| # taz.de -- Corona-Talk mit Schirach und Kluge: Das Strahlende und das Schreckl… | |
| > Alexander Kluge und Ferdinand von Schirach verabredeten sich zum Reden | |
| > über die Corona-Pandemie. Nun erscheint ihr Dialog „Trotzdem“ als E-Book. | |
| Bild: „Welche Sterne werden wir nach der Pandemie sehen?“ | |
| „Das Grundgesetz schützt das Leben nicht um jeden Preis,“ sagt Ferdinand | |
| von Schirach im Gespräch mit Alexander Kluge. Die beiden – Schirach, Jurist | |
| und Schriftsteller, Kluge Filmemacher, Autor, Anwalt und Philosoph – | |
| verabredeten sich Ende März über einen Instant-Messaging-Dienst zu zwei | |
| Gesprächen über die [1][Coronapandemie und deren Folgen]. Ihr Dialog liegt | |
| ab jetzt als E-Book vor, mit dem 11. Mai auch gedruckt, Titel „Trotzdem“ | |
| (Luchterhand Verlag). | |
| Ihre Unterhaltung kreist um [2][die Pandemien in der Geschichte], | |
| kulturelle Verarbeitungen sowie staatstheoretische Überlegungen. Als Kluge | |
| und von Schirach miteinander sprachen, Ende März, stand die deutsche | |
| Gesellschaft noch weitgehend unter Schock, dystopisch anmutende Bilder wie | |
| aus Norditalien wollte man so hier in Deutschland nicht produzieren. | |
| Der britische Premier [3][Boris Johnson war damals das Sinnbild für | |
| chauvinistischen Leichtsinn], partikularen Egoismus und laute Phrasen. Er | |
| landete auf der Intensivstation. Danach folgte auch Großbritannien den | |
| Geboten der Vernunft. | |
| ## Trügerische Dogmen | |
| Das Bild des schwer kranken Premiers vertrieb jenes der falschen Utopie | |
| einer von Globalisierung und Pandemie angeblich unbeeindruckten Insel. | |
| Utopien als festgezurrte dogmatische Vorstellungen sind zumeist trügerisch. | |
| Sie markieren zugespitzte Hoffnungen, sind jedoch oft widerspruchsfrei und | |
| wenig alltagstauglich. | |
| Nun können wir aber nicht ohne Vorstellungen und Wünsche über das schnöde | |
| Dasein hinaus befriedigend leben und existieren. Aber bei falscher Abwägung | |
| landet man auf der Intensivstation, wie Boris Johnson. Doch so leicht ist | |
| es nicht. Jede Person kann die Pandemie ereilen, auch wenn sie die | |
| Ratschläge von Politik und Wissenschaft befolgt. Das macht die Sache so | |
| unübersichtlich und wirft rasch Fragen nach der Verhältnismäßigkeit der | |
| Mittel auf. Denn, „das Grundgesetz schützt das Leben nicht um jeden Preis“. | |
| Sonst gäbe es nicht einmal den Autoverkehr. | |
| Der Berliner Virologe Christian Drosten stellte zu Beginn der | |
| Corona-Debatte in Deutschland fest, dass, sollten die strikten staatlichen | |
| Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie erfolgreich sein, es viele kaum | |
| danken würden. Was der Mensch nicht unmittelbar erlebt, das existiert für | |
| ihn oft nicht. Bei Erfolg – niedrigen Pandemie-Zahlen – beginnen viele über | |
| die Einschränkungen zu murren. | |
| Theoretiker wie Agamben, Sloterdijk oder Žižek bedienen bürgerliche | |
| Unzufriedene. Die Bilder der für den Abtransport der Leichen in Norditalien | |
| bereit gestellten Militärlastwagen beginnen hinter dem frischen | |
| Fühlingsgrün zu verschwinden. Statt aufgereihter weißer Kühllaster für die | |
| Toten in New York will man wieder sich öffnende Eisdiele sehen. | |
| „Meine Erfahrung aus der DDR sagt mir, dass mir niemand vorschreibt, wie | |
| ich mich benehmen muss“, sagt der [4][ehemalige Volksbühnen-Chef Frank | |
| Castorf] im Gespräch mit Spiegel+. Er will nicht Abstand an der | |
| Fleischtheke halten und sich auch nicht die Hände waschen müssen. | |
| Von der Kanzlerin mit dem „weinerlichen Gesicht“ will er gleich gar nichts | |
| wissen. An der Spitze des heutigen Deutschlands stünden ohnehin nur | |
| Politiker, „deren Inkompetenz allen klar ist“. Das Theater hingegen, es sei | |
| „dafür da, daran zu erinnern, dass wir den Tod nicht abschaffen können“. | |
| Bei nur 6.000 Coronatoten in Deutschland und geschlossenem Bühnenbetrieb | |
| kann einer wie Castorf ganz schön pampig werden. | |
| Und sich fragen, ob Männer wie Trump oder Putin nicht doch die bessere | |
| Politik repräsentieren. Der Sound der Querfront. | |
| Von Schirach interpretiert die Kanzlerin entgegengesetzt. Er schätzt an | |
| ihr, dass „sie als ehemalige Bürgerin der DDR weiß, was diese staatlichen | |
| Beschränkungen bedeuten“. Und er sieht „ihr Ringen um das richtige Maß“, | |
| hebt ihre Appelle an die Freiwilligkeit der BürgerInnen hervor. | |
| „Aus der Katastrophe erwächst etwas Neues“, könnte man mit Kluge Wutbürg… | |
| wie Castorf entgegnen. | |
| Und auf den Zusammenhang von Dystopie und Utopie verweisen, um hier mit | |
| Dante nach Kluge zu enden: „In der ‚Göttlichen Komödie‘ von Dante | |
| Alighieri, heißt es am Schluss, wenn Vergil und Dante die Hölle wieder | |
| verlassen: ‚Und wir entstiegen aus der engen Mündung / Und traten vor zum | |
| Wiedersehn der Sterne.‘ “ Und mit Kluge fragen: „Welche Sterne werden wir | |
| nach der Pandemie sehen?“ | |
| 1 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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