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# taz.de -- Tram und Bus ohne Ticket: Bremen sucht den Super-Einstieg
> Eine Initiative hat ausgerechnet, wie Bremen die Umstellung auf einen
> umlagefinanzierten Personennahverkehr schaffen könnte.
Bild: Könnten auch ohne Tickets einsteigen dürfen: Wartende am Bremer Hauptba…
Bremen taz | Studierende kennen das Prinzip seit 1991: Ob sie wollen oder
nicht, sie überweisen den Semesterbeitrag und bekommen dafür ungefragt ein
Semesterticket, mit dem sie Bus und Bahn frei nutzen können – einfach
einsteigen. „Einfach einsteigen“, so nennt sich auch [1][eine Initiative,
die nun für alle Bremer das Gleiche will]: einen über eine Umlage
finanzierten Nahverkehr innerhalb Bremens. Ein Jahr lang hat die Gruppe
Ideen ausgetauscht, die Rechtslage studiert, viel gerechnet und etliche
Gespräche geführt.
Herausgekommen ist ein Konzept, in dem Bus- und Bahntickets [2][überflüssig
werden]. Der Betrieb und Unterhalt des Nahverkehrs soll nicht mehr über den
Fahrpreis, sondern über eine paritätische Umlage finanziert werden. Die
eine Hälfte der Kosten trägt sich über einen verpflichtenden Beitrag, den
alle volljährigen Bremer*innen und Berufspendler*innen zahlen sollen –
unabhängig davon, ob sie den Nahverkehr nutzen wollen. 19,11 Euro, so hat
die Initiative berechnet, sollen für jede*n im Monat anfallen,
Sozialhilfeempfänger sind mit 10 Euro dabei.
Ähnliche Vorschläge tauchten schon früher auf, als „Nulltarif“, als
„Fahrscheinloser ÖPNV“ oder als „Solidaritätstarif“. Meist scheiterte…
Ideen früh, 2015 etwa wurde in Osnabrück ein angedachtes „Bürgerticket“
noch vor der Machbarkeitsstudie [3][eingestampft]. „Es ist eben Neuland und
damit zumindest theoretisch ein Risiko“, befindet Mark Wege, einer der
Initiatoren von „Einfach einsteigen“.
Ein politisches Risiko liegt in dem Gefühl von Ungerechtigkeit, das manch
einer auch angesichts des Rundfunkbeitrags empfindet. Schließlich zahlen
immer auch diejenigen mit, die das Angebot nicht nutzen. „Einfach
einsteigen“ argumentiert – analog zu ARD und ZDF – mit dem Gemeinwohl des
ÖPNV für die verpflichtende Abgabe: Wer den Nahverkehr stärkt, verbessert
nicht nur die Teilhabe der Ärmeren, sondern entlastet auch die Stadt von
Stau und Abgasen. So profitieren indirekt auch Auto- und Radfahrer, die den
ÖPNV nur sporadisch oder gar nicht nutzen.
## Die Bremer Wirtschaft müsste zahlen
Widerstand droht aber nicht nur durch [4][konsequente BSAG-Vermeider]. Denn
die zweite Hälfte der Einnahmen soll von der Wirtschaft kommen. Durch den
ticketlosen Nahverkehr werde die Stadt attraktiver, Kunden würden mobiler
und der verbesserte Verkehrsfluss mache Geschäftswege kürzer – „die
Unternehmen haben einen Vorteil“, findet „Einfach einsteigen“-Gründer Ma…
Wege.
Billig wird dieser Vorteil nach den Berechnungen der Initiative für die
Bremer Wirtschaft nicht. Für die benötigten 122 Millionen Euro im Jahr
müsste der [5][Gewerbesteuerhebesatz von heute 470] auf künftig 576 Prozent
wachsen; anders ausgedrückt: Die Gewerbesteuer für Unternehmen stiege in
Bremen von 16,45 auf 20,16 Prozent. Aktuell weist in Norddeutschland
Hannover mit 480 Prozent den höchsten Hebesatz auf.
„Die Idee ist da noch nicht ganz zu Ende gedacht“, findet denn auch Olaf
Orb, Innenstadtbeauftragter der Bremer Handelskammer. Die IHK hatte im
September in einem Positionspapier selbst eine kostenfreie „Freezone“ für
Bus und Bahn in der Innenstadt angeregt.
Man wünsche sich „Mut und Innovationsfreude seitens der städtischen
Politik“, hieß es dort – und so verspricht Orb jetzt auch selbst, sich
konstruktiv mit dem „interessanten“ Vorschlag von „Einfach einsteigen“
[6][auseinanderzusetzen]. Das Ganze aber lieber nicht mit Mitteln der
Unternehmer: „Der ÖPNV ist eine öffentliche Aufgabe. Die Finanzierung über
eine Gewerbesteuer fühlt sich nicht richtig an.“
## Zweifel an rechtlicher Zulässigkeit
Auch die politische Ebene zeigt sich zögerlich. „Wir haben Zweifel, ob eine
solche Nahverkehrsabgabe rechtlich überhaupt zulässig ist“, erklärt Frank
Steffe, Büroleiter von Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne).
Lieber möchte die Behörde kleinere Brötchen backen und den ÖPNV vorerst nur
für einzelne Gruppen kostenfrei gestalten – für Schüler*innen,
Auszubildende oder arme Menschen etwa. Und überhaupt: „Um mehr Kunden zu
finden, muss man nicht einfach die Ticketpreise senken, sondern vor allem
das Angebot verbessern.“
Hier wiederum rennt die Behörde bei „Einfach einsteigen“ offene Türen ein.
Schließlich hat die Initiative in ihren Berechnungen nicht nur die
Betriebskosten für den Nahverkehr der Zukunft ein Drittel höher angesetzt
als heute, um die voraussichtlich höhere Nachfrage zu bedienen. Sie sieht
auch vor, dass die 75 Millionen Euro, die Bremen jährlich als Subventionen
an den Nahverkehr vergibt, künftig in den Ausbau des Straßenbahnnetzes und
die Erfüllung des Verkehrsentwicklungsplans 2025 fließen. „Ohne einen
Ausbau wäre unser Konzept nicht ganzheitlich“, betont Wege.
So oder so, beschlussreif ist das Konzept noch nicht: Es soll noch breit
diskutiert werden. Das erste Infotreffen [7][am 6. Februar im Karton in der
Bremer Neustadt] dient dazu, Fragen zu beantworten und Diskussionsthemen zu
sammeln. „Viele Punkte können durch Diskussion und Input noch verbessert
werden“, sagt Wege.
4 Feb 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/einsteigenjetzt?lang=de
[2] /!5050026
[3] https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/767220/buergerticket-oepnv-fl…
[4] https://www.bsag.de/de/angebote.html
[5] https://www.finanzen.bremen.de/steuern/gemeindesteuern/gewerbesteuer-8842
[6] https://www.handelskammer-bremen.de/Standort_Bremen_Bremerhaven/stadtentwic…
[7] https://de-de.facebook.com/KartonBremen/
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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