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# taz.de -- Bibliotheken in Berlin: Fühl dich wie zu Hause
> Sie wollen mehr sein als Büchersammelstellen. In modernen Bibliotheken
> soll sich die Stadtgesellschaft begegnen – zum Schnacken, Snacken und
> Zocken.
Bild: Hier gibt es mehr als Bücher: die Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Berlin taz | Die Ingeborg-Drewitz-Bibliothek residiert in einem Schloss.
Trotzdem kann von öffentlichem Luxus keine Rede sein. „Das Schloss“ ist ein
Einkaufszentrum im Ortsteil Steglitz. Weniger als 20 Jahre jung, soll hier
vieles älter aussehen als es ist: Ein Brunnen mit marmorweißen Figuren,
goldene Wandleuchter im Großformat und Bodenplatten aus Granit schmücken
das Foyer. Hinter einer Tür im dritten Stock ist von dieser
künstlich-königlichen Atmosphäre nichts mehr zu spüren: Die Decken sind
tiefer, das Licht greller und den Boden ziert blaues Vinyl. Hier herrscht
das typische Flair einer öffentlichen Einrichtung – willkommen in der
Bücherei.
An einem Montagnachmittag streifen zwei Jungs mit schwingenden Schultern
und abstehenden Ellenbogen zwischen den Bücherregalen umher, als sähen sie
nach dem Rechten. Nach einem Slalom [1][durch die bunten Kinderstühle
lassen sie sich auf einer roten Couch aus Kunstleder nieder.] Raus aus den
schwarzen Pufferjacken, die Chipstüte auf den Schoß. Hände am Handy,
Fingerfood, Tauchgang.
Dann ein Ruf in den Raum: „Djamal!“. Aus dem Dickicht der Bücher erscheinen
zwei weitere Kerle; ähnliche schwarze Jacken, nur eine Nummer kleiner. Der
gerufene Djamal reißt die Chipstüte an sich. Ihr Knistern verhallt im regen
Treiben in der Bezirkszentralbibliothek. Volles Haus. Das mag verwundern,
schließlich sind Bücher out und die Entleihungen von Printmedien seit
Jahren rückläufig. Doch das ist die falsche Kennzahl, um die
gesellschaftliche Bedeutung von Bibliotheken zu messen.
Orte der Begegnung sollen sie sein, außerhalb der eigenen vier Wände, neben
Arbeit, Schule oder Uni. Der frühere Kultursenator Klaus Lederer (Linke)
bezeichnete Bibliotheken gerne als „Wohnzimmer der Stadtgesellschaft“.
Anders als an den meisten Begegnungsorten, wie etwa Cafés, kann man in
einer Bibliothek Zeit verbringen, ohne Geld ausgeben zu müssen.
## Bibliotheken sind öffentliche Räume
[2][„Bibliotheken sind neben Parks die wahren öffentlichen Räume in unserer
Gesellschaft“], sagte der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hicker einmal
der Süddeutschen Zeitung. Städtische Parks sind an diesem grauen Tag für
Djamal und seine Freunde allerdings nicht so attraktiv wie Wärme, W-Lan und
Weltliteratur.
Inzwischen hängen die vier schwarzen Jacken über den Stühlen des
Gaming-Bereichs. Zwei Jungs halten einen Controller in der Hand. Sie
spielen Fußball auf der PlayStation. Während die Daumen routiniert klicken
und kreisen, sprechen ihre Besitzer über Ablösesummen und Vereine. Djamal
beteiligt sich nicht an dem Gespräch. Unter seiner weißen Baseballcap
glänzen schwarze Locken. 14 Jahre ist er alt und geht in die siebte Klasse.
Gerade in der kalten Jahreszeit treffe er seine Freunde mal hier, mal im
Saturn, denn dort könne man auch zocken. Djamal ist lieber in der
Bibliothek: „Ich mag, dass es hier einigermaßen ruhig ist, viel ruhiger als
Zuhause mit einer Großfamilie.“ So ungestört wie in der
Ingeborg-Drewitz-Bibliothek können die Jungs nirgendwo chillen, über ihre
Social-Media-Feeds sprechen oder eben FIFA spielen.
Vor sieben Jahren sei er nach Deutschland gekommen, erzählt Djamal.
Büchereien kannte er lange nicht. Eine Betreuerin seiner Jugendzirkusgruppe
war es, die ihm den ersten Bibliotheksausweis besorgte. Er kennt sich aus
in den Bibliotheken des Berliner Südens; seine Familie ist schon mehrmals
umgezogen. Die Ingeborg-Drewitz-Bibliothek ist die beste, findet er:
„Eigentlich ist hier alles perfekt!“
Manchmal schaue er kurz vorbei, um sich neue Spiele auszuleihen. Oder er
nimmt an einem der FIFA-Turniere teil, die bisweilen auf der Flipchart
neben dem Fernseher ausgeschrieben werden. Es komme aber auch vor, dass ihn
die Langeweile hertreibt – irgendjemanden treffe er meistens: „Alle kennen
die Bibliothek: meine Freunde, meine Geschwister und die Geschwister meiner
Freunde.“
## Einen Gaming-Bereich gibt es auch in der KiJuBi
[3][Einen Gaming-Bereich gibt es auch in der KiJuBi – der Kinder- und
Jugendbibliothek der Zentralen Landesbibliothek Berlin (ZLB)] in Kreuzberg.
Hier stehen keine Sessel vor dem Fernseher, sondern ein schwarzes Sofa.
Benjamin Scheffler setzt sich. Es ist der einzige freie Platz an diesem
Dienstagnachmittag. Der Mann mit den kurzen grauen Haaren, blauer
Karree-Brille und leichtem Schal leitet das Team der KiJuBi. Er schaut sich
um. Links arbeitet eine Dreiergruppe an einer PowerPoint-Präsentation über
Künstliche Intelligenz.
„Fast alle besitzen heutzutage ein Handy“, sagt Scheffler. „Aber viele
haben keinen Zugang zu einem richtigen Computer oder einem Drucker.“ Er
spricht mit heller Stimme und in vorbildlicher Bibliotheks-Lautstärke: nur
zu verstehen, wenn man direkt neben ihm sitzt.
Nach eigenen Angaben ist die KiJuBi die größte Kinder- und Jugendbibliothek
Deutschlands. 130.000 Medien gibt es hier – und ganze acht Arbeitsplätze
mit Rechnern. „Wir brauchen viel, viel mehr Gruppenarbeitsplätze“, klagt
Scheffler. Generell mangele es an Platz: Die KiJuBi verteilt sich auf eine
Fläche von 400 Quadratmetern. Das ist deutlich weniger als der Strafraum
eines Fußballfeldes – und sei gerade einmal ein Fünftel dessen, was sie
nach aktuellen planerischen Grundsätzen als zeitgemäße Bibliothek benötige.
Und wie so oft ist die KiJuBi mehr Kinder- als Jugendbibliothek. Wenn man
aus dem Kinderbereich herauswächst, haben Büchereien nur noch wenig zu
bieten. „Jugendliche haben keine große Lobby“, sagt Scheffler. Sie
versuchen es hier anders zu machen, planen etwa einen eigenen Bereich für
die über 16-Jährigen. „Wir wollen für alle da sein, nicht nur für die, die
zum Lesen herkommen und angepasst sind“.
## Viel Arbeit fließt in ein eigenes Programm für Jugendliche
Viel Arbeit fließe deshalb in ein eigenes Programm für Jugendliche. Jeden
Montag finde ein Berufscoaching statt, das gut angenommen werde. Doch das
Team von Benjamin Scheffler stößt schnell an seine Grenzen: „Gerade machen
wir einmal pro Monat einen Gaming-Freitag, da kommen dann 30 bis 40 Leute.
Hätten wie mehr Platz, könnte das viel häufiger passieren.“
Am Samstagnachmittag verwandelt sich die Sitzecke der KiJuBi in ein
Zwergenkönigreich: Humanoide Echsenwesen haben die Bewohner der Goldmine
überfallen. Nun liegt es an den Abenteurern zu helfen. Die Abenteuer, das
sind zehn Mädchen und Jungen, die meisten zwischen 12 und 13 Jahren alt.
Dort, wo normalerweise ein paar Sofas stehen, hat Eric mehrere Tische
zusammengeschoben, um die die Jugendlichen nun sitzen. Er ist einer der
Spielleiter der wöchentlichen Dungeons & Dragons Runde in der KiJuBi, einem
Tischrollenspiel, bei dem die Spielenden sich in eine Fantasiewelt begeben
– ausgestattet nur mit Stift und Papier.
„Der Kampf ist vorbei, die Wunden geleckt, der Zwergenanführer Xikek kommt
auf die Abenteurer zu, und bittet um Hilfe“, erklärt Eric die Mission für
den heutigen Nachmittag. Bevor es losgehen kann, müssen noch die beiden
Neuen in die Runde eingeführt werden. Ein 20-seitiger Würfel bestimmt ihren
Charakter. Seefahrer wird der eine; Töpfer der andere, merklich zufrieden
mit seiner Rolle. Am Eingang des Minenschachtes finden die Abenteurer eine
alte Bergbaumaschine. Sie ist kaputt. Dann taucht ein mysteriöser Fleck an
einer Wand auf. Was es damit wohl auf sich hat?
Um 18 Uhr ist das Gesicht von Spielleiter Eric gerötet. Vier Stunden lang
hat er Geschichten erzählt, das Regelwerk ausgelegt und Fragen beantwortet
– und musste dabei ständig improvisieren. Für den 30-jährigen Studenten
geht es um mehr als Spaß am Spiel. Er möchte diese besondere Art des
gemeinschaftlichen Spiels an die nächste Generation weitergeben, sagt er.
Die Bibliothek sei dafür ein guter Ort: hier ist die Gruppe sichtbar für
jeden, der vorbeiläuft, noch dazu ist das Angebot niedrigschwellig.
„Interessierte neue Spieler können einfach zu uns kommen und direkt
einsteigen, auch ohne Anmeldung.“ Ein echtes öffentliches Wohnzimmer eben.
Benjamin Scheffler wünscht sich schon seit langem, dass dieses Wohnzimmer
wächst. „In meinen 17 Jahren an der ZLB habe ich schon drei
Raumgestaltungspläne für den Papierkorb gemacht.“ Humboldt Forum,
Tempelhofer Feld, Erweiterungsbau: Immer wieder wurde der
Bibliotheksverwaltung Hoffnung auf mehr Platz gemacht. So auch im
vergangenen Sommer, als Kultursenator Joe Chialo (CDU) einen neuen Standort
für die ZLB vorschlug: das Quartier 207 an der Friedrichstraße, aus dem die
Galeries Lafayette demnächst ausziehen wird. Doch auch das wird wohl ein
Wunschtraum bleiben – der Senat hat keine Gelder dafür vorgesehen. So etwas
kann Scheffler nicht nachvollziehen: „In eine Bibliothek zu investieren
heißt, in die Zukunft investieren.“
9 Apr 2024
## LINKS
[1] /Berliner-Bibliotheken/!5957471
[2] /Bibliotheken-in-Berlin/!5953201
[3] /Zukunft-der-Berliner-Zentralbibliothek/!5960562
## AUTOREN
Anton Benz
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