# taz.de -- Beerdigung von Christian Ströbele: Der rote Schal ging mit ins Grab | |
> Christian Ströbele, „König von Kreuzberg“, wurde auf einem Friedhof in | |
> der Bergmannstraße beerdigt. So, wie er es wollte. | |
Bild: Christian Ströbele, 2011 auf einer Demonstration in Dresden | |
BERLIN taz | Bunte Herbstblumen schmücken den schlichten Sarg. Um die | |
Dahlien und Sonnenblumen wie eine Schärpe gewickelt – der unverwechselbare | |
rote Schal. Am 29. August war Christian Ströbele [1][im Alter von 83 Jahren | |
nach schwerer Krankheit gestorben]. Bei schönstem Sonnenschein haben ihn | |
seine Frau, die Geschwister, Freundinnen, Freunde und enge Weggefährten am | |
Donnerstag auf dem Friedrichswerderschen Friedhof in der Kreuzberger | |
Bergmannstraße beerdigt. Der rote Schal, Ströbeles Markenzeichen, ging mit | |
dem „[2][König von Kreuzberg]“ ins Grab. | |
Der Termin der Beerdigung war geheimgehalten worden. Man sei aber dankbar | |
für die große Anteilnahme, ließ seine Frau Juliana wissen. Am 4. Oktober | |
findet in der Arena in Treptow eine von der taz und den Grünen organisierte | |
[3][öffentliche Gedenkveranstaltung für Ströbele] statt. Mehr als 700 | |
Menschen haben sich bereits angemeldet. | |
Obwohl zu der Beisetzung nur ein kleiner Kreis eingeladen war, kamen mehr | |
Menschen, als die kleine Backstein-Kapelle des Friedhofs fasst. Der Sarg | |
aus hellem Holz war mit Kerzen umgeben, dazu gab es besinnliche Klänge von | |
einem Oboenquartett. Es war ein weltliches Begräbnis bei weit geöffneten | |
Türen. Alte Bekannte von Christian beteiligten sich an dem Laienorchester, | |
den Otto-Sinfonikern. Sie waren ergraut wie die überwiegende Mehrheit des | |
Publikums. | |
Die wenigen jungen Menschen im Raum waren seine früheren Mitarbeiterinnen | |
und Mitarbeiter aus dem Bundestags- und Wahlkreisbüro. Dabei hatte | |
Christian gerade mit der jungen Generation viel zu tun. Das | |
[4][Rebellische, Antiautoritäre] war es, warum er bei den Jungen so beliebt | |
war. Dass er auf Demos blieb, auch wenn es Randale gab; dass er sich für | |
den Fortbestand bedrohter linker Projekte einsetzte. | |
Vieles von dem, was in den letzten Wochen in den Nachrufen über Christian | |
Ströbele zu hören und zu lesen war, klang auch am Donnerstag in den Reden | |
an. Dass er als Rechtsanwalt und Politiker eine Ausnahmeerscheinung war, | |
„ein Solitär“, der sich mit niemanden gemein machte, wie es der | |
Rechtswissenschaftler Ulrich Preuss formulierte. Preuss, gleicher Jahrgang | |
wie Ströbele, gehörte 1969 mit Ströbele zu den Mitbegründern des | |
sozialistischen Anwaltskollektivs. | |
„Der treueste Freundschaftsdienst ist die Rede auf den toten Freund und | |
auch die schwerste“, hob Preuss in der Kapelle an. Die Bilder, die er von | |
Ströbele heraufbeschwor, waren politische. Als „Sozialarbeiter in den | |
Gefilden der Politik“ beschrieb er den Freund. Christian habe erkannt, dass | |
die Selbstbestimmung und Würde des Menschen täglich neu erkämpft werde | |
müsse. „Er änderte Dinge, die als unabänderlich galten.“ | |
Bam, bam, bam listete Preuss dann die Beispiele dafür auf: [5][linke | |
unabhängige Tageszeitung gegründet]; diese durch Gründung einer | |
Genossenschaft vor der Übernahme durch das Kapital „immunisiert“. Erstes | |
rot-grünes Regierungsbündnis bundesweit geschmiedet: 1989 in Berlin. 2002 | |
in Kreuzberg das bundesweit erste und damals einzige grüne Direktmandat für | |
den Bundestag geholt. | |
Sich gegen „eine überwältigende, zum Teil aggressive Stimmung“ im Bundest… | |
gegen die deutsche Kriegsbeteiligung im Kosovo aufgelehnt. Den | |
Whistleblower Edward Snowden in Moskau besucht. Und, als er schon schwer | |
krank war, „wider der tapferen Gewissheit der deutschen Mehrheiten“ [6][vor | |
den Folgen der Waffenlieferungen an die Ukraine gewarnt]. „Wir verneigen | |
uns in Trauer, aber auch in Stolz, dass wir in seiner Nähe sein konnten“, | |
schloss Preuss. | |
Ströbeles Bruder Herbert, Jahrgang 1949, Physiker, jüngster der vier | |
Geschwister, gewährte in seiner Rede einen Einblick in die gemeinsame | |
Kindheit. Welche Spitznamen man sich gab, in Zischlauten miteinander | |
sprach. Dass ihm als Jüngstem vom großen Bruder Christian beim | |
Indianerspiel immer die Rolle am Marterpfahl zugewiesen wurde. Dass es in | |
Christians Clique ein beliebter Spaß war, das Auto der Eltern mit Vollspeed | |
in die Garage zu fahren – ohne Rücksicht auf Beulen und natürlich ohne | |
Führerschein. | |
Bevor der Sarg zu Klängen der Johannes-Passion aus der Kapelle geschoben | |
wurde, ergriff die grüne Landtagsabgeordnete Katrin Schmidberger das Wort, | |
auch sie eine der Jüngeren an diesem Tag. Ströbele, der gegen den | |
Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr gewesen war, hatte in seiner Zeit als | |
Bundestagsabgeordneter drei Mal Afghanistan bereist. 2011 haben ihn | |
Schmidberger und die Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins in Hamburg, | |
Nana Nashir Karim, begleitet. | |
In der Kapelle verlas Schmidberger eine Grußbotschaft von Karim. Die | |
bedankt sich darin mit berührenden Worten für Christians Engagement. Ohne | |
Schutz und gepanzerte Fahrzeuge habe der sich mit seinem Team in | |
Afghanistan bewegt. „Furchtlos“ habe er sich sowohl mit | |
Regierungsvertretern, als auch Vertretern der Taliban getroffen, um zu | |
hören, wo diese ihre Fehler sähen und welche Schritte auf allen Seiten | |
notwendig seien, um Afghanistan in den Frieden zu führen. Hoffnung, dass | |
dies gelingen könne, so Nana Nashir Karim, habe Christian aus den | |
Begegnungen mit Jugendlichen und jungen Frauen gezogen. | |
Als Freund und Unterstützer des Afghanischen Frauenvereins habe Ströbele im | |
ländlichen Kunduz den Bau unzähliger Brunnen und in den Schulen hunderten | |
Mädchen eine gleichberechtigte Bildung ermöglicht. Leichter Pathos schwang | |
mit, als sich Nana Nashir Karim in dem Schreiben direkt an Christian wandte | |
– die beiden waren per Du: „In deiner gradlinigen Haltung und deinem | |
unbeugsamen Engagement für eine gerechtere, friedvolle Welt bist und | |
bleibst du unser Vorbild und Licht.“ | |
Der Friedrichswerdersche Friedhof ist einer von vier Friedhöfen, die | |
ineinander übergehen, eine grüne Lunge mit einem hohen alten Baumbestand. | |
Linden und Kastanien säumen den Weg, auf dem es hinter dem Sarg den Berg zu | |
Ströbeles letzter Ruhestätte hinauf geht. Wenige Meter daneben befindet | |
sich das Grab von Werner Orlowsky. Der Parteilose war in den 1980er Jahren | |
von der Alternativen Liste, wie die Grünen hier hießen, als Baustadtrat in | |
Kreuzberg nominiert worden. Und auch die grüne Abgeordnete Barbara | |
Oesterheld ist dort begraben. | |
Dass sich Ströbele diese Nachbarschaft ausgesucht, ist natürlich kein | |
Zufall. Orlowsky, ein alter Kämpfer wie er, hat mit den Hausbesetzern in | |
Kreuzberg erfolgreich gegen die Kahlschlagspolitik gekämpft. Auch | |
Oesterheld war eine Schwester im Geiste. Es gibt ein Foto, das Ströbele und | |
sie lachend mit nach unten gesenkten Daumen vor zwei schwarzen Koffern | |
sitzend zeigt. Auf seinem steht CDU, auf ihrem Bankgesellschaft Berlin: | |
Ströbele hat Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Untersuchungsausschuss des | |
Bundestags zu den Parteispenden des Flick-Konzern gequält; Oesterheld den | |
früheren Berliner CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky im Berliner | |
Untersuchungsauschuss zum Bankenskandal. | |
Später zog die Trauergemeinde in die taz-Kantine weiter. Nur ein junger | |
Mann, schwarze Lederjacke, zusammengebundene Haare, steht noch am offenen | |
Grab. Verstohlen wischt er sich mit der Hand die Tränen weg, bevor er sich | |
als einer von Christians früheren Mitarbeitern aus dessen Wahkreisbüro in | |
Kreuzberg zu erkennen gibt. | |
Mit Christian habe er damals gegen die Rodung des Unterholzes auf dem | |
Friedhof gekämpft, die Kirchengemeinde wollte es weg haben, um mit den | |
Gartenmaschinen besser durchkommen zu können. „Hier werde ich einmal | |
begraben“, habe Christian damals zu ihm gesagt. An die Krankheit sei da | |
noch nicht zu denken gewesen. | |
Zufrieden blickt sich der junge Mann um, der Kampf damals hat sich gelohnt. | |
Das einzige, was fehlt, wenn man den alten König in seinem Revier besuchen | |
möchte, ist eine Bank. Eine zum Ausruhen natürlich. Aber das wird sich | |
bestimmt schnell regeln lassen. | |
23 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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