# taz.de -- Christian Ströbele zum Ukrainekrieg: „Man muss Putin alles zutra… | |
> Christian Ströbele, langjähriger Grünen-Abgeordneter, warnte oft vor | |
> Aufrüstung, unterstützte bewaffnete Befreiungsbewegungen. Was sagt er | |
> jetzt? | |
Bild: „Schwere Waffen jetzt“: Demonstration zum Ukrainekrieg Mitte April in… | |
taz: Christian Ströbele, wie war deine Reaktion auf Wladimir Putins | |
Einmarsch in der Ukraine? | |
Christian Ströbele: Ich war schockiert. Ich ging fest davon aus, dass Putin | |
die russischen Truppen nicht die Ukraine angreifen lässt. Nicht weil ich | |
ihn für einen Ehrenmann gehalten hätte, sondern weil ich dachte, er ist ein | |
schlauer Fuchs und begeht keine solche kolossale Dummheit wie diesen | |
Angriffskrieg. | |
Worin siehst du seine Dummheit? | |
Putin kann sich möglicherweise militärisch durchsetzen, aber nur mit | |
enormen Kosten. Wenn es zutreffend ist, dass schon über 15.000 russische | |
Soldaten bei seiner „Spezialoperation“ umgekommen sind, das muss er erst | |
mal den Russinnen und Russen erklären. Und ich hätte es auch nicht für | |
möglich gehalten, dass er reihenweise Staatsoberhäupter, vor allem aus dem | |
Westen, empfängt, bis hin zum US-Präsidenten Joe Biden, und sie derart | |
unverschämt anlügt. | |
Putin kommt aus dem sowjetischen Geheimdienst KGB, von Agenten kann man | |
doch nicht die Wahrheit und nichts als die Wahrheit erwarten. | |
Putin hat jede Glaubwürdigkeit und jedes Vertrauen verspielt. | |
Unwiderruflich. Ich dachte, er droht bis zuletzt, aber lässt seine Truppen | |
nicht einmarschieren. | |
2001 sprach Putin als erster russischer Präsident vor dem Deutschen | |
Bundestag. Du warst damals Abgeordneter der Grünen. Wie hast du ihn und | |
seine Rede in Erinnerung? | |
Er [1][sprach deutsch], was der Kommunikation förderlich war. Und Putin | |
machte ein positives Angebot, gemeinsam für Frieden und Sicherheit in | |
Europa zu sorgen. Das war doch die Erwartung von vielen nach dem Fall der | |
Mauer, nach dem Ende des Kalten Krieges, dass die atomare Konfrontation | |
abgebaut wird, dass man keine hochgerüsteten Armeen mehr braucht. | |
Wie reagierten die Abgeordneten auf Putins Rede? | |
Der Plenarsaal war voll wie sonst selten. Alle sprangen auf, klatschten, es | |
gab Standing Ovations. Ich fand das völlig daneben und blieb sitzen. | |
Warum das? | |
Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass man ihm seine Sünden nicht | |
einfach nachsehen kann. Er kam vom KGB und hatte da wohl schon einige | |
schmutzige Dinge getan. Und er hatte schon brutal Krieg geführt, nicht in | |
Europa, aber in Tschetschenien. Er hatte Grosny in Schutt und Asche bomben | |
lassen. | |
Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei, das waren die Säulen, | |
auf denen die Grünen Anfang 1980 gegründet wurden, Petra Kelly war eine | |
ganz große Pazifistin. Nie wieder Krieg; Frieden schaffen ohne Waffen; | |
Schwerter zu Pflugscharen. Das hätte die Mehrheit der Grünen sofort | |
unterschrieben. Heute will die Außenministerin Annalena Baerbock in der | |
Ukraine Frieden schaffen mit schweren Waffen. Wie konnte es zu einer | |
derartigen Verkehrung der politischen Positionen bei den Grünen kommen? | |
Das Grauen dieses Krieges in der Ukraine hat diesen Positionswechsel | |
bewirkt. [2][Petra Kelly] war Pazifistin, es gab viele damals bei den | |
Grünen. Ich persönlich war und bin kein Pazifist, das muss ich immer wieder | |
betonen. | |
Hat die Parteispitze sich nicht, um auf Bundesebene regierungsfähig zu | |
werden, auch militärpolitisch dem Mainstream angepasst? Die von Baerbock | |
und Habeck im letzten Wahlkampf geforderten Treueschwüre zur Nato sprachen | |
doch für sich. | |
Der letzte Streit, den ich in meiner Partei hatte, drehte sich bei der | |
Erstellung des Programms zur Bundestagswahl um die Frage, ob die Bundeswehr | |
bewaffnete Drohnen bekommen soll, Killerdrohnen, wie ich sie nenne. Ich war | |
heftig dagegen, weil ich wusste, wie die Amerikaner in Afghanistan, Somalia | |
oder im Irak schätzungsweise Tausende Menschen mit ihnen umgebracht haben, | |
Islamisten, aber auch viele Zivilisten. Die Position des Vorstandes, für | |
die Anschaffung dieser Drohnen, wurde von Jürgen Trittin vertreten. Es gab | |
eine Kampfabstimmung, mit knapper Mehrheit wurde die Anschaffung von | |
Killerdrohnen grundsätzlich gebilligt. | |
Kanzler Scholz hat in seiner Rede über die Wende zur Aufrüstung verkündet, | |
dass solche Drohnen jetzt in Israel gekauft würden. | |
Seit dem 24. Februar, seit dem Einmarsch der russischen Truppen in der | |
Ukraine, ist alles anders. Der Angriff auf die Ukraine, die Zerstörung des | |
Landes, hat uns alle in Angst und Schrecken versetzt. Ich habe mich auch | |
für die Lieferung defensiver Waffen an die Ukraine ausgesprochen. | |
Inzwischen geht es um die Lieferung von Panzern, Artilleriegeschützen und | |
Kampfjets. | |
Das sollte nicht geschehen. Da bin ich dagegen, schon weil Putin dies als | |
Vorwand nehmen könnte, Deutschland und andere Nato-Länder, deren | |
Regierungen schwere Angriffswaffen wie Panzer liefern, als Kriegspartei | |
anzusehen und anzugreifen. Das wäre der Weltkrieg. | |
Du hast betont, dass du kein Pazifist bist und warst. Du hast bei der | |
Bundeswehr gedient und als Kanonier einen Preis für gutes Schießen bei der | |
Flugabwehr gewonnen. Aber als die Bundeswehr sich am Nato-Angriff auf | |
Serbien beteiligte, sagtest du am 25. März 1999 im Bundestag in Bonn: „Ich | |
verstehe meine Fraktion nicht, die für mehr Frieden in der Welt angetreten | |
ist, die eine Friedenspolitik machen will – sie setzt sich hier hin und ist | |
damit einverstanden, dass – wenn von deutschem Boden nach 54 Jahren wieder | |
Krieg ausgeht – darüber hier nicht einmal geredet wird.“ Ich erinnere mich, | |
dass du zutiefst erschüttert warst. | |
Ja, das war ich. Die Bundesregierung mit Joschka Fischer als grünem | |
Außenminister war für die Beteiligung an diesem Krieg. Der Bundestag hatte | |
ein halbes Jahr zuvor schon dafür gestimmt. In der Nacht hatte die Nato | |
angegriffen, und die PDS, die Ostvorgängerin der Linken, wollte es auf die | |
Tagesordnung setzen, aber der Antrag war abgelehnt worden. Ich bin im | |
Bundestag nach vorne gegangen, vorbei an den Reihen der Grünen, meiner | |
Fraktion, von denen mich einige mit eisigen Mienen anstarrten. Ich habe die | |
kurze Rede gehalten, aus der du zitiert hast. Der Bundestagspräsident | |
Wolfgang Thierse von der SPD hat mich anständigerweise reden lassen. | |
Schon damals unterstützte die komplette Bundestagsfraktion der Grünen, von | |
dir abgesehen, eine Beteiligung der Bundeswehr an einem Nato-Einsatz ohne | |
UN-Mandat und ohne Kriegserklärung. Nach diesem Sündenfall scheinen die | |
heutigen Bekenntnisse der Grünen zur Nato und die Forderung nach Aufrüstung | |
und Lieferung von schweren Waffen in ein Kriegsgebiet nur eine konsequente | |
Weiterentwicklung, oder? | |
Ja, die entscheidende Frage ist: Wo zieht man die Grenze? Ich war | |
allerdings immer der Meinung, dass Befreiungsbewegungen im globalen Süden | |
das Recht haben, mit Waffen gegen Unterdrückung und für ihre | |
Selbstbestimmung zu kämpfen. Und dass Länder, die militärisch angegriffen | |
werden, natürlich das Recht haben, sich zu verteidigen. | |
Von 1980 bis 1992 sammelte die taz unter dem Stichwort „[3][Waffen für El | |
Salvador]“ mehr als 4,7 Millionen Mark, die an mehrere Guerillagruppen im | |
mittelamerikanischen El Salvador übergeben wurden. Damit diese das | |
grausame, von den USA unterstützte Militärregime zu Fall bringen konnten. | |
Es gab harte Debatten in der taz. Du warst einer der Initiatoren der | |
Aktion. Wie siehst du sie heute? | |
Ich finde das noch immer richtig. Es war damals unzweifelhaft, dass in El | |
Salvador ein Volk mit grausamsten Mitteln von einem rechten Regime | |
unterdrückt wurde. Der Auslöser war dann der Mord an Erzbischof Romero im | |
März 1980, der sich für die Rechte der Bauern einsetzte. Er wurde während | |
einer Messe vor dem Altar von einem Militär erschossen. Inzwischen wurde er | |
vom Papst „heilig“ gesprochen. Ich war selbst in El Salvador und habe mich | |
während des Bürgerkrieges und danach vor Ort kundig gemacht. Schrecklich | |
ist natürlich, dass El Salvador heute das Land mit der höchsten Mordrate | |
der Welt ist. | |
El Salvador gehört zu den Ländern, bei denen bundesdeutsche Linke sich mit | |
Befreiungsbewegungen oder kommunistischen Regierungen solidarisiert und sie | |
unterstützt haben, die sich dann zu üblen Diktaturen entwickelt haben. Ich | |
denke an China, Vietnam, Kambodscha, Simbabwe, Angola, Nicaragua. Da werden | |
die Pressefreiheit und die Menschenrechte heute mit Füßen getreten. Ist das | |
nicht auch ein Argument für Pazifismus? | |
Mit Abstand am wichtigsten für die radikale Linke war der Krieg in Vietnam, | |
während dem der U.S.-Airforce-General Westmoreland den Vietnamesen drohte, | |
sie in die Steinzeit zurückzubomben, und zwei Millionen Menschen durch | |
US-Bomben starben. Ich habe damals zusammen mit einem Anwaltskollegen | |
[4][Geld für den Vietcong] gesammelt und es zu deren Botschaft nach | |
Ostberlin gebracht. Dazu stehe ich noch heute. Das würde ich so wieder | |
machen. Allerdings ist es leider so: Wenn man ein Volk dabei unterstützt, | |
seine Unabhängigkeit und Rechte zu erkämpfen, hat man keine Garantie dafür, | |
dass anschließend dort demokratische Zustände einkehren. | |
Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, aber auch Ralf Fücks, | |
Reinhard Bütikofer und andere Grüne gehörten in den 1970er Jahren dem | |
maoistischen Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) an, der | |
Massenmördern wie Idi Amin in Uganda oder Pol Pot in Kambodscha huldigte. | |
Waren die Achtundsechziger nicht furchtbar naiv? | |
Das ist stark übertrieben. Nicht Die 68er. Sicher gab es diese | |
kommunistischen Kleinparteien, aber das waren vielleicht ein Prozent der | |
APO und der Bewegung der sechziger Jahre. | |
Bei den Grünen kamen die aber wieder an, weil sie eine Partei brauchten und | |
mit ihren Parteien keinen Erfolg hatten. Die Maoisten konnten sich immer | |
auf den berühmten Satz von Mao berufen „Die politische Macht kommt aus den | |
Gewehrläufen“. Und die Linke pflegte generell einen Kult des bewaffneten | |
Kampfs: die Pariser Kommune, der Spanische Bürgerkrieg, Fidel Castro und | |
Ché Guevara, Ho Chi Minh. Doch in den letzten Jahren wurde vom | |
„postheroischen Zeitalter“ gesprochen, in dem das Individuum sich nicht | |
mehr für ein größeres Ganzes opfert oder geopfert wird. Mit dem | |
Ukrainekrieg erleben wir die Bewunderung der Helden, die für das Vaterland | |
sterben, nationalistisches Pathos. Kommt das jetzt alles zurück? | |
Das ist zu befürchten. Ich halte es dennoch für richtig, dass eine | |
Gesellschaft sich gegen Gewalt, gegen Angriffe von außen und innen, gegen | |
Unterdrückung mit Waffengewalt wehren kann und auch wehrt. Du hast | |
Nicaragua erwähnt, ich kenne [5][Daniel Ortega], ich war mehrmals mit | |
Delegationen des Bundestags in Nicaragua. Dass jemand so wegdreht wie er, | |
zum blutigen Diktator wird, tja … Das ist offenbar leider menschlich, das | |
kommt leider vor. Dennoch war es richtig, Ortega und die Sandinisten in | |
ihrem bewaffneten Kampf gegen den Diktator Somoza zu unterstützen. | |
Wäre es dann nicht auch richtig gewesen, wie es der einstige Maoist und | |
Pol-Pot-Anhänger Ralf Fücks, später Grüner, schon seit etlichen Jahren | |
gefordert hat, der Ukraine Waffen zu liefern? | |
Nein. Nicht Panzer und schwerste Waffen. Solange ein Krieg nicht | |
unmittelbar bevorsteht, muss man vorrangig alles andere tun, als Waffen zu | |
liefern. Frieden schaffen ohne Waffen, heißt aktiv zu werden, bevor die | |
Waffen zum Einsatz kommen. Es hätte schon zur Kenntnis genommen werden | |
sollen, dass viele Russen sich nicht so ohne Weiteres mit dem Zerfall der | |
Sowjetunion abgefunden haben. Es hätte gesprochen werden müssen, eine | |
Konferenz nach der anderen, aber gerade im letzten halben Jahr vor den | |
angeblichen russischen Manövern kam doch vom Westen nichts mehr, keine | |
Initiative. Keine Verhandlungsvorschläge. | |
Die Bundesregierung hat auf Putins Angriff auf die Ukraine damit reagiert, | |
dass sie die alte US-Forderung erfüllen will, zwei Prozent des | |
Bruttosozialprodukts für Rüstung auszugeben. Findest du das richtig? | |
Nein. Wenn die Bundeswehr in so einem desaströsen Zustand ist, wundere ich | |
mich zunächst, warum Verteidigungsministerinnen und Wehrbeauftragte nicht | |
schon lange Alarm geschlagen und erklärt haben: „Wir haben keine Unterhosen | |
mehr.“ Die Bundeswehr muss – wenn es sie schon gibt – ausreichend | |
ausgerüstet und abwehrbereit sein, aber es sollte nach dem Ende dieses | |
Krieges genau geprüft werden, was sie wirklich braucht, um abwehrbereit zu | |
sein. | |
Was hätte die Bundesregierung als Alternativen zu verstärkter Rüstung? | |
Die Fähigkeit und Bereitschaft zu Abwehr durch die Bundeswehr ist | |
herzustellen und ein verlässliches Abwehrbündnis mit anderen Staaten. Aber | |
gegen einen Angriff mit Atomwaffen hilft alles nicht. | |
Albert Einstein sagte: „Im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und | |
Steinen kämpfen.“ | |
Ich war früher gegen alle Militärbündnisse, auch die Nato, die ja nicht nur | |
ihre Mitgliedstaaten gegen Angriffe verteidigt, sondern auch in Afghanistan | |
oder Libyen Angriffskriege geführt hat. Und Nato-Mitglied Türkei überfällt | |
Nachbarländer. Aber ein Bündnis ausschließlich zu Zwecken der Verteidigung | |
gegen Angriffe von außen macht Sinn. | |
Völlig zu Recht erregt sich die Welt über fünfzig Tote bei einem russischen | |
Raketenangriff auf einen ukrainischen Bahnhof. Als US-Drohnen in | |
Afghanistan, dem Irak und Syrien regelmäßig Dutzende von Zivilisten | |
auslöschten, interessierte das bei uns und im Westen kaum jemanden. Warum | |
diese Doppelstandards? | |
Der australische Journalist [6][Julian Assange] hat sein Leben dafür | |
riskiert, solche Kriegsverbrechen der amerikanischen Streitkräfte in Irak | |
und Afghanistan zu dokumentieren. Diese ganzen Schweinereien. | |
Westliche Politiker, wie unsere Außenministerin Baerbock, beklagen die | |
Gleichschaltung der russischen Medien, aber sehen gnädig darüber hinweg, | |
dass die US-Regierungen von Trump und Biden Julian Assange seit drei Jahren | |
in Auslieferungshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis in Großbritannien | |
halten und ihn wegen Spionage anklagen wollen. Weil seine | |
Enthüllungsplattform WikiLeaks Korruption und US-Kriegsverbrechen | |
öffentlich gemacht hat. Hast du dafür eine Erklärung? | |
Das liegt daran, dass auch die westlichen Geheimdienste nur dann glauben, | |
funktionieren zu können, wenn sie den Agenten, die sie anwerben, absoluten | |
Schutz vor Enttarnung bieten. Da hat Assange, aber auch Edward Snowden mit | |
seinen Enthüllungen eine Bresche geschlagen. Assange und WikiLeaks ist von | |
US-Politikern wiederholt vorgeworfen worden, sie hätten Blut an den Händen, | |
weil sie Informanten enttarnt hätten. Aber es gibt bisher keinen Beleg | |
dafür. | |
Hat der Westen nach Ende des Kalten Krieges den Fehler gemacht, seinen Sieg | |
zu sehr auszukosten und einen neuen Versailler Vertrag durchgesetzt, der | |
den Keim des nächsten Krieges schon in sich trug? Egon Bahr, der Vordenker | |
der Entspannungspolitik von Willy Brandt in den 1970er Jahren, scheint das | |
geahnt zu haben, als er 2013 Schülern erklärte: „Ich als alter Mann sage | |
euch: Wir leben in einer Vorkriegszeit.“ | |
Da ist was dran. Die Politiker des Westens haben den Eindruck erweckt, dass | |
alle im Osten jetzt zufrieden sein können. Die Interessen der Russen sind | |
ignoriert worden. Es wurde nicht darüber geredet, wie man die Wiederkehr | |
einer Konfrontation mit Russland vermeiden kann, wie man | |
Sicherheitsgarantien geben könnte. Stattdessen rückte die Nato mit ihren | |
Raketen immer näher an die Grenzen zu Russland vor. Die Chancen, mit | |
Russland zu einer stabilen sicheren Ordnung nach dem Ende des Kalten | |
Krieges zu kommen, sind vertan worden. | |
Die Vorstellung von Wandel durch Handel, dass die Globalisierung mit einer | |
immer stärkeren wirtschaftlichen Integration für Demokratie und Frieden | |
sorgt, können wir auch abschreiben. Ihr hat Putin jetzt mit dem Rückgriff | |
auf Nationalismus und Imperialismus des 19. und 20. Jahrhunderts eine klare | |
Absage erteilt. | |
Wir haben uns von den russischen Energielieferungen zu sehr abhängig | |
gemacht. Jetzt kaufen wir Fracking-Gas von den USA und reisen als | |
Bittsteller zu dubiosen Scheichs. Das einzig Positive an der Energiekrise | |
ist, dass die Energiewende hier eine nicht für möglich gehaltene | |
Beschleunigung erfährt. | |
Die ersten russischen Truppen sind am 24. Februar in der Ukraine | |
einmarschiert, jetzt wird schon von einem längeren Krieg gesprochen. | |
Erfahrungsgemäß ist es viel leichter, einen Krieg anzufangen, als einen | |
Krieg zu beenden. Was sollte jetzt geschehen? | |
Es wird für die Ukraine und ihre Regierung furchtbar schwierig. Es muss | |
wohl eine Einigung über eine irgendwie geartete und garantierte Neutralität | |
der Ukraine geben. Putin wird auf die Krim nicht verzichten und die | |
sogenannten Volksrepubliken im Osten. Selenski auch kaum. Der Kriegsverlauf | |
wird entscheidend sein. Putin war bodenlos dumm. Er hat die Schweden und | |
Finnen in die Nato getrieben. | |
Als die US-Regierung Krieg in Vietnam führte, wusste sie nie genau, warum | |
sie das überhaupt tat, eigentlich machten die Amerikaner nur weiter, taten | |
das nur, um eine für die militärische Supermacht gesichtswahrende Lösung zu | |
finden. Ohne eine solche wird Putin nicht aufhören. | |
Meist funktioniert das aber nicht. Die letzten Amerikaner wurden 1975 unter | |
chaotischen Umständen vom Dach der US-Botschaft in Südvietnam evakuiert. In | |
Kabul gab die Nato im vergangenen Jahr auch kein besseres Bild ab, als die | |
Taliban die Macht übernahmen. | |
Falls Putin militärisch nicht siegen kann, dürfte es Jahre dauern, bis er | |
das akzeptiert. | |
Noch schrecklicher: Er hat ja auch schon mit Nuklearwaffen gedroht. Trump | |
hat einmal gesagt, warum haben wir Atomwaffen, wenn wir sie nicht | |
einsetzen? Jetzt würde er Putin mit einem Nuklearschlag drohen, wenn er | |
Präsident wäre. Wenn Putin ernsthaft vor einer Niederlage steht, wer weiß, | |
was er dann tut. Zutrauen muss man ihm alles. | |
25 Apr 2022 | |
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[2] /Erinnerung-an-Petra-Kelly/!5190837 | |
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[5] /Verhaftungswelle-in-Nicaragua/!5774949 | |
[6] /Drohende-Auslieferung-von-Assange/!5846788 | |
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Michael Sontheimer | |
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