# taz.de -- Bibliotheken in Berlin: Schmökern statt shoppen | |
> Seit Jahren ringt Berlin um einen neuen Standort für seine Zentral- und | |
> Landesbibliothek. Nun gibt es einen neuen Vorschlag: die Galeries | |
> Lafayette. | |
Bild: Hier könnte es demnächst um weit mehr als ums öde EInkaufen gehen | |
Berlin taz | Der Langzeit-Thriller um ein neues Gebäude für Berlins | |
Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) hat eine überraschende Wende genommen. | |
[1][Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU)] schlägt vor, dass die | |
Bibliothek ins Q270 in der Friedrichstraße ziehen soll – also dort, wo der | |
Mietvertrag mit dem französischen Unternehmen Galeries Lafayette 2024 | |
auslaufen soll. Damit wären die letzten Pläne, die | |
[2][Amerika-Gedenkbibliothek], in der sich der Hauptstandort der ZLB | |
befindet, um einen Neubau zu erweitern, obsolet. Nach diesen belief sich | |
allerdings auch die Bausumme für einen solchen Neubau schon 2021 bei bis zu | |
einer halben Milliarde Euro, Fertigstellung wäre circa 2035 gewesen. Im | |
Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung fand die ZLB nicht einmal mehr | |
Erwähnung. | |
Mit Chialos Vorschlag ist die ZLB also mit einem Donnerschlag zurück im | |
Gespräch. Und das ist auch sinnvoll, denn je größer und bunter Berlin wird, | |
desto mehr Menschen zieht es anders als noch vor wenigen Jahren erwartet in | |
die Bibliotheken. Die Bibliotheken verwandeln sich, wie Expert*innen es | |
formulieren, zunehmend zu sogenannten dritten Orten, also für Kinder aus | |
armen Familien beispielsweise, die nachmittags nicht wissen, wohin; für | |
Migrant*innen, die hier ihre Tage verbringen, weil sie nicht arbeiten | |
dürfen; für alte Leute, die sich hier das neue Handy erklären lassen | |
können. | |
Andere europäische Städte haben das längst erkannt und reagiert: Die 2018 | |
eröffnete Bibliothek Oodi in Helsinki bietet Medienräume, einen Saal mit | |
intelligenten Wänden und sogar eine Sauna. In der 2020 fertiggestellten | |
Deichman-Bibliothek in Oslo können Besucher*innen Computerspiele | |
spielen, im Minikino Filme gucken, es gibt ein Tonstudio, Nähmaschinen, | |
3-D-Drucker und diverse Werkzeuge zum kostenfreien Gebrauch. | |
[3][Bibliotheken sind längst weit mehr als staubige Bücherkisten], wo | |
Menschen wegen lauten Benehmens angerüffelt werden und sich am Ende | |
vielleicht trotzdem ein, zwei Bücher ausborgen dürfen. | |
## Aus ungewöhnlicher Richtung | |
Die Idee Joe Chialos ist auch deshalb so erfrischend, weil sie aus | |
ungewohnter Richtung kommt. Bibliotheken auch als Bollwerk für | |
gesellschaftlichen Zusammenhalt zu begreifen, als „Zeichen des Aufbruchs“, | |
wie Chialo es formuliert? Schmökern den Vorrang vor Shopping zu geben und | |
Umnutzung den nachhaltigeren Vorrang vor Neubau? Die ohnehin sterbende | |
Friedrichstraße, die in letzter Zeit nur noch als ideologische Kampfzone | |
für den Wahlkampf in Sachen Verkehrswende und Vollbremsung derselben | |
missbraucht wurde, durch eine Bibliothek zu beleben? | |
Dazu passt hervorragend, dass die ZLB in einer Pressemitteilung ein | |
computeranimiertes Foto der Galeries Lafayette als Bibliothek zeigt, auf | |
der die Friedrichstraße wieder als Hölle für die Autofahrer*innen | |
dieser Stadt, genauer gesagt als Fußgängerzone erscheint. All das sind | |
Ansätze, wie sie bislang eher aus den Reihen fortschrittlicher Grüner oder | |
Linker in dieser Stadt zu hören waren. | |
Es ist also kaum verwunderlich, dass sich auch der Generaldirektor der ZLB, | |
Volker Heller, begeistert zeigt, indem er von „einer Jahrhundertchance für | |
Berlin“ spricht. „Wir finden die Idee toll und wir glauben auch, dass das | |
geht“, so Pressesprecherin Anna Jacobi zur taz. „Das Gebäude ist wunderbar, | |
genau so, wie man Bibliotheken heute baut, kompakt und trotzdem | |
durchsichtig, groß genug und sehr glamourös – und das nur zwei Kilometer | |
nördlich von unserem Hauptstandort entfernt.“ Noch dazu wäre der Standort | |
super an den ÖPNV angeschlossen: Man erreicht ihn in sieben Minuten zu Fuß | |
vom S-Bahnhof Friedrichstraße und in drei Minuten zu Fuß vom U-Bahnhof | |
Unter den Linden (U5 und U6). | |
## Es wäre sogar groß genug | |
Hinzu kommt: Das Gebäude verfügt über vier Unter- und sieben Obergeschosse | |
mit einer Fläche von insgesamt 35.000 Quadratmetern. Lediglich die | |
Außenmagazine der ZLB, derzeit im Westhafen, müssten weiter betrieben | |
werden. Und das Beste: Die Nutzung des Bestandsgebäudes in der | |
Friedrichstraße wäre nach kurzem Umbau bereits ab 2026 möglich. Die zähe | |
und jahrelange Diskussion um die ZLB in Berlin – mal sollte sie aufs | |
Tempelhofer Feld, dann ans Marx-Engels-Forum, mal ins Humboldt Forum oder | |
ins ICC –, sie hätte sich endlich erledigt. | |
Im Grunde bleibt also nur ein einziger, dafür aber gewaltiger Haken: Laut | |
einer Aussage eines Presssprechers in der Kulturverwaltung haben die | |
Gespräche mit dem Eigentümer des Q270 in der Friedrichstraße, dem | |
US-Investor Tishman-Speyer-Properties, gerade erst begonnen, man erwäge | |
erst noch die „Möglichkeiten der Realisierung“. | |
Darum zeigt sich auch die Opposition eher vorsichtig optimistisch. | |
„Bibliotheken sind heute multifunktionale Aufenthaltsorte und ob man die in | |
einem Kaufhaus realisieren kann, bleibt für mich eine offene Frage“, so | |
Laura Neugebauer, Sprecherin für Wissenschaft, Forschung und | |
außerschulische Bildung der Grünen. „Die Lösung wäre zwar fantastisch“,… | |
die kulturpolitische Sprecherin der Linken, Manuela Schmidt. „Wir fürchten | |
aber, dass sich der Eigentümer nur für Maximalrendite auf so etwas | |
einlassen könnte.“ | |
29 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Berlins-Kultursenator-im-Interview/!5951695 | |
[2] /Die-Bibliothek-fuer-Berlin-Teil-1/!5565078 | |
[3] /Mehr-Geld-fuer-Berlins-Bibliotheken/!5792446 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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