# taz.de -- Verlegung einer historischen Latrine: Sie ist gelandet | |
> Die altertümliche Latrine der Fischerinsel in Berlin-Mitte hat nun einen | |
> neues Zwischenlager. Für Berlin hat sie eine besondere Bedeutung. | |
Bild: Sie hängt an dicken Stahlketten und ist gut verpackt: Die mittelalterlic… | |
In der Baugrube auf der Fischerinsel in Berlin-Mitte stehen eine Handvoll | |
Männer, sie tragen Bauhelm und Warnweste. Einer aus der Gruppe zeigt auf | |
den quadratischen Kasten vor ihnen, dann ein zustimmendes Kopfschütteln, | |
und schließlich beginnt der Schwerlastkran zu arbeiten: die | |
mittelalterliche Toilette hebt ab. | |
Entdeckt wurde die Latrine 2016 bei archäologischen Ausgrabungen an der | |
Straße Fischerinsel. Weil hier 210 Mietwohnungen der | |
Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte entstehen sollen, wurde der Bauplatz | |
im Vorfeld auf geschichtsträchtige Funde untersucht. Historisch ist die | |
Toilette allemal, schließlich stammt sie vermutlich aus einem Haushalt des | |
14. Jahrhunderts. | |
Allerdings könnte die Latrine auf Laien kaum unspektakulärer wirken: Sie | |
besteht aus großformatigen Ziegelsteinen, die mit einer Seitenlänge von | |
knapp zwei Metern quadratisch angeordnet sind. So entsteht in der Mitte ein | |
schachtartiger Hohlraum, mit einer Tiefe von zwei Metern. | |
Trotz des schlichten Erscheinungsbildes sei eine Latrine durch Form und | |
Füllung unverkennbar, sagt Jens Henker, wissenschaftlicher Referent der | |
Bodendenkmalpflege des Landesdenkmalamts Berlin. Und man ahnt es, mit | |
Füllung ist der „klassische Latrineninhalt“ gemeint. Inklusive Hausmüll u… | |
Töpfen. Eben allem, was Menschen früher so entsorgen mussten. Entgegen der | |
heutigen Vorstellung einer Toilette fehle jedoch die Sitzmöglichkeit, da es | |
sich bei der Entdeckung lediglich um die Klärgrube handle, also den | |
unterirdischen Teil des altertümlichen Klos, erklärt Jens Henker. | |
## Ab 2023 ist die Latrine frei zugänglich | |
Damit die Bauarbeiten am Originalfundort weitergehen können, wurde die | |
Latrine am Mittwoch mit einem Schwerlastkran versetzt. Vorab haben | |
Restaurator*innen den Mörtel gefestigt und die Risse verfugt, um die | |
fragile Toilette für den Transport zu stabilisieren. Anschließend wurde die | |
Klärgrube verpackt, sodass sie bei der Kranaktion gar nicht sichtbar ist. | |
Ja, und da fliegt sie nun. An dicken Stahlketten hängend, folgt die Latrine | |
der 180-Grad-Drehung des Kranarms, überquert die Straße und wird auf der | |
gegenüberliegenden Seite langsam heruntergelassen. Der Höhenflug dauert | |
knappe fünf Minuten und endet in einem abgezäunten Bereich, wo die massive | |
Verpackungskonstruktion auf einer Stahlvorrichtung landet. An sich kein | |
sensationeller Anblick. Gerade in Berlin, wo ständig Bauarbeiten mit Kran | |
zugange sind – gleichzeitig hat die fliegende Toilette aus dem Mittelalter | |
eine Skurrilität an sich, die kaum zu leugnen ist. | |
Für Berlin hat die Latrine eine besondere Bedeutung. Nicht nur, weil es | |
außergewöhnlich sei, dass sie komplett erhalten ist, so Christoph Rauhut, | |
Landeskonservator des Landesdenkmalamtes. Sondern auch, weil sie eines der | |
ältesten Ziegelbauwerke Berlins sei. Dazu kommt, dass die Ziegelsteine als | |
Anzeichen für die zunehmende wirtschaftliche Konsolidierung Berlins gelten, | |
da damals zumeist mit Holz gebaut wurde. | |
Bis der Wohnungskomplex auf dem Originalfundort 2023 fertiggestellt ist, | |
wird die Latrine verpackt an ihrem Zwischenlager an der Straße Fischerinsel | |
verweilen. Nach Abschluss der Neubauarbeiten wird die historische Toilette | |
dann – geschützt durch einen Pavillon – von allen frei zugänglich | |
begutachtet werden können. Wir müssen uns also noch gedulden, bis wir | |
einen Blick auf das stille Örtchen werfen können. Bis dahin muss die | |
verpackte Version des historischen Klos genügen. | |
28 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Jacqueline Dinser | |
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