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# taz.de -- Berlinale und #MeToo: „Äh, Missbrauch, sorry“
> Die #MeToo-Debatte hat die Filmbranche verunsichert. Wie auf der
> Berlinale über das Thema geredet wird – oder auch nicht.
Bild: Die „Nobody’s Doll“-Kampagne hinterfragt die Kleiderordnung auf dem…
Berlin taz | Hans-Werner Meyer muss in letzter Zeit viel reden. So auch an
diesem Nachmittag. Meyer ist Schauspieler, man kennt sein Gesicht aus dem
Fernsehen, außerdem ist er Vorstandsmitglied des Bundesverbands Schauspiel.
Gleich soll Meyer auf einer Podiumsdiskussion über sexuelle Gewalt,
Machtmissbrauch und Rollenbilder sprechen. Davor gibt er Interviews. Er
steht ein wenig abseits und unterhält sich mit einer Frau. Ein Reporter des
MDR unterbricht das Gespräch, auch er will mit Meyer reden.
Der folgt dem Licht der Kamera. „Moment mal“, ruft die Frau und läuft dem
Mann vom MDR hinterher. „Sie können doch nicht einfach so in mein Gespräch
reingrätschen!“ Und zu Meyer sagt sie: „Wir haben doch gerade noch
geredet.“ „Ja, aber hier“, sagt Meyer und zeigt auf die Kamera, „hier r…
ich mit 30.000.“ Die Frau: „Das ist unglaublich. Das passt ja sehr gut zu
dieser Veranstaltung heute!“ Der MDR-Reporter ignoriert sie, sagt nur: „Ja
ja, ich bin eh immer schuld.“
Diese Szene spielte sich ab vor einer Veranstaltung, die „Kultur will
Wandel“ hieß. Der wirkliche Wandel ist in weiter Ferne, das meint man hier
gerade beobachtet zu haben. War das eine Klüngelei unter Männern – typisch
eben? Oder machte Meyer einfach nur seinen Job? Die Sensibilität jedenfalls
ist am Anschlag.
Hans-Werner Meyer geht nach dem MDR-Interview wieder zu der Frau zurück,
die ihm erklärt, dass sie Filmemacherin sei und ein Projekt zum Thema
#MeToo plane. Das habe er nicht gewusst, sagt Meyer. „Ich dachte, wir
sprechen privat.“ Meyer nimmt sich Zeit, die Filmemacherin sagt danach:
„Das war nett.“ Und dann noch: „Aber um Nettigkeit sollte es hier ja
eigentlich nicht gehen.“
## Ein politisches Festival
Die #MeToo-Debatte war auf der diesjährigen Berlinale nicht immer so
präsent wie in diesem Moment. Aber sie schwang immer mit. In Forderungen
wie der, dass der Teppich dieses Jahr schwarz und nicht rot sein solle. In
der „Nobody’s Doll“-Kampagne, die die Kleiderordnung auf dem Teppich
hinterfragte, der ja dann doch rot war. In Entscheidungen dafür und
dagegen, Filme bestimmter Regisseure zu zeigen.
#MeToo war eine Brille, durch die man die Filme gesehen hat, es war kaum
möglich, das zu umgehen. Ist es wichtig für die Szene, dass die Frau nackt
ist? Warum textet der Typ die Frau stundenlang voll? Und selbst im
Eröffnungsfilm, dem Animationsfilm „Isle of Dogs“ von Wes Anderson: Warum
werden alle Hauptrollen von männlichen Hunden gespielt? Warum tauchen die
Weibchen immer wie Engel aus dem Nichts auf und verschwinden meist genauso
schnell? Starke Frauenfiguren fielen auf, man suchte nach ihnen, und wenn
ein Macho-Spruch fiel („Du riechst nach Menstruation“), wurde auch mal
gebuht.
Die Berlinale ist ein politisches Festival. 2016 standen Geflüchtete im
Fokus, dieses Jahr ging es um #MeToo. Als die US-amerikanische
Schauspielerin Helen Mirren über den roten Teppich schritt, verglich sie
die Debatte mit einem Erdbeben. Aber das Thema fand auch im Überdruss
vieler anderer statt. Bill Muray winkte nur ab, als ein Reporter ihn darauf
ansprach.
## „Alle haben inzwischen genug davon“
„Was soll das eigentlich heißen, ‚Ich kann das nicht mehr hören‘ “, f…
die Schauspielerin Jasmin Tabatabai im Tipi am Kanzleramt. „Heißt das: ‚Ich
kann dein Leid nicht mehr hören?‘ Das hier ist nicht zu stoppen. Aber wir
müssen wegkommen von der Demaskierung des Einzelnen, die zwar auch nötig
ist, hin zur Demaskierung des Systems. Deswegen geht es mir um Zahlen.“
Später auf dem Podium fallen diese Zahlen: 85 Prozent der deutschen Kino-
und Fernsehfilme werden von Männern gemacht. Frauen ab 35 verschwinden nach
und nach vom Bildschirm, ab einem Alter von 50 Jahren kommen auf eine
Frauenfigur sechs Männerfiguren. Frauen im Film sind meistens jung, hübsch,
und nur 20 Prozent sind berufstätig.
Nach einem langen Berlinale-Tag sitzen eine Kamerafrau, ein Cutter und ein
Regisseur in einer Bar in Berlin-Mitte. Keine Branchenparty, sie trinken
einfach nur ein Bier. Die Journalistin fragt nach #MeToo: „Ich glaube, alle
haben inzwischen genug davon“, sagt die Kamerafrau. Dann holt sie aber ganz
selbstverständlich einen Flyer aus ihrer Tasche, der für die Website
cinematographersxx.de wirbt, auf der Kamerafrauen sich zusammengeschlossen
haben, um sichtbarer zu werden – im November, wenige Wochen nachdem die
Debatte über Sexismus in der Filmbranche richtig in Fahrt kam.
Die Kamerafrau unterrichtet an einer Hochschule und sagt: „Ich bin die
einzige Frau und mit Abstand die Jüngste, viele grüßen mich nicht einmal.“
Und dann erzählt sie von ihren Studenten und Studentinnen: Die könnten
keine Sexszenen mehr drehen, wüssten nicht, wie sie nackte Körper
inszenieren sollen. Darüber werde an ihrer Hochschule gerade am meisten
diskutiert. Wie sieht Sex aus, der nicht von Pornos inspiriert ist? Wie
viel mutet man einer Schauspielerin zu? Sei es aus Unsicherheit oder
Überzeugung, in den Regieübungen sind die Schauspielerinnen meist vom
Dekolleté aufwärts zu sehen. „Diese Szenen funktionieren überhaupt nicht�…
sagt die Kamerafrau. Wie werden wohl die Filme der nächsten Generation
aussehen?
## Sprache ist wichtiger als zuvor
Im Tipi am Kanzleramt reden die Gäste auf dem Podium über die Verantwortung
der Sender. Der Name Dieter Wedel fällt nicht, obwohl der Intendant des
Saarländischen Rundfunks auch da oben sitzt. Die Dreharbeiten, um die es
bei den Vorwürfen gegen Wedel geht, waren für den SR. Dort wusste man schon
früh Bescheid. Thomas Kleist, der Intendant, spricht auf dem Podium von
einer „Sexdebatte“, die gerade geführt werde. Sofort kommen Zwischenrufe
aus dem Publikum. „Äh, Missbrauch, sorry“, korrigiert er sich. Auch das hat
sich geändert: Sprache ist wichtiger als zuvor.
An einem Tisch sitzen zwei Schauspielerinnen, eine von ihnen ist Nora
Jensen. Sie ist eine erfahrene Fernseh- und Theaterschauspielerin, sie kann
viel über Sexismus und sexuelle Gewalt erzählen. Neu ist die
Selbstverständlichkeit. Nora Jensen sagt, sie habe sich oft unbeliebt
gemacht. Einmal habe sie eine 15-jährige Schauspielerin aus der Wohnung
eines 30-jährigen Kollegen befreit. „Ich bin Mutter und habe immer einen
Blick auf die Kinder. Auf einer Party war das Mädchen plötzlich
verschwunden, genau wie der Schauspieler.“
Sie fand seine Adresse heraus und fuhr mit mehreren Kollegen zu ihm nach
Hause. Das Mädchen war dort. „Es hat gezittert, war wie gelähmt. Er hatte
versucht, Sex mit ihr zu haben.“ Am Ende sei er weiter von der
Produktionsfirma besetzt worden, obwohl alle gewusst hätten, was passiert
war. Sie und die Kollegen, die das Mädchen aus der Wohnung geholt hatten,
nicht. „Das ist normal. Ich bin trotzdem froh, der Kleinen geholfen zu
haben.“
Jensen erzählt weiter: Als sie gerade anfing als Schauspielerin, hat ein
Theaterintendant ihr drei große Shakespeare-Rollen angeboten. Die
Bedingung: „Dafür müssen Sie für diese Spielzeit meine Geliebte werden.“
Sie habe einen Lachkrampf bekommen und ihm gesagt: „Ihnen auch noch ein
schönes Leben.“
## Kein Opfer mehr sein
Jensen hatte mit 19 beschlossen, kein Opfer mehr zu sein, auch das, so
erzählt sie, nach einem versuchten Missbrauch durch einen Intendanten. „Er
ist mit mir auf einen Parkplatz gefahren und über mich hergefallen, ich
hatte Todesängste. Dann habe ich ihn bei der Eitelkeit gepackt und gesagt:
‚Ich muss verliebt sein dafür.‘ Er war so entsetzt, dass ich nicht in ihn
verliebt war! Dann hat er aufgehört.“
Eines will sie jungen Frauen unbedingt mitgeben: „Es ist so schön, sich zu
wehren! Diese Angst zu überwinden! So schön! Man fühlt sich ganz anders im
Leben und als Frau.“ Ein Schauspieler griff ihr auf der Bühne in den
Schritt? Sie trat zurück. Jemand steckte ihr die Zunge in den Hals? Sie
biss zu.
Die deutsche Schauspielerin Claudia Eisinger war diejenige, die kurz vor
dem Festival den Berlinale-Chef in einer Petition aufforderte, einen
schwarzen Teppich auszurollen. Sie wünschte sich ein Symbol, das über eine
inhaltliche Auseinandersetzung hinausweist. 23.000 Menschen haben den
Aufruf unterschrieben.
## Große Verunsicherung
„Ich weiß nicht, warum die Debatte in Deutschland so langsam ins Rollen
kommt“, sagt Claudia Eisinger am Telefon. Sie war nur die ersten Tage des
Festivals in Berlin. Jetzt ist sie wieder in New York, wo sie einen
Schauspielkurs fortsetzt. Sie hat gerade den direkten Vergleich: In den USA
liege Veränderung in der Luft, sagt sie. Anders als in Deutschland rückt
die Branche zusammen.
Es ist fast ein bisschen seltsam: Obwohl die Petition viel Aufmerksamkeit
bekam, wurde Eisinger in Berlin kaum darauf angesprochen. Auf der Berlinale
habe es dieses Gefühl von Aufbruch und Veränderung nicht gegeben. Die
Schauspielerin hat eine große Verunsicherung gespürt.
Auch in der Art, wie über ihren Vorschlag diskutiert wurde –
„intellektualisiert“ nennt sie es. „Kaum einer sagt, wie es ihm wirklich
geht.“ Zwei Dinge sind noch nicht ausreichend da, damit aus der Debatte
eine Bewegung werden kann, glaubt sie: Zusammenhalt und Offenheit.
Zumindest eines aber hat sich konkret getan: Ab März gibt es eine
Beratungsstelle, an die sich von sexueller Gewalt Betroffene aus der
Filmindustrie wenden können.
24 Feb 2018
## AUTOREN
Amna Franzke
Viktoria Morasch
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