# taz.de -- Berlinale-Film „I Saw the TV Glow“: Jeder schaut für sich alle… | |
> Jane Schoenbruns elliptischer Spielfilm „I Saw the TV Glow“ versucht sich | |
> als nostalgische Würdigung von Fernsehserien der neunziger Jahre. | |
Bild: Action gibt es auch: Szene aus „I saw the TV glow“ | |
Wem als Teenager das Aufwachsen im Vorort die Hölle bedeutete, dem waren | |
wöchentlich ausgestrahlte TV-Serien zumindest eine vorübergehende Errettung | |
daraus. Jedenfalls in den Neunzigern, als das Internet und seine | |
Möglichkeiten noch in weiter Ferne lagen. | |
Mit dieser ebenso einfachen wie einleuchtenden Formel bereitet Jane | |
Schoenbrun in „I Saw the TV Glow“ den Boden für den Horror vor, der im | |
Verlauf von Schoenbruns hypnotisierendem zweiten Spielfilms allmählich | |
erwächst. Dann, wenn sich der vermeintlich schützende Serienkosmos in eine | |
so verzehrende Obsession verwandelt, dass sie in die Selbstverleugnung | |
führt. | |
Zunächst wird das Fernsehen allerdings sorgsam als der einzige sichere | |
Rückzugsort für den jungen Owen (Ian Foreman, später Justice Smith) sogar | |
als Medium, das zusammenbringt, zelebriert. Der einsame Siebtklässler irrt | |
durch düstere Schulkorridore, zu schüchtern, um zu sprechen. Alles ist von | |
einem seltsamen Halbdunkel umgeben, das titelgebende Leuchten des | |
Röhrenfernsehers die einzige Lichtquelle weit und breit. | |
## In den Episodenguide vertieft | |
Dann fällt ihm eine Mitschülerin auf, die in einen „Episodenguide“ zu „… | |
Pink Opaque“ vertieft ist. Die TV-Werbung zu dieser stark von „[1][Buffy]“ | |
und „Charmed“ inspirierten Mystery-Serie hat ihn bereits neugierig gemacht. | |
Selbst sehen kann er sie allerdings nicht, weil sie Samstagnacht und damit | |
weit nach seiner Schlafenszeit ausgestrahlt wird. | |
Maddy (Brigette Lundy-Paine) ist zwei Jahre älter und blickt in typischer | |
Teenie-Attitüde eigentlich auf den jüngeren Owen herab. Die Faszination für | |
die Serie und ihre eigene Einsamkeit sind allerdings zu groß, als dass sie | |
der Verlockung widerstehen könnte, sich mit ihm darüber auszutauschen. Es | |
entsteht ein Band zwischen ihnen, das mehr von einer Schicksalsgemeinschaft | |
als einer echten Freundschaft hat. Owen erfindet Ausreden, um „The Pink | |
Opaque“ bei Maddy zu verfolgen. Sie wiederum nimmt Owen Wiederholungen auf | |
VHS-Kassetten auf. | |
En passant beschwört Filmemacher*in Jane Schoenbrun den Zauber einer | |
Ära herauf, in der das Verfolgen der TV-Lieblingsserie noch einen gewissen | |
Aufwand – und vor allem: langes, langes Warten – bedeutete. Als es mehr als | |
einen Klick brauchte, um sich in die wohlvertraute, fiktive Welt zu | |
katapultieren. Und sie deswegen vielleicht noch von größerer Bedeutung war, | |
als sie es heute ist. | |
## Risse in der Idylle | |
Früh zeigen sich allerdings die ersten Risse in dieser Idylle, die ohnehin | |
immer Illusion bleiben muss. Letztlich schaut jeder für sich allein, „I Saw | |
the TV Glow“ ist sich dessen spürbar bewusst. Über die Jahre hinweg | |
verbinden sich die Jugendlichen stärker mit den Figuren auf dem Bildschirm | |
als miteinander. | |
Dass dieser stilistisch überaus ambitionierte Film immer wieder in die | |
bewusst camp inszenierten Episoden eintaucht, hat daher noch andere denn | |
nostalgische Gründe. „The Pink Opaque“ handelt von zwei Teenagerinnen, die | |
über ein ominöses, pink leuchtendes Tattoo in ihren Nacken kommunizieren | |
können. Mithilfe ihrer Kräfte besiegen sie in jeder Folge ein anderes | |
Monster, das ihnen vom Oberbösewicht Mr. Melancholy (Emma Portner), eine | |
grauenerregende Variante des „Mannes im Mond“, gesandt wird. | |
Wie sich zeigt, gleichen die beiden Hauptfiguren auf seltsame Weise ihren | |
Fans: Während Tara (Lindsay Jordan) stolz auf ihre Einzigartigkeit ist, hat | |
die verschlossene Isabel (Helena Howard) große Schwierigkeiten damit, ihre | |
Fähigkeiten und sich selbst zu akzeptieren. | |
## Er glotzt TV | |
Ähnlich verhält es sich mit den beiden Teenagern: Während Maddy in einem | |
der wenigen persönlichen Gespräche zwischen ihnen frei heraus davon | |
spricht, dass sie lesbisch ist, ist Owen von der Frage, worauf er denn | |
eigentlich stehe, sichtlich überfordert und antwortet ausweichend: auf | |
TV-Serien, natürlich. Wenig überraschend, verfällt Owen in einen | |
dissoziativen Zustand, als Maddy verschwindet und „The Pink Opaque“ | |
abgesetzt wird. | |
Damit kommt „I Saw the TV Glow“ an einem Punkt an, auf den Jane Schoenbrun | |
schon die ganze Zeit über hinauszuwollen scheint: das identitätsstiftende | |
Potenzial des Fernsehens, insbesondere für queere Jugendliche, die mangels | |
richtiger Repräsentation, bewusst oder unbewusst, nach „versteckten“ Codes | |
und Anspielungen suchen. Nach etwas, das mit dem eigenen Selbstverständnis | |
korreliert. | |
Dieses Abtauchen in eine Serie – sowohl Gelegenheit, sich selbst besser zu | |
verstehen, als auch Gefahr, sich und die Realität aus dem Blick zu | |
verlieren – will Jane Schoenbrun in ihren Ambivalenzen darstellen. Der Film | |
verlässt sich allerdings allzu sehr auf allegorische Andeutungen, um in | |
einem überzeugenden Ganzen zu münden. | |
## Surreale Vignetten | |
Spätestens als die Verlorengeglaubte dann doch wieder auftaucht und Owen | |
eröffnet, dass ihr eigentliches Ich in der TV-Serie feststeckt, verliert | |
sich „I Saw the TV Glow“ in surrealen Vignetten, die vermeintlich | |
Bedeutungsschweres zum Ausdruck bringen sollen. | |
Maddy wagt den Weg zur Befreiung, Owen traut sich hingegen nicht, ihn zu | |
beschreiten: Hinter der Metapher verbirgt sich die Mahnung vor einem | |
verweigerten [2][Coming-out, wahrscheinlich als trans*], und einem nicht | |
gelebten Leben. Was bestechend klingt, erschließt sich aber nur mit einigem | |
Interpretationswillen und kränkelt an einer störenden Inszenierungswut aus | |
Stroboskopeffekten und pathetischen Monologen. | |
Am Ende schwirrt einem der Kopf, so viel ist sicher. Dass „I Saw the TV | |
Glow“ darin etwas Bleibendes auszulösen vermag, hingegen nicht. | |
16 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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