# taz.de -- Krieg und Pazifismus: Die Friedensziele im Blick behalten | |
> Imperialistische Gelüste und Aufrüstung zielen auf Krieg. Stattdessen | |
> sollte die Weltgemeinschaft genährt werden, ein gemeinsames Haus. | |
Bild: Friedenstaube am Denkmal der Völkerschlacht in Leipzig. März 22 | |
Ich bin kein Pazifist, daher fühle ich mich berufen, den Pazifismus zu | |
verteidigen. Ich bin kein Pazifist, weil ich bewaffneten Widerstand | |
manchmal für gerechtfertigt und notwendig halte. Ich bewundere den | |
revolutionären Aufstand 1936 in Katalonien ebenso wie die Bauernarmee von | |
Nestor Machno in der Ukraine (1918 bis 1921), die sich mit Idealismus und | |
Disziplin (kein Plündern, keine Vergewaltigungen, keine Judenpogrome) | |
jahrelang gegen die überlegenen Kräfte der Weißen Garde und der Roten Armee | |
behauptete. | |
Und ich bin der Überzeugung, dass die Ukraine sich heute verteidigen muss, | |
mit [1][internationaler Hilfe]. Zugleich teile ich die pazifistische | |
Erkenntnis, dass der Krieg per se ein Verbrechen ist, die schlimmste Form | |
von Staatsterror. Und das nicht erst, wenn Krankenhäuser bombardiert oder | |
Zivilisten erschossen werden. Dieser Wochen ist viel von Kriegsverbrechen | |
die Rede, zu wenig aber vom Verbrechen des Kriegs an sich. Die Phrase | |
„völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ ist ein Pleonasmus. | |
Krieg ist völkerrechtswidrig (siehe [2][UN-Charta]), und ohne einen Angriff | |
gäbe es ihn nicht. Wenn aber der Krieg an sich ein Verbrechen ist, dann | |
muss eine Ethik, die den Namen verdient, Strategien entwickeln, wie man | |
Krieg grundsätzlich verhindern kann. Das haben die Vordenkerinnen des | |
Pazifismus getan. | |
Ich bin kein Pazifist, weil ich für diese Haltung zu feige bin, denn sie | |
verlangt vom Einzelnen angesichts von Gewalt eine heldenhafte | |
Selbstaufopferung. Gemeinhin wird Pazifismus verwechselt mit Passivität, | |
Eigennutz, Mutlosigkeit. Dabei beinhaltet die Überzeugung von Menschen wie | |
Bertha von Suttner, Mahatma Gandhi und Martin Luther King eine kämpferische | |
Ablehnung von Gewaltherrschaft an sich. Nicht zuletzt, indem man sein | |
eigenes Wohl und im Extremfall auch sein Leben opfert. | |
## Ohne Gewalt gegen Gewalt | |
Es brauchte in der Geschichte mehr Courage, sich dem Krieg zu verweigern, | |
als mitzumarschieren. Pazifismus bedeutet nicht, sich der Gewalt zu | |
unterwerfen, sondern dieser mit allen Mitteln – Verweigerung, Nötigung, | |
Sabotage, Desertation (alle Deserteure sollten politisches Asyl erhalten!) | |
so wie Protesten – die Stirn zu bieten. Der Grundgedanke ist einfach: Wir | |
können Gewalt nicht mit gewalttätigen Mitteln überwinden. | |
Weswegen eine Rechtfertigung, man sei für den Frieden, aber eben auch für | |
die Menschenrechte, wenig Sinn ergibt, da der Krieg die ultimative | |
Menschenrechtsverletzung ist. Der pazifistische Blick hat einen anderen | |
zeitlichen Horizont, er verweigert sich den mörderischen Zwängen, weil er | |
über den historischen Augenblick hinaus ein längerfristiges Ziel verfolgt. | |
Bellizisten hingegen sind Untertanen der Geschichte. Freiheit ist für sie | |
die Einsicht in das Unvermeidliche. | |
Für Pazifisten ist Freiheit der Ausstieg aus der ewigen Wiederkehr der | |
Gewalt. Das erscheint manchen weltfremd, wie jede utopische Sehnsucht, aber | |
sie ist in sich stimmig und verfolgt eine konsequente Strategie, die | |
keineswegs naiv ist, wenn man von den Erfahrungen der letzten zweihundert | |
Jahre lernt, dass nationalistische und imperialistische Gelüste, gekoppelt | |
mit Aufrüstung und ideologischem Wahn, eine Gewaltspirale antreiben, die | |
unweigerlich in Krieg kulminiert. | |
Dies soll keineswegs das zynische Lavieren der wirtschaftlichen und | |
politischen Eliten Deutschlands verteidigen. Wer Blutöl importiert und mit | |
Waffenexport Geld verdient, macht sich mitschuldig. Der [3][Rüstungskonzern | |
Rheinmetall] etwa errichtete in Russland ein Gefechtsübungszentrum, ein | |
Auftrag in Höhe von 100 Millionen Euro, aus dem er nach der [4][Annexion | |
der Krim] aussteigen musste. Bemerkenswert die damalige Legitimierung: Der | |
Auftrag sei „von besonderer strategischer Bedeutung“, um in den russischen | |
Markt zu drängen. | |
## Lieber nur kleine und schwache Armeen | |
Können wir unseren Wirtschaftsbossen nicht ein wenig Moral und | |
Profitbescheidung abverlangen? Schon 2011 hätten alle Beteiligten wissen | |
müssen, mit was für einem repressiven Regime sie Geschäfte machten. | |
[5][„Wir haben ein sicherheitspolitisches Interesse an einer modernen | |
russischen Armee, die gut geführt ist“], verkündete Thomas de Maizière | |
damals. Wie wir wissen, ertragen Politikerinnen die eigenen Fehler mit viel | |
Geduld. | |
Wir Bürgerinnen haben hingegen ein sicherheitspolitisches Interesse, Armeen | |
klein und schwach zu halten, erst recht jene von Diktatoren. Die wichtigste | |
Lektion des Pazifismus ist die Erkenntnis, den Krieg nicht essenziell | |
anders zu behandeln als den Frieden, ihn nicht zu überhöhen als | |
apokalyptisches Endgefecht zwischen Gut und Böse, ein quasireligiöses | |
Narrativ, das zur rhetorischen Grundausstattung jedes Kriegs gehört. | |
Und die moralische Keule der Bellizisten infrage zu stellen, die jede | |
Skepsis an der eigenen Eskalationspolitik stigmatisieren. Denn sie | |
propagieren militärisches Eingreifen selektiv je nach Eigeninteresse. So | |
wurde etwa in [6][Rojava] wahrlich Demokratie verteidigt, ohne dass die | |
herrschende Meinung den Tornister geschultert hätte. Und wenn angeblich zum | |
Schutz der Menschenrechte eingegriffen wurde, etwa in Irak und [7][Libyen], | |
entfachte das Löschen eines Feuers ein Fegefeuer. | |
Es muss schon jedem Einzelnen und somit auch jeder Gesellschaft überlassen | |
bleiben, wie sie Hilfe und Unterstützung gewährt. Gandhi war der Ansicht, | |
dass sich indische Soldaten zum Sanitätsdienst in der britischen Armee | |
melden durften, nicht aber zum Waffengang. Wer mehr als sechshunderttausend | |
Flüchtlinge auf vorbildliche Weise aufnimmt und vielfältige finanzielle | |
Hilfe gewährt, leistet schon einen wichtigen Solidaritätsbeitrag. | |
Angesichts der Kriegsziele sollten wir die Friedensziele nicht aus den | |
Augen verlieren. Die alte Sicherheitsordnung habe ausgedient, heißt es, | |
dabei ist das Gegenteil wahr – die Militärordnung hat mal wieder ihre | |
hässliche Fratze gezeigt. Das Friedensprojekt der EU hingegen leuchtet um | |
so heller. Anstatt wie manche Hofschranzen das Ende der Weltgemeinschaft | |
auszurufen, sollten wir diese durch Globalisierung von unten anstreben, als | |
gemeinsames Haus mit würdevollem Platz für alle. Das wäre eine wirkliche | |
Zeitenwende. | |
12 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Panzerlieferungen-an-die-Ukraine/!5847213 | |
[2] https://unric.org/de/charta/ | |
[3] /Ruestungskooperationen-mit-Russland/!5846948 | |
[4] /Nach-der-Annexion-der-Krim/!5045776 | |
[5] https://www.spiegel.de/politik/ausland/kurzvisite-in-moskau-de-maiziere-wil… | |
[6] /Aktivist-ueber-das-Leben-in-Rojava/!5746485 | |
[7] /Bericht-ueber-Kriegsverbrechen-in-Libyen/!5112126 | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
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