| # taz.de -- Debatte über Berufsverbote für Rechte: Der Staat und seine Radika… | |
| > 50 Jahre Radikalenerlass und Extremisten im Staatsdienst: Berufsverbote | |
| > sind auch fragwürdig, wenn sie sich gegen rechts richten. | |
| Bild: Fordern einen Schlussstrich: Opfer des Radikalenerlasses | |
| Hamburg taz | Sie hat für NPD-Feste Kuchen gebacken, eine kleine nationale | |
| Frauengruppe geführt und ihre Kinder bei der inzwischen verbotenen | |
| „Heimattreuen Deutschen Jugend“ untergebracht. Und Birkhild T. hat nicht | |
| nur ihre eigenen fünf Kinder erzogen, sondern auch die in der Kita am | |
| Marienplatz in Lüneburg. [1][Nach dem Bekanntwerden ihrer Aktivitäten und | |
| anhaltenden Elternprotesten stellte die Stadt die Kindergärtnerin zunächst | |
| frei], um das Arbeitsverhältnis schließlich ganz zu beenden. | |
| Diese Geschichte ist einige Jahre her, wirft aber ein Licht auf die | |
| aktuelle Debatte um Rechtsextremisten im Staatsdienst. Wie umgehen mit | |
| Lehrern, Polizisten oder Richtern, die diesen Staat ablehnen – die seine | |
| Existenz leugnen oder einen Teil der Bevölkerung am liebsten an die Wand | |
| stellen würden? | |
| Vor 50 Jahren haben die Regierungschefs der Länder zusammen mit dem | |
| damaligen SPD-Kanzler Willy Brandt mit dem Extremistenbeschluss reagiert, | |
| gemeinhin Radikalenerlass genannt: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, | |
| sollte gewährleisten, „dass er jederzeit für die freiheitliche | |
| demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Dafür habe | |
| er sich „aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes“ einzusetzen. | |
| Um das sicherzustellen, richteten die Behörden eine sogenannte Regelanfrage | |
| an den Verfassungsschutz. Der prüfte dann, ob der Bewerber einer | |
| Organisation mit verfassungsfeindlichen Zielen angehört oder solche Ziele | |
| verfolgt. Bei Beamten, die als verfassungsfeindlich eingestuft wurden, | |
| hatte der Dienstherr „die gebotenen Konsequenzen zu ziehen und insbesondere | |
| zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist“. | |
| Wie aus [2][einem Antrag von SPD und Grünen im Niedersächsischen Landtag] | |
| hervorgeht, hat der Verfassungsschutz auf Basis des Erlasses bundesweit 3,5 | |
| Millionen Bewerber auf ihre Zuverlässigkeit hin durchleuchtet. Der | |
| Geheimdienst fertigte 35.000 Dossiers über Andersdenkende an. Die Behörden | |
| setzten 11.000 Berufsverbotsverfahren in Gang. 2.200 Beamte und Angestellte | |
| wurden mit Disziplinarverfahren überzogen, 265 entlassen. 1.250 Bewerber | |
| wurden abgelehnt. | |
| Der Radikalenerlass führte faktisch zu einem [3][Berufsverbot für Hunderte | |
| von Menschen, die Lehrer, Sozialarbeiter, Lokführer oder auch „]bloß“ | |
| Briefträger werden wollten. Opfer wurden fast ausschließlich Linke, wie | |
| Jutta Rübke festgestellt hat, die die Folgen des Erlasses im Auftrag des | |
| Niedersächsischen Landtages aufgearbeitet hat. „Wir wissen von drei | |
| Berufsverboten aufgrund rechtsextremer Aktivitäten“, sagte sie der taz in | |
| einem Interview. Das Ungleichgewicht sei „der hysterischen Angst vor dem | |
| Kommunismus geschuldet“ gewesen. | |
| ## Linke schärfer kontrolliert | |
| Auch ein [4][Forschungsprojekt der Universität Heidelberg zum | |
| Radikalenerlass in Baden-Württemberg] stellte fest, dass Linke weitaus | |
| häufiger überprüft wurden als Rechte. Das Gleiche gilt für Hamburg, wie | |
| Alexander Jaeger in ihrer Dissertation „Auf der Suche nach | |
| ‚Verfassungsfeinden‘“ 2019 feststellte. | |
| Viele Angestellte oder Beamte wurden einfach nur deshalb verfolgt, [5][weil | |
| sie bei Wahlen für die DKP kandidierten, so wie etwa die Lehrerin Dorothea | |
| Vogt] aus dem Emsland. 1995 hat der Europäische Gerichtshof für | |
| Menschenrechte geurteilt, dass die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Fall | |
| gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen hat. | |
| Zwar habe ein demokratischer Staat das Recht, von seinen Beamten die Treue | |
| zu den den Staat begründenden Verfassungsgrundsätzen zu verlangen. Vogts | |
| Entlassung aus dem Gymnasialdienst habe jedoch „als | |
| Disziplinarstrafmaßnahme in keinem Verhältnis zu dem verfolgten | |
| berechtigten Ziel“ gestanden. | |
| Trotz dieses Urteils musste der linke Lehrer Michael Csaszkoczy noch in den | |
| Nullerjahren um eine Einstellung in Baden-Württemberg und Hessen kämpfen. | |
| Csaszkoczy gehört der Antifaschistischen Initiative Heidelberg an. Die | |
| Gruppe steht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das Darmstädter | |
| Verwaltungsgericht stellte fest, ein pauschaler Verdacht auf fehlende | |
| Verfassungstreue genüge nicht, um die Anstellung abzulehnen. Es wäre eine | |
| Einzelfallprüfung notwendig gewesen, die in dieser Form nicht stattgefunden | |
| habe. | |
| ## Verbeamtete Reichsbürger | |
| Angesichts der sich häufenden Anschläge von Rechtsextremisten und der | |
| Etablierung der AfD in den Parlamenten ist der Debatten-Fokus nach rechts | |
| gerutscht. Ins Auge springende Fälle betreffen etwa die Inkompatibilität | |
| der Amtsausübung als Polizist mit dem Denken selbst erklärter Reichsbürger. | |
| So hat etwa das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im April entschieden, dass | |
| die Entlassung einer Polizistin aus dem Beamtenverhältnis rechtens war. | |
| Wie die taz berichtete, hatte die Frau einen sogenannten | |
| Staatsangehörigenausweis beantragt und sich dabei als Bürgerin des | |
| „Königreichs Preußen“ bezeichnet. Reichsbürger verwenden den | |
| „Staatsangehörigenausweis“, weil sie Personalausweis und Reisepass als | |
| Symbole der Bundesrepublik ablehnen. Die bloße Mitgliedschaft in einer | |
| extremen Partei sei dagegen nicht mit dem Beamtenstatus unvereinbar, ergab | |
| eine Prüfung, die [6][der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) | |
| 2019 in Auftrag gab]. Entscheidend sei vielmehr das „konkrete Verhalten“. | |
| Der Auslöser für die Prüfung war die AfD, die der Verfassungsschutz als | |
| Prüffall eingestuft hatte. Ihren inzwischen offiziell aufgelösten „Flügel�… | |
| um den Lehrer Björn Höcke und die Parteijugend Junge Alternative führt der | |
| Geheimdienst sogar als Verdachtsfälle, weil es „gewichtige Hinweise“ auf | |
| extremistische Bestrebungen gebe, was sich später verdichtete. Die Beamten | |
| unter den Flügel-Mitgliedern standen seitdem unter Druck. So erklärte der | |
| thüringische Innenminister Georg Maier, dass „im Einzelfall | |
| disziplinarische Maßnahmen“ geprüft würden. | |
| Der Berliner Senat ist mit seinem im vergangenen Jahr verkündeten | |
| [7][11-Punkte-Plan gegen Extremismus in der Polizei] noch weiter gegangen. | |
| Bei Bewerbern für den Polizeidienst sollte der Verfassungsschutz gefragt | |
| werden, ob etwas gegen sie vorliege. Das sollte nach zehn oder 15 Jahren | |
| oder bei Beförderungen wiederholt werden. Das sieht ganz nach einer | |
| Regelanfrage aus. Eine Parallele zum Radikalenerlass von 1972 wollte der | |
| damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf Nachfrage der taz trotzdem | |
| nicht sehen. | |
| Angesichts der Praxis der Vergangenheit ist Antifaschist Csaszkóczy | |
| skeptisch. In der taz warnte er davor, „einen neuen Radikalenerlass zu | |
| etablieren, der sich – selbstverständlich – gegen rechts wie links“ rich… | |
| soll. Auf eine Regelanfrage wäre der Verfassungsschutz seiner Einschätzung | |
| nach nicht angewiesen: Er sei personell und logistisch so aufgestellt, dass | |
| er sie kaum noch benötigen dürfte. | |
| Überdies würden die bestehenden Regeln mit Blick auf immer wieder | |
| öffentlich bekannt gewordene Neonazis in Polizei, Bundeswehr und Justiz so | |
| gut wie nie angewandt. „Von einem Berufsverbotsverfahren gegen den | |
| Gymnasiallehrer Björn Höcke ist bislang nichts bekannt“, schreibt | |
| Csaszkóczy. | |
| Im Fall der Lüneburger Kindergärtnerin Birkhild T. machten die Eltern | |
| Druck, nachdem die taz ihre Verankerung in der rechten Szene bekannt | |
| gemacht hatte. Zwar war der Kita-Leiterin nach eigener Aussage nichts am | |
| Verhalten ihrer Mitarbeiterin aufgefallen und die Frau hatte vor dem | |
| Arbeitsgericht erfolgreich gegen eine Versetzung in die Tagespflege | |
| geklagt. | |
| Doch die Eltern streikten und drohten, einen eigenen Kindergarten zu | |
| gründen. Schließlich zeigte sich Birghild T. bereit, einen | |
| Auflösungsvertrag zu unterzeichnen. „Ich glaube, wir haben auch ein Signal | |
| gesetzt“, sagte der Sprecher der Elterninitiative. | |
| 26 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kindertagesstaette-in-Lueneburg/!5063988 | |
| [2] https://www.nilas.niedersachsen.de/starweb/NILAS/servlet.starweb?path=NILAS… | |
| [3] https://astarchiv.ulb.tu-darmstadt.de/3141/1/3141.pdf | |
| [4] https://radikalenerlassbawuede.com/page/3/ | |
| [5] https://demokratie.niedersachsen.de/startseite/news/aktuelles_archiv/berufs… | |
| [6] /AfD-Mitgliedschaft-von-Beamten/!5583998 | |
| [7] /Massnahmenpaket-in-Berlin/!5700195 | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
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