einzelhandel. Während im Zuge der
heftigen Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre in ganz Spanien die kleinen
Geschäfte in den Citys haben dicht machen müssen, haben sie in Pontevedra
überlebt.
Ob das ein Effekt der Autofreiheit ist, lasse sich nicht eindeutig
feststellen, heißt es in einer von den Städteplanern Jiacheng Jiao, Sheng
He und Xiaochen Zeng 2019 vorgestellten Untersuchung über „European
car-free development models“ bezüglich der galizischen Regionalhauptstadt.
Aber das demografische wie auch ökonomische Wachstum seien
[6][unbestreitbar].
Die Handelskammer [7][sorgt sich derweil] um Menschen mit Behinderung, die,
so Marahrens-Hashagen „auf das Auto angewiesen sind, um in die Stadt zu
kommen“. „Diese Sorge teile ich nicht“, sagt allerdings auf Nachfrage
Joachim Steinbrück. „Dafür“, ist der Landesbehindertenbeauftragte
zuversichtlich, „lassen sich Lösungen finden“, eine
Sonder-Einfahrtserlaubnis zum Beispiel.
## Letztes Zucken der KfZ-Ideologie
Trotz der Zugeständnisse in Richtung „autoarm“ scheint der [8][ideologische
Vorbehalt der IHK] noch immer virulent. So nennt Vizepräses Joachim
Linnemann den „Claim einer autofreien Innenstadt abschreckend“. Die
empirische Basis für die These sind aber lediglich Äußerungen von
KundInnen, die den HändlerInnen gegenüber die Sorge ausgedrückt hätten, man
komme „gar nicht mehr mit dem Auto in die Stadt“.
Zu dieser offenkundigen Fehlwahrnehmung dürften IHK-Äußerungen zum
Verkehrsthema mehr beitragen, als die Wirklichkeit. So verweist
Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) darauf, dass „die City momentan
strukturelle Probleme“ habe, „obwohl ausreichend Parkplätze vorhanden
sind“. Für die Forderung der IHK einbezogen zu werden, äußerte sie
Verständnis: Allerdings ist das Ziel der Autofreiheit mit ihr nicht
verhandelbar: Wer über 2030 hinaus noch wie im vergangenen Jahrtausend auf
motorisierten Individualverkehr setze, „hat die Zeichen der Zeit nicht
erkannt“, so Schaefer.
Deutlicher noch kritisierte der Grünen-Verkehrspolitiker Ralph Saxe das
Positionspapier: Es sei „mutlos“. Es mache zwar durchaus einen Schritt nach
vorne – aber zugleich zwei zurück. „An der autofreien Innenstadt führt ke…
Weg vorbei“, sagte er. „Damit machen wir das Herz unserer Stadt
attraktiver.“
23 Jan 2020
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!1335634&s=Handelskammer+Bremen+Verkehr&SuchRahmen=Pr…
[2] /Interview/!5150669
[3] /Archiv-Suche/!834075&s=Handelskammer+Bremen+Verkehr&SuchRahmen=Pri…
[4] https://www.augsburg.de/aktuelles-aus-der-stadt/detail/gratis-durch-die-cit…
[5] https://www.theguardian.com/cities/2018/sep/18/paradise-life-spanish-city-b…
[6] http://uniqueca.com/archieves/proceedings/HUSO2019.pdf#page=84
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Bigotterie
[8] /Archiv-Suche/!689715&s=Handelskammer+Bremen+Verkehr&SuchRahmen=Pri…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Autoverkehr
Handelskammer
Bremen
Verkehrspolitik
Verkehrswende
Lesum
Tempolimit
Kostenloser Nahverkehr
ÖPNV
Flughafen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umnutzung der Bremer Martinistraße: Rollrasen statt Raser
Autofrei, Spaß dabei gilt ab sofort auf einem Abschnitt der Bremer
Martinistraße bis Mitte August. Die Handelskammer fühlt sich überrumpelt.
Lesumwiesen sollen Gewässer werden: Polarisierender Ausgleich
Mit dem Umbau der Lesumwiesen sollen Umweltschäden kompensiert werden,
deren Ursache 20 Jahre zurück liegt. Die Idee finden nicht alle gut.
Ex-Verkehrssenator über Tempolimit: „Das Tempolimit wird akzeptiert“
Bereits 2008 führte der damalige Bremer Verkehrssenator Reinhard Loske eine
Geschwindigkeitsbegrenzung ein. Trotz aller Proteste.
Bremer Idee zum öffentlichen Nahverkehr: Jeder fährt umsonst und alle zahlen
20 Euro für eine Flatrate in Bus und Bahn für alle BremerInnen? Zwei
Drittel finden das gut, ergab eine repräsentative Umfrage.
Tram und Bus ohne Ticket: Bremen sucht den Super-Einstieg
Eine Initiative hat ausgerechnet, wie Bremen die Umstellung auf einen
umlagefinanzierten Personennahverkehr schaffen könnte.
Strittige Verkehrsplanung in Bremen: Ini baut auf Flughafenchef
Bei einer Unternehmerversammlung hat der Bremer Flughafen-Chef die
Autobahnplanung für die A 281 scharf kritisiert.
Lohse wird Loske-Nachfolger in Bremen: "Konflikte muss man ansprechen"
Eine Hafenstadt muss entwicklungsfähig sein, sagt der künftige Senator für
Umwelt und Verkehr Joachim Lohse (Grüne) - aber nicht auf Kosten der
Menschen.
Umweltzonen: Frei Atmen in der Innenstadt
Als dritte norddeutsche Stadt führt Osnabrück die Umweltzone ein. In
Hannover dürfen nur noch Autos mit grüner Plakette in die Innenstadt und in
Hamburg drohen die Pläne im Wahlkampf zu versickern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.