| # taz.de -- Eva C. Heldmann über Essayfilm: „Die Schätze liegen auf dem Tis… | |
| > Sie führte Regie, Kamera und Schnitt zugleich. Eva C. Heldmann über ihren | |
| > Film „Ihre ergebenste Fräulein“ und weibliche Lebensentwürfe in der | |
| > Provinz. | |
| Bild: Eva C. Heldmann in Berlin | |
| wochentaz: Eva Heldmann, seit den 1980er Jahren machen Sie experimentelles | |
| Kino. Schon oft waren Sie auf der Berlinale im Forum expanded zu Gast. In | |
| diesem Jahr zeigen Sie „Ihre ergebenste Fräulein“, einen Essayfilm über d… | |
| fast vergessene Botanikerin und Pädagogin, Catharina Helena Dörrien, die im | |
| 18. Jahrhundert in Dillenburg lebte. Wie sind Sie auf diese historische | |
| Biografie gestoßen? | |
| Eva C. Heldmann: Dillenburg, das ist auch mein Heimatort. Da bin ich | |
| geboren, obwohl ich nach der Schule fluchtartig weggezogen bin. Aber als | |
| meine Mutter sehr alt wurde, war ich dann wieder häufig dort bei ihr. Also | |
| habe ich mich mit dem Ort und der Geschichte befasst. Im schönen und | |
| einzigen Buchladen, er taucht auch im Film auf, haben sie mich auf | |
| Catharina Helena Dörrien und die erschienene Biografie aufmerksam gemacht. | |
| Die Autorin, Regina Viereck, habe ich dann besucht. Über Verweise im Buch | |
| machte ich noch eine weitere Entdeckung: die Dillenburgische | |
| Intelligenz-Nachrichten. Das war ein Wochenblatt für Beamte, in dem ab 1773 | |
| ab 1773 Gesetze und Verordnung, aber auch Wohnungsgesuche und | |
| Stellenangebote veröffentlicht wurden. | |
| Dillenburg liegt im mittelhessischen Lahn-Dill-Kreis. Was ist das für ein | |
| Ort, in dem Sie aufgewachsen sind? | |
| Das ist eine alte Beamtenstadt seit dem 18. Jahrhundert. In dieser Zeit | |
| gehörte die Region zum Fürstentum Oranien-Nassau mit Hauptsitz Den Haag. | |
| Dillenburg war eine Fürstenstadt mit Stadtschloss. | |
| Im Film erscheint die Region heute ja ein bisschen abgehängt. | |
| Das ist das Dilemma des Ortes. Die Bedeutung als Beamtenstadt ging | |
| verloren. In den 1970er Jahren war Dillenburg keine Kreisstadt mehr, und | |
| seitdem ist sie tot. Natürlich, die umliegende Kleinindustrie, die in | |
| Deutschland so bedeutend ist, ernährt die Gegend immer noch. | |
| Catharina Helena Dörrien steht im Mittelpunkt Ihres Films. Die | |
| alleinstehende Frau zog 1749 nach Dillenburg, um im Haus des Archivars | |
| Anton Ulrich von Erath zu unterrichten, aber auch wissenschaftlich zu | |
| arbeiten. Was verbinden Sie mit ihrer Geschichte? | |
| Erst einmal ist es ein Glück, überhaupt eine so herausragende Frau in der | |
| Provinz zu entdecken. Für mich ist sie eine Art weibliche | |
| Identifikationsfigur. Dörrien hat in ihrem Leben viel veröffentlicht, zum | |
| Beispiel im Hannoverischen Magazin für Pädagogik. Und sie war eine | |
| hervorragende Zeichnerin, besonders von Pflanzen. Das Hauptwerk ist | |
| natürlich ihr Verzeichnis der wild wachsenden Gewächse im Fürstentum | |
| Oranien-Nassau. In ihrer Zeit war sie ein „berühmtes Frauenzimmer“, eine | |
| von sechs oder sieben wissenschaftlich arbeitenden Botanikerin im | |
| europäischen Raum und Ehrenmitglied in der botanischen Gesellschaft in | |
| Florenz und Berlin. | |
| Mit dem Material aus den Archiven und eigenen dokumentarischen Aufnahmen | |
| entwickeln Sie zwischen Bild- und Tonspur im Film einen bemerkenswerten | |
| Dialog. Dabei verzichten Sie vollständig auf eine zusätzliche | |
| Kommentierung. Wie sind Sie vorgegangen? | |
| Zunächst muss man sich diese zwei mächtigen Stimmen im Film vorstellen. Die | |
| eine Hälfte sind Texte von Dörrien und die andere Hälfte Texte aus den | |
| Dillenburger Intelligenz-Nachrichten. Ein gebildetes „Frauenzimmer“ versus | |
| hohe Beamte. Das Interessante ist, dass in den Jahren, in denen auch | |
| Dörrien dort gelebt hat, dieses Blatt sehr lebendig war. Beim Zuhören | |
| entsteht so etwas wie ein Sittengemälde der Zeit. Am Anfang hatte ich also | |
| Texte. Von denen war ich hoch fasziniert und sehr erstaunt. Was für ein | |
| Schatz! Aber wie wähle ich aus? Parallel zur Textrecherche habe ich vier | |
| Jahre lang mit der Kamera in der Gegend, in Feld und Wald, aber auch in der | |
| Stadt gefilmt, um diese „modernen“ Bilder mit dem Text zu konfrontieren. | |
| Das hat sehr viel Spaß gemacht. | |
| Die Regie, die Kamera und den Schnitt zu dem Film haben alles Sie gemacht. | |
| Vielleicht bin ich der Typ Eigenbrötlerin. Im Team zu arbeiten, das ist | |
| ganz gut für eine Zeit, aber dann muss ich wieder meinen eigenen Blick | |
| haben und auch eine Art Kontrolle. | |
| Entstehen Ihre Filme mit der Montage des Materials? | |
| Ja, absolut. Die Schätze liegen auf dem Tisch. | |
| Die Sprache der Intelligenz-Nachrichten ist altertümlich, doch der Inhalt | |
| klingt manchmal überraschend gegenwärtig. Es geht um Forstwirtschaft, das | |
| Klima, die soziale Fürsorge, die Sanktionen für Arbeitsscheue und die | |
| Vertreibung von Fremden. Betonen Sie mögliche Analogien? | |
| Sagen wir mal, ich lasse sie stehen. Zuerst dachte ich, hier wird uns ein | |
| Spiegel vorgehalten. Aber so einfach ist es nicht. Die Gesellschaftsformen | |
| heute und damals sind sehr verschieden. Ich bin keine Historikerin und auch | |
| keine Philosophin. Deshalb habe ich mich eher an den Themen abgearbeitet. | |
| Armut und Bettelei, das greift auch Dörrien in ihren Schriften auf. Dann | |
| gibt es in den Quellen das Thema der Fremden, Natur, Wald, das Klima. Das | |
| sind auch unsere Themen heute. | |
| Catherina Helena Dörriens Sprache ist poetischer. Sie beschäftigt sich mit | |
| Erziehung, Bildung, Literatur und vor allem mit Botanik. Der Garten und | |
| seine Pflanzenwelt erscheinen wie ein gesellschaftlicher Rückzugsort. | |
| Man hat vielleicht den Eindruck, dass sie sich in einem geschützten Raum | |
| bewegt, aber sie gehörte zur gleichen Schicht und Moral wie die Beamten. | |
| Trotzdem finde ich ihr Lebenskonzept herausragend. Keine andere Frau ihrer | |
| Zeit hat so gelebt, zumindest nicht in der Provinz. Und neben der Arbeit | |
| für ihren Lebensunterhalt hat sie noch diese unglaubliche Energie und | |
| Freude gehabt zu schreiben, zu malen und zu forschen. | |
| Ein wiederkehrendes Motiv in „Ihre ergebenste Fräulein“ sind tastende | |
| Nahaufnahmen von Wildpflanzen, Kräutern, Insekten und Gräsern. Diese | |
| intimen Kameraeinstellungen erinnern mich an „Stief“, einen | |
| Experimentalfilm der Filmwissenschaftlerin Christine Noll Brinkmann von | |
| 1988. | |
| Das würde sie vielleicht freuen. | |
| Wie Christine Noll Brinkmann haben auch Sie in den 1980er und 1990er Jahre | |
| in Frankfurt am Main gelebt. Zu dieser Zeit entwickelte sich im Umfeld der | |
| Experimentalfilmklasse am Städel, der Zeitschrift „Frauen und Film“ mit | |
| Filmwissenschaftlerinnen wie [1][Heide Schlüpmann oder Karola Gramann] | |
| sowie später der Kinothek Asta Nielsen eine lebendige queerfeministische | |
| Independent-Filmszene. Hat Sie das inspiriert, beeinflusst oder gefördert? | |
| Ich war mittendrin. Wir haben Programme im Mal-seh’n-Kino zusammengestellt, | |
| oder Heide und Karola haben Filme gezeigt, auch von mir. Heide Schlüpmann | |
| ist in gewisser Weise auch meine Lehrerin, obwohl ich nie bei ihr studiert | |
| habe. | |
| Woher kam Ihr Interesse an experimentellen Formen des Films? | |
| Ich hatte vorher auf dem Land in Hessen mit zwei Freundinnen ein [2][Kino | |
| betrieben, den Mondpalast]. Da haben wir europäisches Programmkino gemacht. | |
| Wir haben Fassbinder und Ulrike Ottinger gezeigt, auch die Filme von Noll | |
| Brinkmann. In dieser Kinozeit habe ich meinen ersten Experimentalfilm | |
| gemacht: „Jonny oder das hohe Fleisch“. Das war meine Antwort auf das Kino, | |
| mit dem ich andere Formen zeigen wollte. Abstrakt, minimalistisch, Filme in | |
| einer Art strenger Zurückgenommenheit. Ich wollte ein anderes, freieres | |
| Kino, in dem man nicht so eingesperrt war in die Geschichte, die einen | |
| manipulierte. | |
| 17 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eva-Christina Meier | |
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