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# taz.de -- Erinnerung an Petra Kelly: Authentisch und unbeugsam
> Petra Kelly wäre jetzt 60 Jahre alt. Die Grünen erinnern sich an ihr
> Gründungsmitglied - mit Respekt und Distanz. Warum ist sie heute keine
> Ikone der Partei?
Bild: Ihre Egozentrik war anstrengend, ihre Widersprüche schrill.
Vor zehn Jahren schrieb die taz über das Verhältnis der Grünen zu Petra
Kelly: "Ihr 50. Geburtstag kommt in Wahrheit zehn Jahre zu früh." Damals,
1997, war sie seit fünf Jahren tot, erschossen von Gerd Bastian, dem
Exgeneral. Es war kein Doppelselbstmord, wie am Anfang viele glaubten,
sondern ein Mord. Eine Verzweiflungstat, deren Gründe bis heute im Dunkeln
blieben. 18 Tage lang lagen die beiden Leichen unentdeckt in einem
Reihenhaus in Bonn. Der Tod von Kelly und Bastian war rätselhaft, auch
beängstigend. Vielleicht taten sich die Grünen deshalb damals schwer mit
der Erinnerung. Hatten sie Kelly alleingelassen? Vor allem aber zielten die
Grünen 1997, in der späten Kohl-Ära, auf die Macht. Kelly war dabei eher
Ballast.
2007 ist das anders. Die Böll-Stiftung widmet Kelly heute in Berlin eine
Tagung. Vorgestern erschien ein aufwändiger, sorgfältig editierter
Bildband: "Petra Kelly. Eine Erinnerung". Die Grünen bemühen sich um ihre
Gründungsfigur. Sie scheinen entschlossen, Kelly einen angemessenen Platz
zuzuweisen. Wo ist der? Taugt Kelly zur Ikone?
Die Grünen sind heute in einer anderen mentalen Verfassung als 1997.
Erfahrener, aber unsicherer. 1997 war das Ziel klar: endlich Rot-Grün.
Heute, nach dem Ende von Rot-Grün und Joschka Fischers Abgang, schwankt das
Selbstbild. Nach 2005 hat die Partei lange gebraucht, um zu begreifen, dass
sie wieder Oppositionspartei sind. Wohin ihre Reise nun geht, ob sie
Funktionspartei wird und zum Mehrheitsbeschaffer für Union oder SPD, oder
ob sie zu ihren linken Wurzeln zurückkehrt, weiß niemand. Vielleicht hat
die Aufmerksamkeit für Kelly mit dieser Unsicherheit zu tun. Bei so viel
offener Zukunft wäre ein Kompass nicht schlecht.
Niemand verkörperte den idealistischen Glutkern der grünen Bewegung
intensiver als Petra Kelly in der ersten Hälfte der 80er-Jahre: ihren
Moralismus, ihr vibrierendes Menschheitspathos, ihren Schwung. 1980
bildeten sich die Grünen aus einer diffusen Mischung von ideologisch
bankrottgegangenen Maoisten und Spontis, Deutschnationalen und Alt-68ern,
rechten Ökologen und linken Kommunarden. Es war eine Mixtur, in der
zusammenkam, was eher nicht zusammengehörte. Vor dieser Folie wurde Petra
Kelly zum Star. Sie war, was gebraucht wurde: eine Symbolfigur, ein Unikat.
Sie war politisch unkorrumpierbar, authentisch, fundamentalkritisch, ohne
dogmatisch zu sein. Eine eigentümliche Mischung aus deutsch-protestantisch
wirkendem Idealismus und pragmatischem, US-typischem Glauben an das
Machbare.
Ihr Abstieg begann im Moment ihres Triumphes. 1983 zogen die Grünen in den
Bundestag ein. Vielleicht hatte niemand daran so viel Anteil wie Kelly.
Doch im parlamentarischen Normalbetrieb wurde Jeanne dArc nicht gebraucht.
Ihre Egozentrik war anstrengend, ihre Widersprüche waren schrill. Sie, die
Menschenfreundliche, verbrauchte im Bundestag 32 Mitarbeiter. Sie redete
der Basisdemokratie das Wort - und weigerte sich, zu rotieren. Sie agierte
unermüdlich gegen Umweltzerstörung - doch süchtig war sie nach Telefonen
und Fax. Bäume sah sie nur bei Fototerminen aus der Nähe. Sie plädierte für
das Maßhalten - und kannte selbst in vielem keine Grenzen. Sie war
unbeugsam. Doch das Unbeugsame wirkt oft nur von Ferne beeindruckend - aus
der Nähe ähnelt es oft der Starre.
Sagt Kelly den Grünen heute noch etwas? Paula Riester, Sprecherin der
Grünen Jugend, war acht Jahr alt, als Kelly starb. Für sie ist Kelly kein
"direktes Vorbild. Aber sie war eine kämpferische Frau, die wusste, dass
man Politik mit ganzem Herzen macht und nicht nur auf Institutionen stützen
kann." Die Erinnerung an sie sei ein Gegengift "zum grünen Alltagstrott."
Eine Biografie über Kelly hat Riester nicht gelesen. Sie redet freundlich
über Kelly, aber recht allgemein. Ralf Fücks, Chef der Böll-Stiftung,
meint, dass Kelly zu Recht warnte, dass Politik, die nur pragmatisch ist,
in Opportunismus endet. "Daran", so Fücks, " muss man sich ab und zu auf
dem langen Marsch durch die Institutionen erinnern."
Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen, schätzt besonders Kellys
"kreative Aktionsformen," etwa dass sie bei Honecker ein T-Shirt mit dem
Worten "Schwerter zu Pflugscharen" trug. Kelly "erinnert uns daran, dass
wir fordernd sein müssen, loyal nur unseren Ideen gegenüber, kreativ, was
unsere Methoden betrifft". Für einen Irrtum hält Künast Kellys
Parlamentsskepsis. "Wir haben doch unsere Werte, Abrüstung, Ökologie und
Menschenrechte ins Parlament getragen, also den Diskurs verändert. Kelly
hat damit gehadert, dass dies auch die Grünen verändert hat. Zu Unrecht.
Man gibt an der Macht nicht notwendig seine Moral auf."
Wenn man mit Grünen über Kelly redet, bekommt man viel Vernünftiges,
Wohltemperiertes zu hören. Man redet respektvoll über sie, distanziert und
irgendwie leidenschaftslos. Eine flügel- und generationsübergreifende
Identifikationsfigur, so wie sie die SPD mit Willy Brandt und die CDU mit
Konrad Adenauer hat, ist Kelly für die Grünen nicht.
Dazu war sie wohl zu selbstzerstörerisch, zu getrieben, was zum Bild der
humanistischen Aktivistin nicht passte. Vieles an ihr, nicht nur ihr Tod,
verstört noch immer. Ihr Bewegungspathos und ihre Institutionenskepsis
stammen aus einer anderen Zeit.
29 Nov 2007
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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