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# taz.de -- Die Woche der Kritik in Berlin: Das Festival neben der Berlinale
> Um die Paratexte des Kinos geht's bei der Woche der Kritik – das Format
> hat sich als Parallelprogramm zur Berlinale etabliert.
Bild: Still aus „Searching for Oscar“
Ein erwartungsvolles Lächeln, in der Hand ein Mikrofon: „Willkommen in der
Dominikanischen Republik! Es ist Ihr erster Besuch hier bei uns, für was
sind Sie hergekommen?“ Älterer Herr in weißem Blazer: „Ich weiß es nicht…
Pause. Verlegenheit.
„Ich weiß es jedenfalls nicht sicher, ähm, ich bin hier, um Filme zu
sehen.“ – „Genau. Und was glauben Sie, werden Sie finden?“ -„Ich hoff…
werde interessante Filme aus der Karibik sehen, ich nehme an, eine solche
Sektion wird es hier geben.“ – „Kennen Sie Filme aus der Dominikanischen
Republik, über die Sie uns etwas mitteilen können?“ – „Nein, nicht
wirklich.“
Schnitt in den Frühstückssaal. Oscar Peyrou, Filmkritiker aus Spanien, ist
auf Reisen. Mal wieder. Octavio Guerra hat ihn eine Weile dabei begleitet,
schöne Hotelzimmer eingefangen und erfahren, dass Peyrou seinen Kaffee
morgens am liebsten entkoffeiniert genießt.
Der Mann, aus dessen Feder irgendwann einmal das heute unauffindbare Buch
„The anarchic cinema“ geflossen ist, macht keinen Hehl daraus, dass er die
Filme, die er bespricht, nicht ansieht. Jedenfalls nicht so, wie man es
erwarten könnte: im Kino. Es glaubt ihm nur keiner. Trotzdem hält Peyrou
einiges darauf, dass er (und noch ein anderer) Filmkritiken aus folgenden
Parametern erstellen: Filmplakat, Besetzungsentscheidungen, Trailer und so
weiter.
## American Football in Michigan
Der in Buenos Aires Geborene knöpft sich also die Paratexte vor.
Filmfestivals rund um den Globus besucht er dennoch, auch wenn ehemalige
Mitstreiter längst verschwunden sind. Man kann ja immer noch Unterwäsche,
teils günstiger als im Heimatland, einkaufen.
Auch die Woche der Kritik, dieses Jahr zwischen dem 14. und 22. Februar
angesiedelt, scheint ihm derlei Statements nicht ganz zu glauben und hat
Guerras Film, gemeinsam mit „Air Time“ des Hildesheimer Theaterkollektivs
„VOLL:MILCH“, unter die Frage „Ironie oder Anarchie?“ gestellt.
Dem Konzept, Filmprogramme mit einer Überschrift und einer anschließenden
Debatte darzureichen, mit dem sich das Festival seit 2015 neben der großen
Berlinale ziemlich gut behauptet, sind die Veranstalter treu geblieben.
Ebenso dem Veranstaltungsort, den Hackeschen Höfen.
Neu hinzugekommen ist in dieser Ausgabe eine gewisse Gewichtung auf
dokumentarische Arbeiten. Besagter „Searching for Oscar“ ist ein Exempel
dafür. Aber auch „The Big House“ von Kazuhiro Soda, Markus Nornes und Terri
Sarris. In den Credits sind sie sowohl für Regie als auch Kamera gelistet,
ein Umstand, der Oscar Peyrou wohl zum Nachdenken angeregt hätte.
Und tatsächlich hat man es bei „The Big House“ mit einer Arbeit zu tun, die
nach größtmöglicher Beweglichkeit und Gleichzeitigkeit strebt, denn das
Haus, das hier gefilmt wird, ist ziemlich „big“. Es ist das Michigan
Stadium in Ann Arbor, das größte American-Football-Stadion weltweit.
Über 100.000 Menschen finden hier Platz. Einigen von ihnen ist in diesem
Film zu begegnen: Cheerleadern in wechselnder Montur (es gibt genau eine
Afroamerikanerin), wahrscheinlich einhundert Marschkapellen, Köchen,
Reportern.
Spannendes geschieht aber rund um das Stadion: wenn christliche
Fundamentalisten den Sportfans ihre Sünden hinterherrufen oder mancherorts
der Trump-Wahlkampf übertragen wird. Einprägsam eine Aufnahme, in der eine
Person vor geöffnetem Kofferraum sitzt, in dem wiederum ein Monitor
platziert ist. Motor wie Übertragung laufen.
Oder nach dem Spiel, wenn die beschädigten Helme der Spieler in eine Art
Malwerkstatt kommen, in der Kratzer im Lack sorgfältig mit entsprechender
Farbe ausgemalt werden. Sofort lässt das an Peter Landesmanns Sportdrama
„Concussion“ (übersetzt: Gehirnerschütterung) denken, ein Film, der die
gesundheitlichen Risiken von American-Football-Spielern thematisierte und
damit vor wenigen Jahren starke mediale Aufmerksamkeit erreichte.
„Offen politisch“ heißt das Dach, unter dem „The Big House“ zu sehen i…
In einem kurzen Text im Programmflyer steht geschrieben: „Kategorien des
Zentralen und Nebensächlichen verwischen“.
Und es ist genau das, was auch in „Searching for Oscar“ geschieht und noch
viel mehr: denn dieses Verwischen ist regelrecht ein Anliegen des
Protagonisten. In „The Big House“ passiert es vor allem auf
Produktionsebene, denn der Film in seiner jetzigen Form konnte nur unter
Mithilfe von FilmemacherInnen der University of Michigan entstehen.
15 Feb 2018
## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
Dokumentarfilm
Kino Berlin
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
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