| # taz.de -- Debatte über Atomkraft in Deutschland: Keine Frage des Alters | |
| > Steckt hinter der hitzigen Debatte um längere AKW-Laufzeiten ein | |
| > Generationenkonflikt? Wer das behauptet, lenkt vom eigentlichen | |
| > politischen Streit ab. | |
| Bild: Wird derzeit ähnlich kontrovers wie Atomkraft diskutiert: die Gas-Frage,… | |
| Die deutschen Atomkraftwerke sind [1][immer für Aufregung] gut – auch wenn | |
| ihr Ende seit vielen Jahren besiegelt ist. [2][Die aktuelle Gaskrise] hat | |
| die Debatte wieder entfacht: Vor allem geht es darum, ob die drei | |
| verbliebenen alten Meiler noch weiterlaufen sollen, statt wie geplant zum | |
| Jahresende vom Netz zu gehen. | |
| Auch die Umweltbewegung diskutiert. Fürchtete man sich in den 80er Jahren | |
| vielleicht am meisten vor dem Atomkrieg, liefert jetzt die Klimakrise | |
| permanent [3][Grund für Angstattacken]. | |
| Die Tendenz des Diskurses ist klar: Es wird noch viel schlimmer. Nehmen die | |
| jungen und davon besonders betroffenen Generationen also die vielen Risiken | |
| der Atomkraft eher in Kauf – solange sie nur wenig CO2 verursacht? Das | |
| greifen auch manche Medien auf. Die Welt titelt: „Junge Menschen und | |
| Atomkraft? ‚Bedenken haben an Priorität verloren‘“. Der Bayerische Rundf… | |
| überschreibt eine Analyse mit „AKW-Laufzeiten: Ein grüner | |
| Generationenkonflikt?“. | |
| ## Streckbetrieb und Prinzipien | |
| Einzelne Beispiele zu finden, die das zu illustrieren scheinen, ist nicht | |
| schwer. „Ich habe fast 50 Jahre für den Ausstieg aus der Atomkraft | |
| gekämpft“, schreibt der 72-jährige Umwelt- und Friedensaktivist Michael | |
| Schroeren, der aktuell die Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung | |
| [4][Klimaneutralität] leitet und bis 2017 Pressesprecher im | |
| Bundesumweltministerium war. „Jetzt, kurz bevor die letzten vom Netz gehen, | |
| lass ich mir den Erfolg nicht klauen – weder von Putin noch von Markus | |
| Söder, Christian Lindner oder Friedrich Merz.“ | |
| Ein klares Nein zur Laufzeitverlängerung also – selbst wenn es nur ein paar | |
| Wochen sein sollten, in denen noch das letzte bisschen Uran aus den | |
| Brennelementen aufgebraucht wird. Die 26-jährige Klimaaktivistin Luisa | |
| Neubauer von der Klimabewegung Fridays For Future hingegen, hält eine | |
| solche begrenzte Laufzeitverlängerung zumindest für akzeptabel. | |
| Der sogenannte Streckbetrieb mit alten Brennstäben „wäre ein Provisorium | |
| und keine grundlegende Weichenstellung“, sagte sie dem Tagesspiegel. Darin | |
| sehe sie kein Problem. | |
| ## Missverständnisse | |
| Als der ARD-Deutschlandtrend vor gut einem Monat nach Meinungen zu einer | |
| AKW-Laufzeitverlängerung fragte, zeigten sich allerdings keine | |
| Altersunterschiede. Und auch Luisa Neubauer hielt im Tagesspiegel kein | |
| flammendes Plädoyer dafür, den alten Atommeilern doch endlich mehr Zeit zu | |
| schenken. Stattdessen bezweifelte sie, dass eine solche Maßnahme überhaupt | |
| etwas nützen werde. Schließlich liefern die deutschen AKWs nur Strom und | |
| helfen nicht beim Hauptproblem der Gaskrise: dem Heizen. | |
| Wenn, dann lässt sich vielleicht ein Unterschied im Tonfall erkennen, der | |
| bei den jungen Klimaschützer:innen einen Tick pragmatischer erscheint. | |
| Inhaltlich sind sie nicht weit weg von den alteingesessenen | |
| Atomkraftgegner:innen, die heute wie Michael Schroeren ja oft Teil der | |
| Klimabewegung sind. Auch er sorgt sich wohl eher nicht darum, ob die drei | |
| verbleibenden Atomkraftwerke nun ein paar Tage mehr oder weniger laufen. | |
| Die Angst ist eher, dass jegliches Rütteln am Ausstiegsdatum auch eine | |
| Grundsatzdebatte nach sich ziehen würde – und der erstrittene Atomausstieg | |
| von Konservativen und Neoliberalen rückgängig gemacht wird. „Liebe Luisa | |
| Neubauer, ich halte es für gefährlich zu glauben, dass ein Streckbetrieb | |
| ohne Laufzeitverlängerung über mehrere Jahre zu haben ist“, schrieb der | |
| 58-jährige Sascha Müller-Kraenner, Chef der Deutschen Umwelthilfe, auf | |
| Twitter. „Wenn wir die Tür für die Atomkraft nur einen Spalt aufmachen, | |
| geht sie für die Energiewende zu.“ | |
| ## Positionen, die altern | |
| Das Atomkraft gut fürs Klima sei, ist kein Punkt der jungen Klimabewegung – | |
| sondern der internationalen Atomlobby. Vor zehn Jahren noch stellte sie | |
| sich der Energiewende in den Weg, wo es nur ging. Im Zeitalter der | |
| Kohleausstiege und Gaskrisen wittert sie aber Morgenluft und inszeniert die | |
| Atomkraft als vernünftige Öko-Lösung, trotz des gigantischen | |
| Atommüllproblems und der hohen Kosten. | |
| Den Atomkraft-Clinch als Generationenkonflikt zu interpretieren hilft | |
| nicht. Denn so erscheint alles als normaler Gang der Dinge. Die Welt dreht | |
| sich weiter, Positionen werden alt, neue Positionen kommen, Eltern und | |
| Kinder streiten. Diese Sicht legt nahe, dass schon alles irgendwie immer | |
| besser wird, eben mit der Zeit geht. Das kann aber gefährlich werden, vor | |
| allem mit Blick auf Fragen, die nicht so rückwärtsgewandt sind wie die nach | |
| der Atomkraft. | |
| Dabei wäre es doch so schön, sich bei der Klimakrise darauf zu verlassen, | |
| dass die jungen Generationen das Ganze schon richten werden. Die jungen | |
| Klimaschutz-Rebell:innen würden die konsumbegeisterten | |
| Babyboomer:innen nach und nach in den Machtpositionen der Welt ablösen | |
| und den öko-sozialen Systemwechsel einfach mitbringen. | |
| Aber sind denn die Generationen Y und Z, wie Generationenkonfliktfans die | |
| heute Unter-40-Jährigen gern nennen, wirklich so? Tatsächlich haben sie zum | |
| Beispiel bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr überdurchschnittlich | |
| oft die Grünen gewählt, die mit dem detailliertesten Klimaprogramm an den | |
| Start gegangen sind. Sie haben aber auch besonders oft die FDP mit ihrem | |
| Klimaprogramm aus Wolkenkuckucksheim gewählt, die seit ihrer | |
| Regierungsbeteiligung nicht ganz unerwartet alles ausbremst, was mit der | |
| Rettung des Planeten zu tun hat. Bei den 18- bis 24-Jährigen, den jüngsten | |
| Wähler:innen, war dieser Spagat stark ausgeprägt, beide Parteien schnitten | |
| deutlich vor allen anderen ab und waren in keiner anderen Altersgruppe | |
| erfolgreicher. | |
| Wie wir leben wollen, entscheidet nicht der Lauf der Generationen. Es ist | |
| und bleibt ein mühsamer politischer Streit. | |
| 2 Aug 2022 | |
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| Susanne Schwarz | |
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