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# taz.de -- Begleitprogramm zur Berlinale: Spaß mit Ernst
> Die von der Berlinale unabhängige „Woche der Kritik“ feiert dieses Jahr
> ihre zehnte Ausgabe. Und macht sich auf anspruchsvolle Weise locker.
Bild: Vielleicht einer der besten Filme der Berlinale: „Dicks: The Musical“…
Wird aus dem, was einstmals radikal war, irgendwann zwangsläufig etwas
Konsolidiertes, Gefälliges? Gerade im Kunstbetrieb, der ständig nach Neuem,
Anderem verlangt, wäre diese Entwicklung nicht ungewöhnlich, man darf diese
Fragen also durchaus der „Woche der Kritik“ stellen, die oft dem
Kunstbetrieb näher wirkte als dem Kino.
Zum zehnten Mal gibt es in diesem Jahr die Woche der Kritik, die mit einem
2014 vom ausführenden Verband der Deutschen Filmkritik veröffentlichten
„Flugblatt für Aktivistische Filmkritik“ ihren Anfang nahm. Darin wurde die
Festivallandschaft als Ganzes kritisiert, etwa deren „Legitimationszwänge
gegenüber Sponsoren, Verleihern und Förderern“. Gleichzeitig wurde auch die
Kritik selbst kritisiert, zumindest jene, die sich nur noch in den Dienst
des Marktes stellt, die mehr an PR erinnert als an Auseinandersetzung mit
künstlerischen Ausdrucksformen. Denn, so heißt es im Flugblatt weiter:
„Kontroversen und Debatten sind jedoch die Grundlage für die Entfaltung von
lebendigen Diskursen. Ohne Diskurs keine Kultur. Ohne Diskurs kein Wissen.“
In diesem Sinne war die [1][Woche der Kritik, die seit Februar 2015
parallel zur Berlinale] in den Hackeschen Höfen stattfindet, stets mehr als
eine bloße, weitere Abspielstätte für Filme. Der Diskurs, der bei der
Berlinale ja ohnehin einen weit wichtigeren Stellenwert einnimmt als bei
vielen anderen Festivals, gerade den großen, wurde bei der Woche der Kritik
auf bisweilen etwas exzessiv anmutende Weise in den Mittelpunkt gestellt.
Auch in diesem Jahr finden sich da Abende, bei denen schon ein Blick auf
das Programm Ausdauer verlangt. Am 17. Februar etwa werden unter dem Titel
„Imitation of Life“ zunächst die drei Filme „Slow Shift“, „Camping d…
und „Horse Girl“ gezeigt, bevor dann gleich sechs Gäste auf dem Podium
sitzen, um über Fragen der Wirklichkeit und der Imagination zu reden.
## Anders über Filme sprechen
Wenn die Diskussion allerdings so leicht und beschwingt verläuft wie
[2][Éléonore Saintagnans Hybridfilm „Camping du Lac“], darf man sich auf
einen unterhaltsamen Abend freuen. Mit sich selbst in der Hauptrolle
beschreibt die Französin einen Campingplatz am See, wo das Leben mit ganz
anderer Geschwindigkeit abläuft als in der Stadt. Beim Streifen durch die
Natur beginnt Saintagnan bald Szenen aus der französischen Geschichte und
Mythologie zu imaginieren, die ihren Blick auf die Realität in Frage
stellen.
Hier finden sich dann sicher auch andere Formen des Gespräches, die über
die formatierten Q&As hinausgehen, die inzwischen oft zu ähnlicher Routine
geworden sind wie Interviews mit Fußballern nach dem Spiel. Genau darüber
wird am 16. Februar diskutiert: Die Diskussion „Anders über Filme sprechen“
stellt die Frage, „Wie können wir Filmgespräche neu denken?“, wie lassen
sich „etablierte Formate herausfordern [und] ungehörte Stimmen
einbeziehen?“ Reden über das Reden wirkt jedenfalls in einem Maße
selbstreflexiv, wie es allzu gut zur bisweilen etwas verkopft wirkenden
Woche der Kritik passt.
Im Laufe der Jahre erschien das Programm oft so angestrengt ernsthaft, dass
man gern an einen der treffenden Sätze des eingangs angesprochene
Flugblatts erinnert hätte: „Sie (die Kritik) blickt neugierig auf das
vermeintlich Profane, verteidigt das Lustvolle, verdammt das Abgeklärte.
Sie negiert den Begriff einer ‚bloßen Unterhaltung‘. Film und Kritik dürf…
Spaß machen.“ Genau, und von diesem Spaß, der keineswegs als Antipode zu
Ernst oder gar Anspruch zu verstehen sein muss, ist inzwischen bei der
Woche der Kritik wieder deutlich mehr zu sehen und spüren.
Zum Beispiel in zwei der nicht nur unterhaltsamsten, sondern auch besten
Filme, die in diesem Jahr nicht nur im Programm der Woche der Kritik,
sondern vermutlich auch der Berlinale zu sehen sein werden. Zum einen ist
das Larry Charles’ „Dicks: The Musical“, der am 18. Februar im Programm
„Sound and Fury“ zu sehen ist. Charles, bekannt als Regisseur von „Borat�…
und „Brüno“, verfilmt hier mit großer subversiver Freude das inzwischen
fast legendäre Off-Broadway-Musical, mit dem das Duo Aaron Jackson und Josh
Sharp Vorstellungen von Männlichkeit dekonstruiert. Gerade die fast
laienhafte Weise, mit der sich das Duo durch Formen des
Raubtierkapitalismus singt und tanzt machen das Vergnügen eines
bemerkenswerten Films aus.
## Experimentalfilme und unbequeme Fragen an Aktivisten
Ein weiterer Höhepunkt des Programms folgt schließlich am 20. Februar, wenn
der neue Film des Experimentalfilmers und Videokünstler Omer Fast seine
Weltpremiere erleben wird. In „Abendland“ beschreibt Fast eine Gruppe von
Aktivisten, die sich in einem Wald zurückgezogen haben und ihre Gesichter
und damit Identitäten hinter Masken verstecken. Jegliche Individualität
soll dadurch abgelegt und in den Dienst der Gruppe gestellt werden, sodass
eine neue, gleichberechtigte Gesellschaftsform entsteht.
In diese Welt taucht eine Frau mit Angela-Merkel-Maske ein, der Fast immer
wieder Zitate aus Reden der Altkanzlerin in den Mund legt, die in dieser
Form besonders hohl und austauschbar wirken. Dass sich aus dieser Utopie
bald eine Dystopie entwickelt, ist abzusehen. Dies stellt unbequeme Fragen
an den Aktivismus der Letzten Generation bis zu den Besetzern des Hambacher
Forsts.
Zwar könnte man sich Fasts Film auch problemlos in einer Reihe wie den
„Encounters“ vorstellen, aber am Ende passt er vielleicht noch besser zur
„Woche der Kritik“, die ihrem Anspruch, ein anderes Kino zu zeigen – und
ausführlich darüber zu diskutieren – auch im Jubiläumsjahr mehr als gerecht
wird.
14 Feb 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Michael Meyns
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