# taz.de -- Autor über japanische Hochküche: „Die Dinge sind, wie sie sind�… | |
> Saisonal, regional, reduziert: Die japanische Hochküche Kaiseki feiert | |
> die Einfachheit. „Es geht darum, die Jahreszeiten zu essen“, sagt der | |
> Philosoph Malte Härtig. | |
Bild: Schlichte Schönheit: Gang eines Kaiseki-Menüs in einem Restaurant in Ky… | |
taz am wochenende: Herr Härtig, Sie können mit Saucen und Trüffeln, Austern | |
und Crème fraiche, all diesen schönen Dingen der französischen Küche, | |
nichts mehr anfangen? | |
Malte Härtig: Doch kann ich, inzwischen wieder mehr. | |
Sie schreiben in Ihrem Buch, die Langeweile hätte Sie nach Japan geführt. | |
Wir haben in Deutschland, in Europa, ein Konzept von feiner Küche, das noch | |
immer stark von der französischen Küche geprägt ist. Aber das ändert sich | |
gerade. In meinem Fall stand zu Beginn die Frage: Warum kochen wir | |
eigentlich so, wie wir kochen? Warum gibt es bestimmte Geschmacksbilder in | |
der europäischen Küche, alle säurebetont und sehr ausdifferenziert? Nicht, | |
dass das nicht schmeckt. Aber mir fehlte eine Systematik, ein | |
Begründungszusammenhang. | |
So muss ein Koch sprechen, der zugleich auch Philosoph ist. | |
Wichtig war für mich die Begegnung mit Arpad Dobriban. Er kommt aus Ungarn, | |
ist Künstlerkoch, wie er selbst sagt, und hat an der Frankfurter | |
Städelschule studiert. Dort wird Kochen als Kunstgattung begriffen. | |
Dobriban stellt einfach den Braten in den Ofen und fertig. Das Anbraten | |
von Gemüse, das Tomatisieren, die Reduktion von Rotwein für die Sauce, all | |
das fällt weg. Seine Gerichte schmeckten mir zunächst komisch: anders, aber | |
deshalb nicht schlechter. Da habe ich gemerkt, dass es noch mehr gibt als | |
die Gourmetküche. Ich bin auf die Suche gegangen nach einer Systematik, die | |
ihr mindestens ebenbürtig ist. Und bin auf Japan gestoßen und auf Kaiseki. | |
Kaiseki, das ist die japanische Hochküche. Wie lässt sie sich am besten | |
beschreiben? | |
Ich muss dafür Yoshihiro Murata zitieren. Er ist Chefkoch im Kikunoi, einem | |
der berühmtesten Kaiseki-Restaurants Japans in Kyoto. Er sagt, es geht | |
darum, die Jahreszeiten zu essen. Und das an einem bestimmten Ort. Im | |
Kikunoi fühlt sich das so an, als ob man einmal kulinarisch durch Kioto und | |
seine Umgebung geht, durch die Wälder, vorbei an den Feldern und auch | |
hinein in die Stadt, wo die Fischhändler sind. Es ist eigentlich ein | |
kulinarischer Spaziergang an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit | |
im Jahr. Einfachheit, Achtsamkeit, Konzentration aufs Detail, all das | |
drückt sich darin aus. | |
Es ist also eine regionale und saisonale Küche mit einer sehr langen | |
Tradition. | |
Kaiseki ist aus der japanischen Teezeremonie entstanden, die Jahrhunderte | |
alt ist. | |
… wo grünes Matcha-Pulver mit einem Pinsel aufgerührt wird … | |
Es ist eine sehr andächtige, fast meditative Zeremonie. Und sie bietet viel | |
Aufschluss für die Küche, die sich daraus entwickelt hat mit viel mehr | |
Gängen, als wir sie kennen. Am Ende eines Kaiseki-Menüs wird übrigens immer | |
noch Tee gereicht. | |
Diese alten Teemeister waren auch Philosophen. | |
Der Berühmteste ist vielleicht Sen no Rikyū. Es gibt eine Geschichte, da | |
kommt er am Haus eines Freundes vorbei und wird spontan zum Tee eingeladen. | |
Der Gastgeber pflückt Zitronen in seinem Garten, grillt sie und serviert | |
sie mit Miso. Sen no Rikyū sagt: „Ja, genau, so soll es sein.“ Er meint: | |
Die Sachen, die da sind, nehmen und damit etwas machen. Und im selben | |
Moment lässt der Gastgeber einen Boten in eine Stadt am Meer laufen und | |
Fischpaste holen. Und als die ihm serviert wird, gefriert Sen no Rikyū das | |
Lächeln. Das beschreibt Kaiseki auch gut. | |
Gegrillte Zitrone mit Miso, ist das ein klassisches Kaiseki-Gericht? | |
Zitrone mit Miso ist mir persönlich nie begegnet. Es gibt aber Klassiker | |
wie Bambussprosse mit Wakamealge und Kinome-Kraut, das für den Frühling | |
steht. Ein Kyotoer Traditionsgericht im Herbst ist geschmorter Hering mit | |
Aubergine. Auch ein Dreisterne-Kaiseki-Koch versucht sich daran, allerdings | |
nicht, indem er Texturen dekonstruiert und Schäumchen schlägt. Er möchte es | |
nicht anders machen als andere, sondern dasselbe, nur besser. Die Dinge | |
sind, wie sie sind. Was soll man da groß verändern? Er geht über die | |
Qualität der Zutaten und kleinste Variationen im Anrichten, im Geschirr | |
oder der Komposition, um einen Unterschied zu machen. | |
Es geht also darum, Essen einfach zu halten? | |
Genau. Für den Kaiseki-Koch ist es sehr wichtig, das Essen einfach zu | |
halten. Er fragt sich immer, bin ich nah am Blendwerk oder doch am | |
Wesentlichen. Das finde ich eine schöne Spannung. Es ist viel einfacher, | |
viel auf den Teller zu legen, anstatt darüber nachzudenken, was der Kern | |
des Gerichts ist. | |
Vom französischen Sternekoch Joël Robuchon stammt der Spruch, ein Gericht | |
sei erst fertig, wenn man nichts mehr weglassen kann. | |
Das trifft es. Aber mir fehlt dabei etwas. Gerade die Arbeit an der | |
Reduktion ist die schwerste. Das kommt in dem Satz nicht richtig rüber. In | |
dem Verständnis geht es nur um Weglassen. In der japanischen Küche gibt es | |
aber auch die Methode, etwas hinzuzufügen, eben um etwas wegzulassen. Um | |
den Geschmack tiefgründiger und klarer zu machen. | |
Sie sagen, die europäische Restaurantküche ändere sich gerade. Nimmt sie | |
Einflüsse aus Japan auf? | |
Ich verwende gern den Begriff „Synchronizität“. Es liegt hier einfach in | |
der Luft. Der Trend zu regionalen und saisonalen Zutaten beispielsweise hat | |
ganz andere Ursachen als die Beschäftigung mit Japan. Gleichzeitig | |
beobachte ich, dass immer mehr Köche Teller auf den Tisch stellen, die auf | |
Einfachheit bedacht sind, die reduziert und dennoch sehr durchdacht sind. | |
Die Beziehung zu den Produzenten sind diesen Köchen extrem wichtig, genau | |
wie die Qualität der Zutaten. | |
23 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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