# taz.de -- Debatte um Benin-Bronzen: Ein wahres Kunststück | |
> Sind deutsche Museen bereit, Raubkunst an Nigeria zurückzugeben? Ein | |
> Spitzentreffen in Berlin könnte den Durchbruch in der Debatte bringen. | |
Bild: Diese Altargruppe (Ausschnitt) erwarb Berlin 1898 über den deutschen Kon… | |
BERLIN taz | In Sachen Benin-Bronzen könnte an diesem Donnerstag in Berlin | |
Geschichte geschrieben werden. Auf Einladung von Kulturstaatssekretärin | |
Monika Grütters (CDU) treffen sich alle deutschen Museen, die solche | |
Objekte in ihren Sammlungen haben, plus die Vertreter aus Bund, Ländern und | |
Kommunen sowie das Auswärtige Amt. Das Ziel: eine gemeinsame Haltung finden | |
für den Umgang mit der weltberühmten Raubkunst, die Nigeria seit Langem | |
zurückfordert und über die es zuletzt wieder heftige Debatten gab. Die | |
Erwartungen sind hoch: Werden nun erstmals von verantwortlicher deutscher | |
Seite verbindlich Rückgaben angeboten? Es wäre eine kleine Sensation. | |
Als „Benin-Bronzen“ wird ein mehrere Tausend Objekte umfassendes Konvolut | |
von Skulpturen, Reliefs, Schmuck und Kostbarkeiten aus dem 16. bis 19. | |
Jahrhundert bezeichnet, die vor allem aus Bronze bestehen. Ein Großteil | |
davon wurde geraubt, als englische Soldaten 1897 die Königsstadt Benin und | |
den Palast im heutigen Nigeria plünderten. Berlin „besitzt“ nach neuester | |
Zählung 505 Objekte, das ist die zweitgrößte Sammlung nach dem British | |
Museum. Auch die Museen in Hamburg, Leipzig, Dresden, Köln und Stuttgart | |
haben Benin-Objekte. | |
Hoffnungen auf eine innerdeutsche Einigung, wie man mit dem umstrittenen | |
Besitz umgehen soll, äußerte auf taz-Anfrage Hermann Parzinger, Präsident | |
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), der unter anderem das | |
Ethnologische Museum Berlin und damit die hiesige Benin-Sammlung „gehört“: | |
Wir wollen und müssen […] gemeinsam die Bereitschaft für Rückgaben | |
erklären. Die Eroberung und Plünderung von Benin City war Teil des Unrechts | |
des europäischen Kolonialismus.“ | |
Auch die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer | |
(Grüne) forderte, „dass wir in dieser Runde bereits konkrete Vereinbarungen | |
treffen, eine Selbstverpflichtung eingehen sollten“. Bauer legte den | |
anderen Teilnehmern des Treffens eine „Roadmap“ vor, nach der bis Ende 2022 | |
ein Konzept erarbeitet wird, „das konkrete Verfahren und Zeitpläne für die | |
Rückführung von Kulturgut nach Nigeria beinhaltet“. Gelinge dies nicht, so | |
Bauer, werde Baden-Württemberg Objekte im Alleingang zurückgeben. | |
## „Gemeinsame Haltung entwickeln“ | |
Der Berliner Grünen-Abgeordnete Daniel Wesener, Sprecher seiner Fraktion | |
für den Bereich Kultur, sagte der taz, ein verbindlicher Zeitplan für | |
Rückgaben sei richtig – ebenso die Ankündigung, dies notfalls auch ohne | |
bundesweite Einigung zu tun. „Ich erwarte, dass sich auch das Land Berlin | |
entsprechend positioniert, zumal es als Standort der Stiftung Preußischer | |
Kulturbesitz und des Humboldt Forums ganz besonders in der Verantwortung | |
steht.“ | |
Auch Parzinger, der für die SPK an dem Treffen teilnimmt, nannte die | |
Roadmap „den richtigen Weg“. Wichtig sei aber, dass die Museen in | |
Deutschland, die Benin-Bronzen besitzen, und deren Träger „gemeinsam eine | |
Haltung entwickeln und nächste Schritte vereinbaren“. | |
Eine gemeinsame Haltung hatten die deutschen – und europäischen – Museen | |
bisher durchaus: Forderungen nach Rückgaben, die Nigeria seit den 1960er | |
Jahren immer wieder artikuliert hat, wurden abgelehnt, ebenso wie die | |
anderer ehemals kolonisierter Länder, die Kunstwerke und Ethnografica | |
zurückhaben wollten. [1][Die SPK tat sich hierbei in den 60er bis 80er | |
Jahren besonders hervor], wie die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in | |
ihrem Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“ gerade nachwies. | |
Nach jahrelangen Diskussionen über das Humboldt Forum und seine künftigen | |
Inhalte agierte die SPK zuletzt defensiver, blieb aber vage. Es gebe ja gar | |
keine offizielle Rückgabeforderung Nigerias, [2][hieß es noch 2020], oder: | |
Rückgaben seien „eine Option“. Man betonte zugleich, dass man Teil der | |
Benin-Dialogue-Group sei, in der seit nunmehr zehn Jahren europäische | |
Museen mit ihren nigerianischen Gegenübern verhandeln. Von Rückgaben ist | |
dort allerdings noch immer nicht die Rede, lediglich von „Leihgaben“ oder | |
„Dauerleihaben“ für das neue Museum in Benin City, das 2024 fertig sein | |
soll. | |
## „Schabowski-Moment der Restitutionsdebatte“ | |
Neue Fahrt bekam die Debatte, weil zuletzt immer mehr Stimmen laut wurden, | |
die wie Savoy meinen, Benin-Bronzen dürften im Humboldt Forum, wo die | |
ethnologischen Ausstellungen im September eröffnen sollen, aus ethischen | |
Gründen gar nicht mehr gezeigt werden. Doch war die Überraschung groß, als | |
der Chef des Humboldt Forums, [3][Helmut Dorgerloh, vor einigen Wochen | |
sagte], er erwarte eine Entscheidung über Rückgaben noch vor September. War | |
dies die lange erwartete Ankündigung? | |
Dorgerloh hat dies gar nicht zu entscheiden. Dennoch ist die Frage nun | |
wieder in aller Munde – und von den Museen über Staatsministerin Grütters | |
bis zum Außenminister werden (neue) Antworten verlangt. Der Hamburger | |
Historiker Jürgen Zimmerer nannte die Lage in Anspielung an den berühmten | |
Versprecher am Abend des Mauerfalls den „Schabowski-Moment der deutschen | |
Restitutionsdebatte“. | |
Auch bei der SPK weiß man, dass es so wie bisher nicht weitergeht. Heute | |
sagt Parzinger, die SPK habe „wiederholt ihre Bereitschaft zu | |
substantiellen Rückgaben bekundet“. Was das genau bedeute, müsse im Dialog | |
mit den Nigerianern geklärt werden, „um deren Wünschen und Zielen | |
angemessen Rechnung zu tragen“. Gleichzeitig beharrt er darauf, dass | |
Benin-Bronzen zunächst im Humboldt Forum gezeigt werden. | |
Rund die Hälfte der Berliner Benin-Objekte soll im rekonstruierten Schloss | |
ausgestellt werden. Zwei Säle wird der Benin-Teil umfassen – einer davon, | |
und dies sei schon lange so geplant, werde sich nur mit der Geschichte der | |
kolonialen Zerstörung des Königreichs befassen und mit der „Verstreuung der | |
königlichen und historischen Kunstwerke über die ganze Welt“, sagte der | |
Kurator der Benin-Ausstellung, der Kunsthistoriker Jonathan Fine vom | |
Ethnologischen Museum, der taz. Auch er findet, man müsse die Bronzen in | |
Berlin ausstellen: „Gerade weil man sie zurückgeben wird, muss man sie | |
jetzt zeigen, um die Thematik für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ | |
Tatsächlich könnte dies für die SPK, das Humboldt Forum und andere Museen | |
mit Benin-Bronzen der Ausweg sein, um ohne Gesichtsverlust die jahrelange | |
Debatte zu beenden: ein umfassendes und verbindliches Rückgabeangebot, | |
verbunden mit dem Wunsch, die zu Unrecht in Besitz genommenen Objekte noch | |
einmal hierzulande auszustellen. | |
Einen solchen Deal würden die Nigerianer wohl kaum ausschlagen. | |
28 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-Benin-Bronzen/!5764818 | |
[2] /Raubkunst-im-Humboldt-Forum/!5733565 | |
[3] /Raubkunst-in-Berlin/!5757043 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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